Wo er wütet, lebt danach eigentlich nichts mehr. Die Filmgeschichte mag nicht arm an Rächern sein, an legendären Actionhelden, die aus Rachegefühlen heraus eine Schneise der Zerstörung anrichten, doch sie alle wirken fast harmlos gegenüber "John Wick". Die jetzt schon legendäre Figur, durch die Keanu Reeves einst ein unfassbares Comeback feierte, ist längst fester Bestandteil der Popkultur und hat einen eigenen Actionstil geprägt, das sogenannte "Gun Fu" (einfach erklärt: Kampfsport mit Waffeneinsatz).

Das Original wurde damals noch vor Kinostart belächelt, als die Inhaltsangabe verriet, John Wick würde nur aufgrund seines toten Hundes einen bestialischen Vergeltungstrip anzetteln. Doch als der Film 2014 in die Kinos kam, begeisterte er nachhaltig. Drei Fortsetzungen waren die Folge, die immer noch brutaler, spektakulärer und vor allem länger wurden. Aber welcher Film ist der beste? TVSPIELFILM.de-Redakteur Michael Hille hat sich an einem persönlichen Ranking versucht. Es beginnt mit dem schwächsten Teil der Reihe.

Platz 4: "John Wick: Kapitel 4" (2023)

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Mit Nunchucks ans Ziel: "John Wick: Kapitel 4" ist das bislang letzte überlange Blutbad der Reihe.

Was als schnörkellos-effizientes Männerkino begann, ist im großen Finale der Reihe zu einer dekadenten, schwerfälligen Gewalt-Oper mutiert. Fast drei Stunden lang metzelt sich John Wick über den Globus – und hat dabei kaum noch Dialogzeilen. Keanu Reeves grunzt mehr als er noch sprechen würde. Es gibt ohnehin nichts zu sagen: In der Auftragskiller-Parallelwelt, die in dieser Reihe stets mythologisch mit Bedeutung überladen wurde, haben eh alle längst akzeptiert, dass das gegenseitige Töten die einzige Antwort auf jede mögliche Frage sein könnte.

Regisseur Chad Stahelski hat in "John Wick: Kapitel 4" alle Hemmungen fallenlassen. Seine teils 30-minütigen Actionorgien in irgendeiner Art und Weise dramaturgisch zu legitimieren, ist für ihn längst gänzlich unwichtig geworden. Das möglichst blutige Töten dieses Films ist seine einzige Existenzgrundlage – und dieser menschenverachtende Zynismus zieht den vierten Teil in einen pechschwarzen Abgrund. Da mag man noch so viel über die brillante Kameraführung, die schwindelerregenden Choreographien oder die einzigartige Neon-Optik philosophieren, am Ende ist "John Wick: Kapitel 4" ein kalter und seelenloser Gewalt-Trip, in dem die Action keinen Spaß mehr machen kann oder soll, denn das alternativlose Abschlachten in diesen Szenen kann nur aus sich selbst heraus bestehen, wenn es sich so ernst wie möglich nimmt.

Platz 3: "John Wick: Kapitel 3" (2019)

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In "John Wick: Kapitel 3" schaute Halle Berry vorbei und brachte zwei Schäferhunde mit – die auch prompt für die Action eingesetzt werden.

Auf der Flucht vor seinen eigenen Leuten bleibt John Wick nur ein Ausweg: Die Flucht nach vorne. Angriff ist ja bekanntlich die beste Verteidigung. Und Actionhelden machen oft dann am meisten Spaß, wenn sie sich aus ihrem Loch hervorkämpfen müssen. Mit "John Wick: Kapitel 3" wurde der Wechsel von der Ein-Mann-Armee zum Ein-Mann-Weltkrieg vollzogen. Insbesondere im langen Mittelteil in Casablanca entwickelt die Actioninszenierung eine computerspielartige Levelarchitektur, sodass der geneigte Zocker direkt zum Controller greift, um wie bei "Call of Duty" das Geschehen zu beeinflussen.

Man kann sich hier über diese Entmenschlichung des eindimensionalen Helden und seiner gesichtslosen Feinde ärgern und sicher ist das dritte Kapitel der John-Wick-Geschichte deutlich zu lang geraten. Gleichzeitig entwickelt der Actionfilm aber eine fast cartoonhafte Spielfreude darin, verschiedene Tötungsmöglichkeiten durchzuspielen. Ninjas, die auf Motorrädern kämpfen, Pferdehintern, die von John Wick als Waffen eingesetzt werden, Bücher aus einem Bibliotheksregal, die prompt Hammer und Nagel zugleich sein können … Es lädt beinahe zum Staunen ein, dass in jeder Actionszene dieses Films mindestens eine kreative Idee steckt, die in jedem anderen Film des Genres das einsame Highlight gewesen wäre. Bizarres Highlight: Anjelica Huston als mafiöse Ballettlehrerin.

