Ziemlich aus dem Nichts entwickelte sich der starbesetzte Krimi "Knives Out – Mord ist Familiensache" zu einem Hit. Zurecht! Regisseur und Drehbuchautor Rian Johnson gelang es in der gesellschaftskritischen Mördersuche zugleich fesselnde Figuren aufzubauen, ein spannendes Rätsel um einen vermeintlichen Selbstmord zu inszenieren und für grandiose Komik zu sorgen, meist über die Hauptfigur, den kauzigen Detektiv Benoit Blanc, gespielt von Ex-007-Darsteller Daniel Craig.
"Knives Out" war smart, witzig und cool. Kein Wunder also, dass Rian Johnson kurz darauf ein Angebot von Netflix bekam: Er sollte zwei Fortsetzungen für den Streamingdienst produzieren. Die erste davon namens "Glass Onion – A Knives Out Mystery" ist pünktlich zu den Weihnachtsfeiertagen 2022 beim Anbieter erschienen. Und auch wenn "Glass Onion" mit seinem grandiosen Vorgänger kaum mithalten kann, ist der Film vor allem eines: ein Angriff auf die Lachmuskeln. Lustiger kann man Heiligabend dieses Jahr kaum verbringen.
Corona-Party unter Reichen: Der Plot von "Glass Onion"
Um mitten im Covid-Lockdown mal wieder feiern zu können, lädt der Technik-Milliardär Miles Bron (Edward Norton) seine besten Freunde auf seine Privatinsel vor Griechenland ein, darunter die Senatorin Claire Debella (Kathryn Hahn), den rechtsradikalen Influencer Duke Cody (Dave Bautista), den brillanten Wissenschaftler Lionel Toussaint (Leslie Odom Jr.) und die Modeikone Birdie Jay (Kate Hudson), die sich als Opfer der Cancel Culture sieht. Schockiert sind alle bei der Anreise, als auch Cassandra Brand (Janelle Monáe) auf der Party erscheint: Erst vor wenigen Monaten hatte Bron sie um ihre Anteile am gemeinsamen Unternehmen gebracht und vor Gericht bezwungen.
Doch noch ein Gast passt nicht zu den anderen: Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig). Selbst Bron ist überrascht, denn eigentlich hatte er Blanc gar keine Einladung geschickt. Blanc versucht also in Erfahrung zu bringen, wieso ihn jemand auf der Insel haben wollte. Passenderweise veranstaltet Bron auf seiner Party ein "Krimi-Dinner". Für Blanc nur ein langweiliges Scharmützel, das jedoch ganz plötzlich viel interessanter wird, als tatsächlich einer der Partygäste Opfer eines ganz realen Mordes wird.
"Glass Onion" ist "Knives Out 2", aber kein zweites "Knives Out"
Wieder hat Rian Johnson sich also Romane der Krimi-Autorenlegende Agatha Christie als lose Vorlagen genommen, dieses Mal unter anderem "Und dann gabs keines mehr" sowie "Das Böse unter der Sonne". Im Vergleich zu "Knives Out" gelingt ihm das jedoch mit weniger Eleganz. Viele der Charaktere sind bloße Füllmasse, um die Anzahl an Verdächtigen in die Höhe zu treiben. Vertieft werden nur wenige. Da es bis zum Mord des Films über eine Stunde dauert, fällt auch der Krimi-Aspekt hier deutlich kleiner aus. Und wie in "Knives Out" hat auch "Glass Onion" wieder einen heftigen Twist in der Mitte parat, der von da an alles, was wir bisher gesehen haben, in ein ganz neues und anderes Licht rückt.
Vieles davon funktioniert gut, doch Johnson lässt die Eleganz des Vorgängers missen. Insbesondere die finale Mord-Auflösung in den letzten 20 Minuten ist dann sogar eine große Enttäuschung. Das Drehbuch verbiegt sich hier über die Glaubwürdigkeit hinaus, und zieht sich die Erklärungen des Falls an den Haaren herbei, um mit einer politischen Botschaft zu enden, die man kaum aufdringlicher präsentieren kann. Zwar gibt es durchaus einige spannende Momente und verblüffende Twists, jedoch muss Johnson sich vom Ende her gedacht vorwerfen lassen, an mehreren Ecken das große Mysterium etwas faul konstruiert zu haben.
Jetzt aber das erstaunliche: Trotz dieser sehr berechtigten Kritik am Film kann man ihn Netflix-Kunden für die Weihnachtsfeiertage nur empfehlen!
Die Komödie des Jahres: "Glass Onion" lässt kein Auge trocken
Mag "Glass Onion" als Krimi nicht richtig funktionieren, so ist er als Komödie unschlagbar. Abgesehen von vielleicht "Triangle of Sadness", mit dem Johnsons Fortsetzung einige beachtliche Parallelen teilt, ist "Glass Onion" locker der witzigste Film des Jahres. Daniel Craig übertrifft sich als Benoit Blanc gar selbst und hat so viele schlagfertige Dialogperlen, die einem noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Aber auch Dave Bautista als rassistischer, rechtsradikaler Internet-Troll mit riesiger Knarre in der Unterhose ist sensationell lustig. Edward Nortons Figur ist zudem wenig übersehbar eine Parodie auf Elon Musk und spielt den vertrottelten, arroganten Selfmade-Milliardär, der sich mal eben aus dem Louvre die echte Mona Lisa geborgt hat, köstlich ironisch.
Auch die vielen Pandemie-Anspielungen und Witze über das rücksichtslose Verhalten auf Corona-Partys treffen völlig ins Schwarze. Es ist gar erschreckend, wie wunderbar sich vieles von dem, was seit mehr als anderthalb Jahren im Drehbuch stand, heute auf Enthüllungsskandale rund um etwa Boris Johnson anwenden lässt. Wer Spaß daran hat, kann zudem eine ganze Menge an Gaststars zählen, darunter auch zwei, die erst vor Kurzem verstorben sind und für die dies leider ihr letzter Filmauftritt ist: Musik-Legende Stephen Sondheim ("West Side Story") und die großartige Charakterdarstellerin Angela Lansbury ("Mord ist ihr Hobby") treten beide in einem Zoom-Call mit Benoit Blanc auf. Was sie gemeinsam in Pandemie-Zeiten tun? Natürlich: "Among Us" zocken.
Das hübsch gefilmte und hochkarätig besetzte Lachfeuerwerk, das "Glass Onion" einem bietet, wird viele an den Feiertagen getrost vergessen lassen, dass der eigentliche Plot nur wenig Sinn ergibt.
"Glass Onion – A Knives Out Mystery" ist wie der Vorgänger "Knives Out – Mord ist Familiensache" bei Netflix verfügbar.