Der folgende Text gibt die persönliche Meinung eines Autors wieder und steht deshalb nicht repräsentativ für TVSPIELFILM.de.

Es gleicht einem automatisierten Ritual heutzutage, auf die anhaltende Corona-Pandemie hinzuweisen, aber drumherum kommt man so wirklich auch nicht. Wie denn auch, wenn die globale Ausbreitung des Virus zahlreiche Pläne in nahezu jeder Branche nachhaltig über den Haufen geworfen hat - so auch in der Film- und Kinoindustrie. Hochbudgetierte Titel wurden schon mehrfach verschoben und warten auf ihren großen Auftritt im Kino oder sie werden direkt bei verschiedenen Streamingdiensten veröffentlicht.

Disney hat sich in diesem Punkt als Vorreiter in punkto neuer Strategien hervorgetan und 2020 mit Werken wie "Artemis Fowl" oder "Soul" bereits mit einer direkten Auswertung bei Disney+ erfolgreich experimentiert. Bei der "Mulan"-Realverfilmung hingegen kam ein zweistufiger Plan zum Tragen: Erst erschien der Blockbuster hinter einem kostenpflichtigen VIP-Zugang bei der Plattform, Monate später erst kam man dann auch als regulärer Abonnent in den Genuss.

Mit "Raya und der letzte Drache" erscheint nun der erste Film der Walt Disney Animation Studios seit "Die Eiskönigin 2". Nachdem der Kinostart für 2020 angedacht war und es pandemiebedingt einfach nicht klappen wollte, brachte der Mäusekonzern das Abenteuer ebenfalls als großen neuen Titel bei Disney+, den man sich zunächst nur mit Aufpreis anschauen konnte und zwar für 21,99 Euro. Nun ist der Film auch im ganz normalen Abo verfügbar.

Ob sich die Zeit auch lohnt? Wer kurzweiligen und unbeschwerten Spaß in bester Disney-Manier sucht, wird bei "Raya und der letzte Drache" definitiv fündig.

Raya und der letzte Drache: Darum geht's

Vor 500 Jahren lebten Drachen in friedlicher Harmonie mit den Menschen. Doch als eines Tages eine dunkle Macht aufkam, war es vorbei mit dem Glück und die Drachen opferten sich mit Hilfe ihrer magischen Kräfte zum Schutze der Welt. Zurück blieben Legenden und ein strahlender Stein, der das letzte Fünkchen Drachenkraft in sich trägt und den verschiedene Völker für sich beanspruchen. Durch den Streit zerfallen die Menschen in verschiedene Lager. Jahrhunderte später zieht nun das Mädchen Raya los, um den letzten verbliebenen Drachen Sisu aufzuspüren. Denn nur er kann eine Katastrophe abwenden und das einstige vereinigte Reich Kumandra wiederherstellen …

Typisch Disney: Visuell atemberaubend

Bei einem großen Studio wie Disney darf man es mittlerweile als selbstverständlich hinnehmen: Viel Geld, viel Rechenpower und damit technische Perfektion. Auch "Raya und der letzte Drache" verwöhnt das Auge mit tollen Animationen aus dem Computer.

Keine Selbstverständlichkeit hingegen sind die einfallsreichen Designs, bei denen sich die Künstler von südostasiatischen Kulturen beeinflussen ließen und diese Eindrücke in eine fantasievolle, farbenfrohe Welt gegossen haben. Die verschiedenen Orte in "Raya" tragen alle eine ganz eigene Handschrift, jeder neue Handlungsschauplatz ist für sich genommen schon eine eigene kleine Überraschung. Durch die Vermengung realer kultureller Inspiration mit einer gesunden Portion Fantasie wird "Raya" visuell zu etwas ganz Einzigartigem im Disney-Kosmos.

