Noch ist die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine nicht beschlossen. In der Talkrunde bei "Anne Will" im Ersten war man sich am Sonntagabend dennoch nahezu einig: "Um den Feind aus dem Land zu treiben", wie der Historiker Karl Schlögel es formulierte, müsse man der Ukraine weitere Waffen liefern. "Für mich stellt sich die Frage: Wie kann Europa, wie können die Europäer zuschauen, dass die bedeutendsten Städte des Landes aus der Luft angegriffen, bombardiert und zerstört werden?", fuhr der Osteuropaexperte fort.
Auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter fand deutliche Worte: "Es ist unser Sicherheitsinteresse, dass die Ukraine nicht zerfällt." Es sei gar "unterlassene Hilfeleistung", die Taurus-Entscheidung noch länger hinauszuzögern. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth von der SPD, zählte sich ebenfalls zum "Team Tempo", zeigte jedoch auch Verständnis für Olaf Scholz: "Der Bundeskanzler hat das zu entscheiden und mit seinem Gewissen zu vereinbaren. Niemand von uns hat das zu tun. Das respektiere ich."
Bei "Anne Will": Sahra Wagenknecht spricht sich gegen weitere Waffenlieferungen aus
Gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine sprach sich lediglich ein Gast der Sendung aus: Sahra Wagenknecht. Die Noch-Linken-Politikerin hält die Taurus-Forderungen für kontraproduktiv: "Die furchtbare Situation beenden wir doch nicht, indem wir Waffensysteme liefern wie den Taurus", eine Waffenart, die auch "nuklear bestückbar" sei - letztere Aussgage dementierte Kieswetter energisch.
Bislang, so Wagenknechts Argumentation, hätten Lieferungen nur wenig bewirkt: "Seit drei Monaten führt die Ukraine jetzt die Offensive. Die Schätzungen sind, dass sie zwischen ein und zwei Prozent des besetzten Territoriums zurückerobert haben. Dafür haben sie Tausende, vielleicht Zehntausende junge Männer in den Tod gehen lassen." Die 54-Jährige ist überzeugt: Eine militärische Lösung gebe es nicht.
"Waren Sie einmal da?", fragte der sichtlich fassungslose Historiker Schlögel die Politikerin daraufhin: "Haben Sie sich umgehört, was in den Städten los ist?" Wagenknecht jedoch blieb bei ihrer Meinung. "Klar kann man sich das wünschen, dass Putin seine Truppen zurückzieht", sagte sie. "Das wird er aber nicht tun."
Wagenknecht sei eine "rhetorische Bewirtschafterin der Angst"
Angesichts dieser Prognose hakte Anne Will ein. Die Moderatorin konfrontierte Wagenknecht mit einer Aussage, die diese im Jahr 2022 kurz vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine in der ARD-Sendung getroffen hatte. Damals war sich Wagenknecht sicher, dass eine Invasion nicht in Putins Interesse liege. Eine klare Fehleinschätzung, wie auch Wagenknecht im Sonntagabendtalk einräumte. Nichtsdestotrotz sei sie bis heute der Auffassung, dass der Krieg in der Ukraine kein Krieg sei, "der aus nationalistischen Gründen begonnen wurde".
Im Laufe der Sendung war es allen voran Karl Schlögel, der Wagenknecht immer wieder deutlich widersprach. "Sie, die Sie aus einer antifaschistischen Tradition kommen", wandte er sich an die Politikerin, "müssten eigentlich wissen, dass man sehr wohl mit Waffen den Feind niederschlägt. Hitler ist mit Waffen besiegt worden, und so ist es auch mit Putin." Wagenknecht sei eine "rhetorische Bewirtschafterin der Angst", die die Sorgen der Bevölkerung instrumentalisiere.
Ihren Einwand, sie selbst fürchte lediglich eine nukleare Eskalation, ließ Schlögel nicht gelten. Stattdessen zog der Geschichtswissenschaftler ein hartes Fazit: "Sie sind die Putin'sche Stimme in Deutschland, zusammen mit der AfD." Wagenknecht reagierte entrüstet: "Jetzt haben Sie wirklich das Niveau unterschritten, das in einer solchen Sendung gewahrt werden sollte."
Das Original zu diesem Beitrag "Ukraine-Krieg: Sahra Wagenknecht räumt bei "Anne Will" Fehleinschätzung ein" stammt von "Teleschau".