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Man kann den aktuellen Trend von Disney Studios, die eigenen Zeichentrickklassiker neu aufzulegen und als Real-Remakes erneut ins Kino zu bringen, durchaus kritisch sehen. Filme wie "Cinderella" oder "Die Schöne und das Biest" mögen toll ausgesehen und bei vielen Zuschauern wohlige Gefühle von Nostalgie geweckt haben, aber letztlich schlachteten sie auch Kindheitserinnerungen aus, ohne ihren Originalen etwas Neues hinzuzufügen. Eine Ausnahme stellt "The Jungle Book" dar, in dem Jon Favreau die Geschichte nicht nur näher an ihren Romanursprung heranführte, sondern sich auch ein neues Ende ausdachte: Eines, dass Mowgli nicht aus dem Dschungel in eine Menschensiedlung führte, sondern ihm erlaubte, bei seinen Freunden im Dschungel zu bleiben.

Mit "Dumbo" ist Tim Burton ("Alice im Wunderland") vielleicht das erste wirklich eigenständige Disney-Remake gelungen. Die Geschichte des sehr kurzen Originals von 1941 erzählt er gekürzt in der ersten halben Stunde seiner Version. In dieser lernt Dumbo, der Elefant mit den viel zu großen Ohren, die Zirkuswelt der 1930er kennen, freundet sich mit zwei Kindern an (im Original war es noch eine Maus als Kumpel), wird für sein Aussehen verhöhnt und lernt schließlich sein verborgenes Talent kennen: Sein Fluch, die großen Ohren, ermöglichen es ihm nämlich zu fliegen. In einer Zirkusveranstaltung mit Clowns-Maskerade wird er anfangs belächelt, doch kaum schlackert er mit den Ohren zeigt er es allen und wird unter tosendem Applaus doch noch wertgeschätzt.

Mit eigener Handschrift

Hier könnte "Dumbo" zu Ende sein und wir hätten nur ein weiteres Disney-Remake: Schön anzusehen, inhaltlich jedoch überflüssig. Burton aber reicht das nicht. Geschichten über Außenseiter, die sich selbst behaupten dürfen, hat er genügend gedreht ("Edward mit den Scherenhänden", "Big Eyes"), um zu wissen: Hier endet Dumbos Geschichte nicht. Stattdessen taucht eines Tages Freizeitpark-Besitzer Vandevere (Michael Keaton) im Zirkus Medici auf und will aus Dumbo Profit machen. Sein Freizeitpark gewährt allen Akteuren unter der Leitung des exzentrischen Direktors Max (Danny DeVito) Asyl – doch der Preis ist hoch. Dumbo wird von seiner Mutter getrennt und Vandevere verlangt immer waghalsigere Aktionen vom kleinen Elefanten, um die Show am Laufen zu halten.

Eigentlich war Tim Burton selbst wohl nie mehr als ein Zirkusdirektor, der in der Manege begeistert auf- und abläuft und seine nächsten schrägen Figuren ankündigt, deren morbide Eigenarten für ihn nicht beängstigend, sondern wunderschön und faszinierend sind. Neben Guillermo del Toro ("The Shape of Water") ist Burton der letzte große Kinomagier alter Schule, der sich ganz zu seiner Liebe für Außenseiter und Andersartige bekennt. Sein "Dumbo" ist daher fast durchgehend als Metapher für sein eigenes Schaffen zu sehen.

Disney steckt ein

Vandevere ist deshalb der ideale Filmbösewicht: Er verkauft Nostalgie und schlachtet sie aus, genau wie man es dem Disney-Konzern vorwirft, doch es interessiert ihn dabei nicht das fertige Produkt, sondern nur, ob es sich rentiert. Diese Kritik am eigenen Arbeitgeber wird regelrecht exzessiv, wenn Burton dem Park von Vandevere eine Disneyworld-Ästhetik mitgibt, die einen faschistoiden Unterton erhält.

Die Kleinunternehmer, die Künstler aus der Zirkusmanege finden sich schlagartig in einer kommerzialisierten Schauwelt wieder, dabei zählt für wahre Unterhaltung doch nur das Echte, das Ehrliche. Genau das ist es, wo Burton hinwill und was ihm nicht zuletzt dank der berauschenden Effekte gelingt. Dumbo sieht hinreißend aus, und ist genau im richtigen Maße eine "überlebensgroße" wie fotorealistische Figur. Man kann gar nicht anders, als ihn sofort ins Herz zu schließen. Nicht minder toll ist das Darstellerensemble: Danny DeVito ist als Zirkusdirektor eine Traumbesetzung, fidel und großherzig, während Keaton als Konterpart einen hassenswerten Geschäftsmann darstellt.

Zwischenmenschliche Poesie

Das eigentliche Herzstück ist jedoch die kleine Familie um Dumbo herum: Die zwei Kinder (Finley Hobbins & Nico Parker) agieren im Zusammenspiel mit dem Elefanten zuckersüß – und ganz modern ist es hier das Mädchen, dass von einer Karriere als Wissenschaftlerin statt vom Zirkusleben träumen darf. Ihr Vater (Colin Farrell), Kriegsveteran, der in der Schlacht ein Arm verlor, und die bezaubernde Artistin Colette (Eva Green) runden das Ensemble ab und zeigen: Auch in einem großen Effektmärchen über fliegende Elefanten und groteske Freizeitpark-Welten ist Burton ein Poet des Zwischenmenschlichen.

Und wie auch bei "The Jungle Book" kann Burton das Ende des Disney-Originals so nicht stehen lassen. 1941 mag die Zusammenführung von Dumbo mit seiner Mama als Star des Wanderzirkus ein warmherziger Abschluss gewesen sein, doch fast 8 Jahrzehnte später wissen wir, dass zwei Elefanten in einem Zirkus alles bekommen – nur kein Happy-End. Tierschutzorganisation PETA bat Burton daher vorab in einem offenen Brief, das Ende des Films anzupassen. Wie sich zeigt ist dies gar nicht nötig: Das Remake steht auf eigenem Fuß und ist sich seiner Verantwortung mehr als bewusst. Tierfreunde können beruhigt ins Kino gehen, denn das Ende ist ein mehr als versöhnlicher, zeitgemäßer Abschluss.

Fazit: "Dumbo" ist ein großes Kinomärchen, eine poetische Liebeserklärung an den Zirkus und eine Parabel über Kommerz und Kunst, von einem der größten visuellen Zauberer des Kinos.