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Charité Serie in der ARD: Da wäre selbst Netflix neidisch

Charité Serie in der ARD: Da wäre selbst Netflix neidisch
ARD/Nik Konietzky

Die ARD-Serie "Charité" geht in die zweite Runde und TV SPIELFILM begleitete die Dreharbeiten der außergewöhnlichen Historienproduktion.

Dem Fernsehen geht es gut. Ausgerechnet eine Krankenhaus­serie hat sich als Frischzellentherapie für das klassisch lineare Medium erwiesen. "Charité" war mit durchschnittlich 7,5 Millionen Zuschauern insgesamt und einem Marktanteil von 14 Prozent bei den jüngeren der Über­raschungserfolg der ARD im Jahr 2017. Produzent und Ufa-Chef Nico Hofmann konnte sich am Set in Prag, wo gerade die Fortsetzung gedreht wird, einen Seitenhieb in Richtung der kommerziellen Streamingdienste aus den USA nicht verkneifen: "Bei solchen Zahlen würde auch Netflix in Jubel ausbrechen."

Die erste Staffel endete mit einem aus dem Off gesprochenen Ausblick der weiblichen Hauptperson Ida, gespielt von Alicia von Rittberg. Die ­intelligente junge Frau hatte in der Schweiz Medizin studiert, weil im Deutschen Reich nur Männer zum Studium zugelassen waren, und war danach an die Charité zurückgekehrt. Normalerweise hätte man in der Fortsetzung der Serie ihren weiteren Werdegang verfolgt. Stattdessen entschied sich der MDR gegen die kontinuierliche Erzählung und für einen radikalen Bruch. Die zweite Staffel setzt im Jahr 1943 ein und endet zwei Jahre später. Von den Schauspielern aus den ersten sechs Folgen ist keiner mehr dabei. Kontinuität verbürgen allein der preisgekrönte Kameramann Holly Fink, der maßgeblich den Look der Miniserie geprägt hat, und die Drehbuchautorinnen Dorothee Schön und Sabine Thor-Wiedemann.
Foto: ARD/Nik Konietzky, TV SPIELFILM war hinter den Kulissen der ARD-Serie "Charite"

Der Mix aus Medizin- und Zeitgeschichte traf den Nerv

Das Spannende am Auftakt von "Charité" war der Mix aus Medizin- und Zeitgeschichte: die Konkurrenz der genialen Ärzte Robert Koch, Emil Behring und Paul Ehrlich unter­einander, aber auch der pompöse Stil des neuen Kaisers Wilhelm II., der in der Medizin ein Mittel sah, um die Überlegenheit Deutschlands als Wissenschaftsnation zu feiern. Mit der zweiten Staffel springe man, so MDR-Fernsehspielchefin Jana Brandt, erneut in eine aufregende Zeit, in der die Figuren vor großen wissenschaftlichen und moralischen Herausforderungen stünden.

Was das heißt, wird gleich am Haupteingang der Charité deutlich, der wie die meisten Drehorte der zweiten Staffel in Prags ehemaliger Hauptpostverwaltung untergebracht ist. Am Schwarzen Brett hängt ein Plakat der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude", die zu einem Konzert einlädt. Chefausstatter Thomas Freudenthal hat mit seinen Kollegen in dem Gebäude rund 80 Sets eingerichtet. Viele Orte werden mehrfach genutzt. Die ehemalige Küche der Post ist gerade im Umbau. Eben noch war sie ein Labor, jetzt wird sie zum OP-Bunker. In einem der oberen Geschosse des verwinkelten Baus, in dem sich auch die Schauspieler schon verlaufen haben, ist eine Kinderklinik aufgebaut, in der Teddy­bären die Betten hüten. Ganz in der Nähe befindet sich ein mit Prothesen vollgestopfter Raum. Im Vergleich zum ersten Teil von "Charité" fällt auf, wie selbstverständlich der Einsatz von Röntgenapparaten ist und wie viel technischer die Medizin geworden ist. Setdesigner Freudenthal ist besonders stolz auf das Original eines von Professor Sauerbruch entwickelten künstlichen Arms. Mit ihm konnten amputierte Patienten selbstständig eine Zigarette aus einer Packung ziehen und sich anzünden; im Fall eines Raucherbeins wusste man ja, an wen man sich wenden konnte.
Foto: Rainer Unruh, "Charité" weiß mit einer akkuraten Ausstattung zu überzeugen

Professor Sauerbruch: ein Genie mit Fehlern

Ferdinand Sauerbruch war der berühmteste Mediziner der Charité im Dritten Reich. Lange Zeit wurde er als Halbgott in Weiß verehrt, eine Verklärung, zu der auch der Spielfilm "Sauerbruch - Das war mein Leben" von 1954 beitrug. Heute dagegen sieht man ihn kritischer, nicht zuletzt wegen seines umstrittenen Ver­haltens im Dritten Reich. Einerseits protestierte Sauerbruch 1940 gegen das Euthanasieprogramm und hatte ­lockere Kontakte zu Widerstandskämpfern wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Hans von Dohnanyi, beides Patienten von ihm und beides Figuren in der Serie, andererseits segnete er 1943/44 als Gutachter grausame Experimente in Auschwitz ab. Genau diese Ambivalenz hat Ulrich Noethen an der Rolle gereizt. Er sei zunächst verblüfft gewesen, wie positiv das Drehbuch den Mediziner zeichne, erklärt der Schauspieler. Je länger er sich aber mit der Figur beschäftigt habe, desto mehr sei ihm klar geworden, dass Sauerbruch kein Fanatiker gewesen sei, sondern ein Nationalkonservativer der sich mit den Verhältnissen zu arrangieren versucht habe. Wie so viele.

Widerstand war die Ausnahme. Bei ihren Recherchen stießen die Autorinnen auf den Fall der Privatsekretärin von Sauerbruch, die eine Affäre mit dem Spion Fritz Kolbe hatte. Oberarzt Adolphe Jung, ein aus dem Elsass zwangsverpflichteter Medi­ziner und NS-Gegner, half Kolbe, nachts in seinem Charité-Dienstzimmer geheime Dokumente zu fotografieren. Manchmal schreibt die Wirklichkeit die besten Geschichten.

Und die schlimmsten: Max de Crinis, seit 1938 Direktor der Nervenklinik der Charité, war einer der führenden Köpfe hinter dem Euthanasieprogramm. Der von Lukas Miko gespielte Mediziner ist der Chef von Anni Waldhausen, der neuen weiblichen Protagonistin. ­Annis Glaube an die NS-Ideologie kommt ins Wanken, als sie ein Kind mit Wasserkopf zur Welt bringt. Ausgerechnet der von ihr verehrte de Crinis wird zur tödlichen Gefahr.

Mala Emde, Darstellerin der jungen Frau, wünscht sich ebenso wie Jannik Schümann, der ihren Bruder verkörpert, dass die Serie eine Diskussion über unseren Umgang mit Behinderten und die moralischen Grenzen der Medizin anstößt. Das Thema wird gewiss auch noch Anfang 2019 aktuell sein. Dann starten voraussichtlich die sechs neuen Folgen um 20.15 Uhr im Ersten.