Wellen, die sich am Strand brechen, sind beruhigend. Eigentlich. Im Fernsehfilm "Verräter" spülen sie 1988 eine tote Frau an. Kopfschuss. Gescheiterte Republikflucht oder Mord? Volkspolizist Martin lässt der Leichenfund endgültig mit der DDR brechen. Die Mutter ist schon vor einiger Zeit in den Westen geflohen, er fühlt sich hier schon lange nicht mehr zu Hause. "Ich habe mich viel mit Heimatlosigkeit beschäftigt", sagt Albrecht Schuch in Erinnerung an seine Rolle und blickt dabei in die Ferne.

Der Film ist lange abgedreht, die Beschäftigung mit der See hält an. Gerade eben ist der 31-Jäh­rige bärtig und zottelhaarig aus Portugal zurückgekehrt, wo er vier Wochen lang jeden Tag mit dem Surfbrett im Meer schwamm; versucht hat, es zu ­lesen, um die richtige Welle zu ­erwischen. Hätte er gern auch noch länger gemacht.
"Viele Menschen fühlten sich vom System verraten", führt Schuch fort. Ein jahrzehntelanger Verrat, der durch den Mauerfall und die damit zugänglichen ­Stasiakten offenkundig wurde. Schuch sprach mit mehreren Psychologen, die solche sogenannten Wendeopfer betreuten, um zu verstehen, wie sich seine Figur in "Der Verräter" fühlen mag.
Dieses Einfühlen geht erstaunlich weit. Schuch spricht von Martin als seinem Patienten. "Ich bin der Arzt für meine Rolle", sagt er. "Ich stehe dem Menschen bei, egal, ob er lacht oder weint oder in die Windeln macht."
Eine ungewöhnlich medizinische Herangehensweise, die vielleicht der Tatsache geschuldet ist, dass Schuchs Vater Psychiater und die Mutter Allgemeinmedi­zinerin ist.
Der Vater hatte ihn und seine Schwester Karoline Schuch ("Unter der Haut") anfangs vor den gesundheitlichen Folgen des Schauspielerberufs gewarnt - man könne sich darin verlieren. Eine reale Gefahr. "Es hat natürlich einen Effekt, wenn ich drei Monate in einer Situation bin, die mit der Realität nichts zu tun hat. Ich werde früh abgeholt, lebe im Hotel, wir reden über nichts anderes als den Film, und plötzlich wird diese Glocke wieder hochgenommen."

"Das war auf einmal nicht mehr mein Jena"
Größere Probleme scheint der Schauspieler damit allerdings nicht zu haben. Seine Auftritte werden von Film zu Film größer. Nach eindrucksvollen kleineren Rollen wie dem Rockerkumpel in "Neue Vahr Süd" oder dem brutalen Rekruten in "Der Turm" sieht man Schuch seit einigen Jahren vor allem in Hauptrollen. Als Alexander von Humboldt in Detlev Bucks "Die Vermessung der Welt", oder unter der Regie von Chris­tian Schwochow als Otto Moderson in "Paula" und als NSU-Terrorist Uwe Mundlos in "Mitten in Deutschland - Heute ist nicht ­alle Tage". Diese Rolle veränderte nachhaltig Schuchs Blick auf ­seine Heimatstadt.

"Ich bin mit Anna und Sebas­tian vor dem Dreh nach Jena gefahren, wir haben uns all die Orte angesehen", sagt Schuch. "Die Plattenbauten, die Garagen, wo die Bomben versteckt waren. Um die Ecke habe ich als Kind immer Fußball gespielt. Das war auf einmal nicht mehr mein Jena. Da hat eine Vermischung stattgefunden, die kann ich gar nicht in Worte fassen."
Bei den Dreharbeiten im Jenaer Stadtteil Lobeda-West bekam das Filmteam ungewollten Zuspruch von rechts. "Die Leute ­haben Fahnen auf dem Balkon gehisst, Autos haben angehalten, und die Scheiben gingen runter, die Leute haben rübergegrölt."

Uwe Mundlos, der sich 2011 mutmaßlich selbst erschoss, werden zehn Morde zugeschrieben. Doktor Schuch spielt ihn trotzdem nicht als monströsen Soziopathen, sondern als jungen Macher, der rechtsradikal, aber auch mitreißend und sogar charmant ist. Das wirkt zunächst provokant, ist aber sicherlich näher an der Realität als das Monster und gibt außerdem eine Idee, wie diese Zelle so lange so eng zusammenhalten konnte.
Die fruchtbare Zusammenarbeit mit Regisseur Chris­tian Schwochow setzen die beiden mit der sechsteiligen Miniserie "Bad Banks" fort, die 2018 im ZDF laufen soll und in der Welt der Hochfinanz spielt. Entgegen dem Klischee sind die Banker hier nicht nur gewissenlose Profitmaschinen, sondern auch brillante junge Denker - die hoffnungsvoll an die Zukunft denken lassen.
"Christian und ich überprüfen gern unsere eigenen Vorurteile", sagt Schuch. "Hinter jeder noch so schlimmen Person steckt ein Mensch, der irgendwas mit dir gemein hat. Das zu ­suchen und dar­zustellen ist anstrengend und schwierig und unangenehm. Aber notwendig."

Autor: Frank I. Aures
Verräter - Tod am Meer
DO 31.8. ZDF 20.15 Uhr