Platz 2: "John Wick" (2014)

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Später ließ er nur noch andere bluten, doch im ersten "John Wick"-Film geht es dem Helden (Keanu Reeves) noch selbst oft an den Kragen.

Als "John Wick" im Jahr 2014 in den Kinos startete, empfanden ihn viele Actionfans als absolute Wohltat. Die Gründe sind klar offensichtlich: Seit mehr als einem Jahrzehnt dominierte ein bestimmter Stil im Genre. Seit dem irren Erfolg von "Die Bourne Verschwörung" setzten zahlreiche Actionfilme auf einen sehr schnellen Schnitt, oft als Stakkato-Schnitt bezeichnet. Er findet sich in "Ein Quantum Trost", "Colombiana", "Taken" oder sogar "Die Tribute von Panem". Dieser Stil war David Leitch und Chad Stahelski ein Dorn im Auge. Sie arbeiteten als Choreographen hart daran, aufwendige Kampfszenen zu erfinden, nur um diese dann auf der Leinwand zerschnitten zu sehen.

"John Wick" war ihr Protest, ihre Gegenbewegung – und was für eine! Von der ersten langen Actionszene an hat jede Eskalation dieses Rachetrips eine sagenhafte kinetische Energie. In betont ruhiger Übersichtlichkeit lässt sich so jeder Schlag und Schuss in Ausführung und Einschlag genauestens nachvollziehen. Wann immer nicht gekämpft wird, bauen die beiden Regisseure eine beunruhigend entrückte Atmosphäre, die an Graphic Novels erinnert. Doch all das würde nicht funktionieren ohne den effektiven Auftakt, in dem John Wick als gebrochener Witwer gezeichnet wird, der in einer jungen Hündin sein ganzes Glück findet – ehe ihm dieses grausam entrissen wird. Schon da war klar: "John Wick" ist gekommen, um zu bleiben und wird verdientermaßen zum Franchise werden.

Platz 1: "John Wick: Kapitel 2" (2017)

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Ein Meisterwerk: "John Wick: Kapitel 2" ist pures Kino. So viel Stil wie hier hat Action nur selten.

Mit großem Abstand handelt es sich bei "John Wick: Kapitel 2" um den besten Film der Reihe und um einen der bislang besten Actionfilme des 21. Jahrhunderts. Die barocke Optik des "John Wick"-Erstlings baute Stahelski in der Fortsetzung zu einer Parallelwelt des Todes und der Vernichtung aus. Die Welt der Assassinen und der Killer-Gilden ist ein kafkaeskes Spiegelbild der globalisierten Gesellschaften. Die Führungselite des Mörderbundes wird nicht von ungefähr so inszeniert, als handle es sich hier um einen weltweit organisierten Konzern, der seine Mitarbeiter zur absoluten Gefolgschaft drillt. Spätestens als es für Wick nach Rom geht, werden zudem die römisch-katholischen Bezüge deutlich. Es ist von "Exkommunikation" die Rede, von Ordensmitgliedern und – natürlich – von Schuld und Sühne.

"John Wick: Kapitel 2" ist mehr als nur ein kompromissloser, extrem brutaler Actionfilm, der in seinen fantastischen Bildern oft an den Stil von Renaissance-Gemälden angelehnt ist und in schwindelerregendem Tempo superb schrullige und mysteriöse, gar mystische Figuren einführt. Er ist auch eine politische Parabel: Er zeigt eine Welt, in der Kirche und Konzern, in der Glauben und Profit, in der Fundamentalismus und Kapitalismus auf eine Stufe gestellt werden. Wer sich nicht anpasst, dem bleibt nur der Tod oder die Rebellion. Chad Stahelski hat sich für die Rebellion entschieden und das Actionkino zu einer neuen Marschrichtung gezwungen – und dabei seine Vorbilder nicht vergessen. Das große Finale in einem Spiegelkabinett zollt dem Kampfsportfilmklassiker "Der Mann mit der Todeskralle" Tribut. Verdient, denn eines steht fest: Bruce Lee hätte diese Anspielung gefallen, vermutlich der ganze Film.