Als erster deutscher Spieler, der in der NFL einen Ball zum Touchdown in die Endzone trug, hat sich Markus Kuhn 2014 seinen Platz in den Football-Annalen gesichert. Zumal das Punkten auf seiner Position als Defensive Tackle absolut nicht zum Jobprofil gehört. "Mein Claim to Fame", sagt Kuhn, der von 2012 bis 2015 bei den New York Giants unter Vertrag stand und gerade sein Karriereende bekanntgegeben hat. Für Sat.1 sitzt der gebürtige Mannheimer wie schon im Vorjahr während der Super-Bowl-Übertragung als Experte am Mikro, um der wachsenden deutschen Fangemeinde die Feinheiten seiner Sportart näherzubringen. Kein leichter Job, wie der 30-Jährige im Interview betont: "Selbst viele Leute, die glauben, sie hätten den Sport verstanden, haben nur wenig Ahnung. Man muss das für mehrere Jahre gelebt haben, um die Komplexität zu durchschauen."

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Ex-Profi Markus Kuhn analysiert das Spiel in Sat.1

Die NFL wirkt auf Außenstehende übergroß, fast wie eine Parallelwelt - empfinden Sie das als Spieler auch so?

Markus Kuhn: Auf jeden Fall. Die NFL wird wie andere große Sportligen, etwa die Bundesliga in Deutschland, von außen ganz anders wahrgenommen als sie "von innen" tatsächlich aussieht.

Erzählen Sie doch mal.

Das fängt eigentlich schon beim College-Football an, der nichts anderes ist als unbezahlter Profisport. Unser Sport hat in Amerika einen Stellenwert, den man sich in Deutschland nicht vorstellen kann. Die Uni-Stadien haben mindestens 60 000 Plätze! Dass Bild vom Profisportler, der zwei Stunden am Tag trainiert und dann nach Hause geht, um sich auszuruhen, kann ich auch nicht bestätigen. Schon während meiner Collegezeit waren 15-Stunden-Tage keine Seltenheit.

Alles für den Traum, bei einem NFL-Franchise unterzukommen.

Der Konkurrenzkampf ist immens. Anders als in anderen Sportarten gibt es weltweit nur diese eine Topliga. 32 Teams - entweder schafft man es da rein oder man kann nur für kleines Geld in Kanada oder Europa spielen. Nicht ohne Grund dauert die NFL-Karriere eines Spielers im Schnitt keine drei Jahre.

In der Vorsaison wurden 271 Gehirnerschütterungen, 56 Kreuzbandrisse und 170 Risse von Knie-Seitenbändern statistisch erfasst. Hat man das hohe Verletzungsrisiko als Spieler im Hinterkopf?

Ich denke, dass sich alle der Gefahren bewusst sind. Und kein Footballspieler betreibt diesen Sport, weil er dazu gezwungen wird, sondern, weil er Spaß macht! Man muss einfach mit Herzblut dabei sein. Aber natürlich ist es nicht jedermanns Sache, sich Tag für Tag mit Männern meiner Statur zu prügeln, die 1,95 oder 2 Meter groß sind und 140, 150, 160 Kilo wiegen. Ich selbst musste nach drei meiner vier Spielzeiten bei den New York Giants operiert werden. Einmal am Ellenbogen, einmal am Daumen, einmal nach einem Kreuzbandriss. Aber ich sehe die Dinge positiv: Ich hatte das Glück, dass ich bisher von Gehirnerschütterungen verschont geblieben bin.

Fast schon ungewöhnlich...

Ja und nein. Vielleicht habe ich einen besonders harten Schädel (lacht). Aber man muss auch sagen, dass andere Positionen von Gehirnerschütterungen häufiger betroffen sind, als meine als Defensive Tackle. Wir sind die größten und schwersten Spieler auf dem Feld. Es sind eher die Spieler, die wir umhauen betroffen. Leider Gottes.

Im Herbst 2016 haben Sie den Sprung ins NFL-Team der New England Patriots knapp verpasst. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie die Spiele Ihres Arbeitgebers?

Kein Problem. Mir war von Anfang an klar: Wenn ich zu den Patriots gehe, wird es verdammt schwer, den Cut zu schaffen. Aber als ich das beste Angebot von der besten Mannschaft bekommen habe, die die besten Chancen auf den Superbowl hat, war für mich sofort klar: Da gehe ich hin!

Hinter vielen NFL-Teams stehen einige der reichsten Männer der USA als Clubbesitzer. Bei den Patriots ist es Robert Kraft, laut Forbes 5,2 Milliarden Dollar schwer. Wie haben Sie ihn erlebt?

Robert Kraft sieht man fast täglich auf dem Trainingsgelände. Die meisten Clubbesitzer sind nicht nur finanziell involviert, sondern auch als Sportfans. Sogar Donald Trump hat mal versucht, ein NFL-Franchise zu kaufen. Für viele reiche Amerikaner gilt der Besitz eines NFL-Teams auch als eine Art Aushängeschild.

Und? Begegnet Kraft einem Superstar wie Tom Brady genauso wie Ihnen?

Tom Brady kriegt vielleicht ein Küsschen auf die Wange und eine Umarmung, ich dagegen ein "Hallo" und einen Händedruck. Ist aber auch okay so, man muss sich ja nicht unbedingt von einem 60-jährigen Mann küssen lassen. (lacht)

Ein guter Grund, kein Superstar zu werden?

(lacht) Ja, aber dafür gibt es noch viel bessere.

Welche denn?

Das Hauptargument dagegen ist sicher, dass man als Topstar seine Privatsphäre komplett verliert. Dass einem jeder auf die Finger schaut, jeder einen ansieht, egal, wo man auftaucht. Ich habe bei den Giants mehrere Jahre mit Odell Beckham Jr. gespielt, einem der Superstars der Liga. Er kam vom College und wurde in einem Wahnsinnstempo von 0 auf 100 zum Star. Damit muss man als junger Mensch erstmal zurecht kommen. Noch dazu im Zeitalter von Twitter, Instagram und Handy-Kameras, wo praktisch jeder ein Paparazzo ist.

Interview: Frank Steinberg