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Netflix hat nach Mega-Shitstorm "Cuties" versteckt

Die Stars aus Cuties - Netflix hat den Film versteckt.
Die Stars aus "Cuties" - Netflix hat den Film versteckt. IMAGO / Picturelux / Netflix, Montage: TV SPIELFILM

2020 ging ein Aufruhr durch die Medienwelt, als Netflix den damals neuen Film "Cuties" bewarb. Stein des Anstoßes war ein Poster, das minderjährige Mädchen in lasziven Posen und knapper Kleidung zeigte. Wie jetzt berichtet wird, reagierte der Anbieter sofort – indem er den Titel schwerer aufzufinden machte.

Bei den vielen Filmen und Serien, die jeden Monat neu bei Netflix erscheinen, kann die Erfolgsbilanz schon mal durchwachsen sein. Für jede Mega-Hitserie wie "Squid Game", die für satte Gewinne sorgt, gibt es auch viele weniger erfreuliche Beispiele, wie viele Absetzungen nach nur einer Staffel belegen.

Zumeist zeigen sich derlei Probleme aber erst nach der Veröffentlichung eines Titels. Doch 2020 bekam Netflix extrem viel Gegenwind für einen neuen Film, noch ehe er überhaupt veröffentlicht wurde: "Cuties" ("Mignonnes" im französischen Original). Ein Werbeposter, das eindeutig minderjährige Mädchen in lasziven Tanzposen und knapper Bekleidung zeigte, sorgte für viel Aufregung. In der Folge trendete der Hashtag "#cancelnetflix" (frei übersetzt "setzt Netflix ab") in den sozialen Medien, Petitionen wurden aufgesetzt und bekamen enorm viel Zuspruch. Netflix entschuldigte sich und änderte anschließend das Werbematerial, zudem wurde die Inhaltsangabe überarbeitet. Doch wie The Verge jetzt anhand interner Dokumente, die ihnen zugespielt wurden, erfahren haben will, ging man beim Streamingdienst sogar noch weiter – und sorgte dafür, dass der Film nicht mehr so leicht zu finden ist.

"Cuties" zwang Netflix zur Änderung des Algorithmus

IMAGO / Picturelux

Dieses "Cuties"-Poster von Netflix sorgte für eine Welle der Empörung.

Dem Bericht zufolge habe man dafür gesorgt, dass der Film von Maïmouna Doucouré in der Suche und bei den Empfehlungen nicht mehr so oft auftauchen würde. Dazu wurde der so berühmte Algorithmus, der Abonnenten mit weiteren Tipps versorgen soll, geändert. So sollte "Cuties" zum Beispiel nicht mehr in der "Demnächst"- und "Derzeit beliebt"-Kategorien erscheinen. Sollte jemand das Wort "cute" (englisch für "niedlich") eingeben, so sollte der Titel ebenfalls nicht auftauchen. Sucht man hingegen direkt nach dem Film, sollen keine erotischen oder Kinderfilme mitangezeigt werden können. Weitere Kategorien und mögliche Suchanfragen wurden ebenfalls berücksichtigt. Mit diesen Entscheidungen sollten "Werbung und Suchanfragen klein gehalten" werden. Zudem wurde durch den Skandal den Mitarbeitern bei Netflix erst so richtig klar, dass man die Marke als Autor / Repräsentant von Inhalten in der Öffentlichkeit versteht, während man sich bis dato selbst eher als Leitungsrohr sah.

Das Ziel sollte sein, die Presseberichterstattung zum Film zu minimieren und gleichzeitig nicht den Anschein zu erwecken, man habe den Film komplett entfernt, da das sonst als "reaktionär" angesehen werden könnte. Interne Prozesse, von denen man annahm, sie würden solche Vorkommnisse verhindern, wurden nun als nicht ausreichend angesehen. In der Folge wurden zum Beispiel hunderte von Titeln nachträglich ausfindig gemacht, die womöglich "sensible Inhalte" haben. Firmeninterne Mechanismen wurden überarbeitet.

"Cuties":Vermeidbarer Skandal mit schweren Folgen

Im September 2020, kurz nach Veröffentlichung von "Cuties", war die Kündigungsrate bei Netflix achtmal höher als der tägliche Durchschnitt im Jahr davor. Zudem wurden Mitarbeiter, die Filmemacherin und sogar die junge Darstellerriege zum Ziel von Online-Belästigungen – sogar Morddrohungen waren sie ausgesetzt. Über 16.000 Beschwerdemails gingen bei Netflix ein, die bis dato meisten in der Unternehmensgeschichte.

Als Ursache für den Vorfall wird unter anderem angeführt, dass "Cuties" Monate zuvor von einem internen Team gesichtet wurde, das durchaus der Ansicht war, dass der Titel als problematisch angesehen werden könnte. Das habe aber noch nicht ausgereicht für weitere Schritte. Weitere Mitarbeiter, die Probleme sahen, wussten nicht, an wen sie sich wenden sollten und zögerten, ihre Bedenken kundzutun. Außerdem wurde die rückblickend falsche Entscheidung getroffen, das damalige Promobildmaterial mit Mädchen, die einen Hügel hochlaufen, auszutauschen, da man sich keinen besonders förderlichen Effekt von davon versprach. Also habe man bei Netflix kurzerhand ein neues Poster entworfen, das schlussendlich für den Shitstorm sorgte. Im Film geht es um die elfjährige Amy, die ihren trostlosen und schwierigen Familienverhältnissen entfliehen möchte und sich einer freigeistigen Tanzgruppe anschließt.

Bei "Cuties" handelt es sich nicht um ein Netflix-Original, also um keine eigene Produktion. Der Streamingdienst hatte sich die weltweiten Auswertungsrechte außerhalb des Produktionslandes Frankreich gesichert, doch viele Leute machen ohnehin keinen großen Unterschied zwischen originären Inhalten und jenen, die lediglich exklusiv vertrieben werden, was ebenfalls die Reaktion darauf beeinflusst haben kann – zumal der Film auf der Plattform selbst nur als "Netflix-Film" bezeichnet wird, also wie ein Original behandelt wird.