Oprah Winfrey im US-Drama "Menschenkind" (1998)

In den USA ist Oprah Winfrey mit ihrer TV-Talkshow ungefähr so medien- und verkaufswirksam wie Thomas Gottschalk, "Das lieterarische Quartett" zu seinen Höchstzeiten und die Bild-Zeitung - zusammen genommen. Was sie in ihrem Buchclub empfiehlt, wird ein garantierter Bestseller, die Verfilmung begleitet sie dann gern als Produzentin, wie bei Toni Morrisons "Menschenkind", wo Winfrey gleich noch eine Nebenrolle übernahm. Jetzt beendet sie ihre Talkshow und startet ihren eigenen TV-Kanal. Bei der mit zwei Oscars ausgezeichneten Bestsellerverfilmung "Precious - Das Leben ist kostbar" zeichnete sie als ausführende Produzentin verantwortlich.


Wie sind Sie auf dieses Projekt aufmerksam geworden?

OPRAH WINFREY Der Regisseur Lee Daniels hat mir eine Kopie des Films zugeschickt, ein paar Monate bevor der Film zum Sundance Film Festival kam. Ich hab den Film praktisch dauernd mit mir herumgeschleppt, in meiner Tasche. Dann bin ich nach Afrika gereist und wollte ihn im Flugzeug sehen, aber der DVD-Player hat nicht funktioniert. Ich hatte den Film also immer noch in meiner Tasche und sprach mit Tyler Perry (US-Komiker, Schauspieler und ebenfalls Executive Producer des Films), der mich danach fragte. Also hab ich ihn mir endlich angesehen und ihn gleich danach angerufen, noch ganz atemlos. Ich wusste, dass ich Kontakt zu Mo'Nique aufnehmen musste und auch zu Lee Daniels.

Was hat Sie besonders berührt?


OPRAH WINFREY Vor allem diese letzte Einblendung im Film: "For precious girls everywhere". Diese Story ist so wahrhaftig für Mädchen - und Jungs - überall auf der Welt. Und man muss bedenken: Ich bin nicht so aufgewachsen wie im Film beschrieben. Das Buch hatte ich schon vor vielen Jahren gelesen, aber konnte mir nie vorstellen, wie man daraus einen Film machen sollte. Auch deswegen ziehe ich den Hut vor Lee Daniels und Drehbuchautor Geoffrey Fletcher.

Winfrey wurde für ihre Rolle in Steven Spielbergs "Die Farbe Lila" 1986 für einen Oscar nominiert

Sie haben sich bereits öffentlich zum Thema Kindesmisshandlung aus Ihrer eigenen Erfahrung geäußert. Dieser Aspekt der Geschichte geht Ihnen sicher besonders nah, oder?

OPRAH WINFREY Es stimmt, ich habe mich schon zu dem Thema geäußert, aber das ist nicht vergeichbar. Diese Geschichte hat mich an eine moderne Version von "Die Farbe Lila" erinnert, nur in einem anderen Umfeld. Ich musste auch an all die Mädchen wie Precious denken, die ich schon auf der Straße oder im Bus gesehen und ignoriert habe. Für mich waren sie immer unsichtbar, weil ich in meiner eigenen Welt lebte. Nachdem ich diesen Film gesehen habe, werde ich nicht mehr zulassen, dass diese Mädchen für mich unsichtbar sind. So bewegt war ich.

Gleich nach dem Film haben Sie die Schauspielerin Mo'Nique angerufen, die ja auch gerade einen Oscar bekommen hat. Was haben Sie ihr gesagt?

OPRAH WINFREY Nur was für eine phänomenale Performance das war. So etwas hat man noch nicht gesehen! Gerade in der letzten Szene kann man erkennen, dass sie in einer ganz anderen Welt ist, an diesem Platz, zu dem jeder Schauspieler gerne gelangen würde, wenn er solche Szenen spielen müsste. Es war so roh, so erdig. Ich bin nicht mal sicher, ob das, was sie tat, tatsächlich im Drehbuch stand.

Oscar für Mo'Nique als Mary in "Precious - Das Leben ist kostbar"

Stimmt es, dass Lee Daniels eigentlich Sie für die Rolle haben wollte?

OPRAH WINFREY Das müssen Sie Lee selbst fragen. Er sagte, er hätte mir das Drehbuch mit dieser Intention geschickt. Ich hätte diese Chance auch liebend gern ergriffen, aber niemand hätte es so spielen können wie sie, geschweige denn besser.

Es gibt einige kritische Stimmen, auch aus der schwarzen Gemeinde. Machen Sie sich Sorgen, dass weiße Zuschauer den Film nicht wirklich verstehen werden?

OPRAH WINFREY Als ich vor 23 Jahren "Die Farbe Lila" drehte, behaupteten schwarze Kritiker, sie wollen nicht, dass der Film die Geschichte ans Licht bringt, weil sie nicht wollten, dass die Welt annimmt, wir alle seien so. Ich glaube, dass wir Menschen heute einen so großen Horizont haben, dass wir auch andere Vorstellungen und Ideen verstehen und akzeptieren können. "Precious" ist keine afro-amerikanische Erfahrung, es ist eine universale Erfahrung, die sich an all die Mädchen richtet, die nicht unterstützt oder geliebt werden. Das Spektrum überall auf der Welt hat sich erweitert. Lee hat den Film überall auf der Welt gezeigt, und auch die weißen Zuschauer reagieren mit viel Begeisterung und Wärme.

"Precious"-Regisseur Lee Daniels

Wenn der Film etwas befürwortet, dann die immense Bedeutung von Bildung, und doch ist gerade das Bildungssystem in Amerika in einem eher traurigen Zustand.

OPRAH WINFREY Ich wünsche mir so sehr, ich könnte diesen Film allen Schülern eines bestimmten Alters in jeder Schule zeigen. Leider glaube ich nicht, dass uns das gelingt, auch wegen der vielen Schimpfworte, da müssten auch alle Eltern ihre Zustimmung geben. Aber es wäre von unschätzbarem Wert, wenn man diesen Film allen High School-Schülern aus den Innenstädten zeigen könnte. Was Precious hier lernt, könnte so inspirierend sein. Aber Sie haben natürlich recht: Was unsere Schulen betrifft, haben wir ganz schöne Probleme.

Wie würden Sie das in Ordnung bringen?


OPRAH WINFREY Das ist nicht mein Job. Mein Job ist es, die Aufmerksamkeit der Massen zu erreichen und andere auf die Problematik aufmerksam zu machen. Mehr kann ich nicht tun.

Ist das der Grund, dass Sie Ihre immens erfolgreiche Talkshow aufgeben und etwas Neues beginnen?

OPRAH WINFREY Ja, ich starte meinen eigenen Sender, der OWN heißen wird, weil diese Initialen wirklich gut zu mir passen! (lacht) Es wird ein Kanal für größeres Bewusstsein. Ich hoffe, dass ich alle Menschen aufwecken und auf ihre Möglichkeiten aufmerksam machen kann, die sie alle im Leben besitzen. Ich bin in der Lage, 24 Stunden Programm zu machen. Die "Oprah Winfrey Show" ist ein kulturelles Phänomen geworden, und dadurch ist es mir möglich gewesen, den Menschen ein gewisses Gespür für Erleuchtung, Information und Entertainment zu vermitteln. Jetzt habe ich 24 Stunden dafür! Mein Kanal soll eine Quelle des Guten in der Welt sein, und das wird mir hoffentlich auch gelingen.

Scott Orlin