Ausgerechnet bei der Gestaltung der Drachen leistete man sich aber ein paar Zugeständnisse an die eigene Marke und an das wohl überwiegend sehr junge Publikum zu viel: Dass in der fernöstlichen Mythologie Drachen als eher schlanke, fast schon schlangenartige Wesen dargestellt werden und dies auch in "Raya" so umgesetzt wird, mag noch akkurat sein. Durch den bei Disney zu erwartenden Hang zur Verniedlichung verlieren die Drachen allerdings sofort an Strahlkraft. In Kombination mit den großen Augen und der blauen Farbe könnte man direkt eine mutierte Elsa in Sisu sehen – oder halt eine im wahrsten Sinne des Wortes "verwurstete" Version von "My Little Pony".

Sidekick-Overkill

Es ist auch sicherlich ein ebenfalls zu erwartendes Zugeständnis, dass in "Raya" viel auf den humoristischen Effekt abzielt, es ist schließlich am Ende des Tages immer noch ein Disney-Film für die ganze Familie und das schließt nun einmal auch die jungen Zuschauer ein. Dass sich Sisu nach kurzem Spannungsaufbau als lustiges Plappermaul entpuppt, sorgt von daher weniger für Überraschung, sondern für dezente Ernüchterung, einigen guten Witzen zum Trotz – nicht schon wieder, das war ja so klar!

Der "Spaß" hört hier allerdings noch lange nicht auf: Tierische Sidekicks dürfen nämlich auch nicht fehlen, das hat ebenfalls lange Disney-Tradition. Dazu kommen noch ein fies aussehender, aber im Inneren sanfter Hüne, ein quirliger kleiner Koch und ein diebisches Baby mitsamt kleinen affigen Handlangern. Zusammen mit Sisu ergibt das ein Zuviel an Figuren, die zumeist und zuerst für den nächsten Witz herhalten müssen. Da bleibt nicht viel Platz für ernstere Töne und wenn man doch ein wenig mehr über sie erfährt, wirkt das eher wie pflichtschuldig ins Drehbuch eingestreute Lippenbekenntnisse, die Emotionen hervorrufen sollen, die aber handlungstechnisch nicht verdient wurden. Aber wen interessiert das schon, wenn das Zwerchfell mit schöner Regelmäßigkeit zur Gag-Zielscheibe wird. Fans werden jedenfalls sehr viel Freude haben.

Auf Schnitzeljagd

Erzählerisch entwickelt sich "Raya und der letzte Drache" schnell zu einer episodischen Schnitzeljagd, bei der die Protagonisten von Ort zu Ort reisen, auf der Suche nach dem nächsten Objekt der Begierde. Neben Humor ist die Reise auch gespickt mit reichlich Action, wobei vor allem die erstaunlich intensiven Zweikämpfe herausstechen. Titelfigur Raya hat nämlich jahrelang hart trainiert und präsentiert überzeugend animierte Kampfkünste, ebenso wie die Antagonistin Namaari. Wieder gibt es südostasiatische Einflüsse, Spuren vom indonesischen Silat und des Muay Thais finden sich nebst anderen in den gelungenen Choreographien.

Im Finale wird es dann wieder sehr dramatisch, wenn alles verloren scheint und auch der bewährte Beinahe-Tod einer Figur darf natürlich nicht fehlen. Gekonnt werden an den richtigen Stellen die passenden Knöpfe gedrückt, während eine wichtige Botschaft über Vertrauen, Vergebung und Zusammenhalt vermittelt wird und man am Ende mit einem wohligen Gefühl entlassen wird – also ganz so wie erwartet.

Fazit: "Raya und der letzte Drache" ist bewährte Disney-Routine auf hohem Niveau. Fans des Mäusekonzerns und Familien werden ihre helle Freude an den opulenten Schauplätzen und den vielen Gags haben. Skeptiker wird die erzählerische wie dramaturgische Formelhaftigkeit allerdings nicht umstimmen.

"Raya und der letzte Drache" ist ab dem heutigen 4. Juni 2021 regulär bei Disney+ zu sehen.