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Es ist so etwas wie ein ungeschriebenes Naturgesetz: Egal ob Solokünstler oder Band, wenn Musiker erst einmal einige Hits in die Charts gebracht und ihre Karrieren ein paar Jahre auf dem Buckel haben, wird es in aller Regel Zeit für eine kleine Werkschau. Für gewöhnlich firmiert das dazugehörige Projekt als "Greatest Hits"-Album und beinhaltet die tollsten Songs des Acts, mitunter in einer neuen Tonabmischung und oft genug gibt es als zusätzlichen Kaufanreiz noch den einen oder anderen neuen Song, Remix, eine tolle Verpackung oder was auch immer sich die Marketingabteilung sonst so einfallen lässt. Für die Fans ist dann die perfekte Gelegenheit gekommen, über die vergangenen Jahre zu sinnieren und die besten Momente noch einmal aufleben zu lassen. Mit "Avengers: Endgame", dem heiß ersehnten Höhepunkt und Finale der kürzlich so getauften "Infinity Saga", bringt Marvel nun gewissermaßen sein eigenes "Greatest Hits"-Album in die Kinos.

Quer durchs MCU zitiert

Erneut steht die ursprüngliche Konstellation der titelgebenden Superhelden im Mittelpunkt: Nach den Ereignissen aus "Infinity War" müssen nebst anderen vor allem Iron Man (Robert Downey Jr.), Captain America (Chris Evans), Hulk (Mark Ruffalo), Thor (Chris Hemsworth) und Black Widow (Scarlett Johansson)
mit den Folgen von damals ringen. Superfiesling Thanos (Josh Brolin) hat bekanntlich die Hälfte aller Lebewesen im Universum ausgelöscht und zunächst scheint es keinen Weg zu geben, ihre verlorenen Kameraden zurückzuholen. Doch als eines Tages Scott Lang alias Ant-Man (Paul Rudd) an der Tür klingelt, wendet sich das Blatt...

Die Rächer sind doch schon ein wenig wie eine Band: Jedes Mitglied bringt verschiedene Vorzüge und Eigenheiten in die Gruppe ein, es gibt Soloprojekte und natürlich die Gruppenalben – also die bisherigen "Avengers"-Filme. "Endgame" stellt aber wie erwartet eine Zäsur innerhalb des MCU dar, nach der nichts mehr so sein wird wie vorher. Da erscheint es schon ganz sinnvoll, dass die Handlung nicht nur vorangetrieben wird, sondern unterdessen auch viel Zeit für mehrere Blicke zurück innerhalb der jetzt elfjährigen MCU-Historie aufgebracht wird – "Spiel's noch einmal, Sam" könnte man glatt den Eindruck bekommen, mögen einige Evergreens wieder aufgelegt werden. Zahlreiche Figuren und Stars, die man mitunter mehrere Jahre nicht mehr in dieser Comicwelt gesehen hat, geben sich dann überraschend die Klinke in die Hand für kurze Auftritte und es wird eine Reise durch verschiedene Filme gemacht: Der erste "Avengers"-Film zum Beispiel oder "Guardians of the Galaxy". Vertraute Gesichter und bekannte Szenen werden zitiert oder mit neuen Blickwinkel präsentiert, was für zahlreiche Déjà-vus beim Publikum sorgen wird.

Deus ex Machina

Das mag in der Summe ein ganz toller Fan-Dienst sein, aber erzählerisch wie dramaturgisch mutiert das Werk der Gebrüder Russo beizeiten zu einem ziemlichen Kuddelmuddel: Bis auf einige kurze Momente ist das gefühlt erste Drittel erstaunlich zurückhaltend und wirkt für Blockbuster-Verhältnisse fast schon wie ein pathetisches Drama, weshalb der hin und wieder eingestreute Humor so fehl am Platz wirkt wie noch nie im Marvel-Universum. Wenn der Plot dann so richtig in die Gänge kommt, kann es ein wenig verworren werden – und fast schon ein wenig willkürlich. Ein Problem, mit dem auch der ansonsten epische und wirklich imposante Showdown zu kämpfen hat.

Das Finale erweist sich dabei nicht nur der großen Auseinandersetzung mit Thanos als würdig, sondern auch dem Marvel Cinematic Universe als solchem: Hier kulminieren bildgewaltig alle vorherigen 21 Filme in einer großen Sequenz, die viel Krach macht, auch inszenatorisch jede Menge zu bieten hat und auch einige Überraschungen parat hält. In diesem Moment ist man beinahe dazu geneigt, dem Film die vorherigen Makel vollends zu verzeihen, wenn dabei nicht wieder einige neue Fragezeichen aufkommen würden. Da verschwindet dann eine Figur nach kurzem Auftritt für fast die gesamte Laufzeit, nur um dann urplötzlich Deus-ex-Machina-artig zu Hilfe zu eilen, ohne weitere nennenswerte Beiträge zum Gesamtgeschehen. Eine andere wiederum erweist sich plötzlich als so mächtig, dass sie die zuvor erwähnte Figur eigentlich zur Gänze überflüssig machen würde, wenn das Drehbuch sie nur ließe.

Am Ende dürfen dann aber die Taschentücher herausgekramt werden. Die "Infinity Saga" geht dramatisch zu Ende, der dann einsetzende Pathos ist nach all den Jahren wohlverdient und der Situation nur angemessen. Auch wenn vieles schon auf die Zukunft hinweist, so wird doch erst einmal in "Endgame" ein Schlussstrich gezogen – konsequenterweise gibt es dann auch, so viel sei verraten, weder eine Mid- noch Post-Credit-Szene.

Fazit: "Avengers: Endgame" bietet einen nicht ganz runden Weg zu einem imposanten und äußerst emotionalen und ultimativ befriedigenden Finale – das Warten hat sich gelohnt.