Obwohl es die Polizisten Wolfgang Hackl und Gisbert Engelhardt gar nicht wirklich gibt, haben wir beiden wohl doch den neuen Franken-"Tatort" zu verdanken. Gisbert Engelhardt war ein von Fabian Hinrichs gespielter Nachwuchskommissar, der den Münchnern Ermittlern 2012 in der "Tatort"-Folge "Der tiefe Schlaf" so überzeugend und unterhaltsam auf die Nerven ging, dass sein überraschender Tod nach 60 Krimi-Minuten eine Facebook-Gruppe zur Wiederbelebung der Figur ins Leben rief.

Wolfgang Hackl, gespielt von Thomas Schmauser, war 2003 ein Kommissar aus Nürnberg, der aushilfsweise im Münchner "Tatort" ermittelte: ein komischer Vogel mit schlecht sitzender Krawatte, dem die Münchner Kollegen mit falscher Freundlichkeit zuriefen: "Sie kennen sich aber gut aus!" - nur um anschließend "für 'n Franken" zu raunen. Die Franken waren entsetzt und in ihrem Regionalstolz verletzt. Fabian Hinrichs wollten die "Tatort"-Fans also unbedingt wiedersehen, einen Franken-Depp wie Hackl aber lieber nicht.
Beide Wünsche werden nun auf einmal erfüllt. Fabian Hinrichs ermittelt als Hauptkommissar Felix Voss zusammen mit seiner kantigen Kollegin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) von Nürnberg aus. Den fränkischen Zungenschlag bringen mit Eli Wasserscheid, Andreas Leopold Schadt und Matthias Egersdörfer gleich drei Teamkollegen ein, alles Charakterköpfe, aber keine Deppen. Vor allem Kabarettist Matthias Egersdörfer wird sich schnell neue Fans erspielen. Wenn er als Spurensicherer Michael Schatz den Leichenfundort auf einer Lichtung untersucht, knurrt er irgendwas von "Waldsterben" und spricht ansonsten in derart nachlässig-zerdehntem Dialekt, dass es für nicht fränkische Ohren regelrecht provozierend klingt. Dabei verzieht er nie das Gesicht. Den muss man einfach lieb haben.

"Die Nachricht, dass der Franken-‚Tatort‘ tatsächlich gedreht wird, hat eine Welle der Begeisterung ausgelöst", sagt Stephanie Heckner, die betreuende Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk. "Das Kommunikationsbedürfnis war so enorm, dass wir einen Internetblog eingerichtet haben." Dort wurde über jeden Schritt der Dreharbeiten informiert, wurden Drehorte vorgestellt, Komparsen interviewt; man erfuhr sogar, dass Schauspieler Andreas Leopold Schadt nebenbei psychotherapeutischer Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Drama- und Theatertherapie werden will. So viel Austausch ist wohl beispiellos.

Noch größeres Interesse als die Bevölkerung legen nur noch Lokalpolitiker an den Tag, die sich von einem "Tatort" in ihrer Stadt oder Region touristische Vorteile versprechen und die Vorzüge ihrer Heimat wie in einer Olympiabewerbung anpreisen. Momentan tobt der Verteilungskampf im Bodensee-Revier, das ja mit dem Aus des Konstanzer Teams Blum/Perlmann (Eva Mattes, Sebastian Bezzel) ab 2016 nicht mehr "Tatort"-Spielstätte sein soll. Baden-Baden wetteifert mit Karlsruhe um eine Ansiedlung, in Ulm wurde gleich eine Online-Petition für einen "Tatort" auf der Schwäbischen Alb gestartet.

Der Grund für das Interesse der Stadtoberen an mehr Leichen in ihrem Einzugsgebiet ist klar: Ein Ort, der Schauplatz eines beliebten TV-Krimis ist, kann Touristen mit speziellen Stadtführungen und Krimi-Dinnern locken. Die Boerne-und-Thiel-Metropole Münster etwa bietet das Pauschalangebot "Tatort Münster - individuell, 2 Nächte ab 89,50 Euro" an. Die schwedische Kleinstadt Ystad wurde durch Henning Mankells "Wallander" zu einem Krimi-Wallfahrtsort, bietet Themenwanderungen über die Originalschauplätze, wahlweise auch auf eigene Faust mithilfe der "Wallander"-App. Und auch die Stadt Albuquerque in New Mexico freut sich seit Jahren über wachsende Touristenzahlen - "Breaking Bad" sei Dank.

Der Ansiedlungswettbewerb ist also nachvollziehbar. Und sinnlos. "Neben Privatpersonen haben sich Bürgermeister und ganze Gemeinden gemeldet", sagt Stephanie Heckner. "Es gab einen intensiven Wettbewerb darum, wo sich die Mordkommission ansiedeln sollte. Wir haben immer freundlich abgelehnt."

Nürnbergs Oberbürgermeister Maly, der das ganze TV-Team zu sich einlud, habe aber nicht versucht, Einfluss auf Drehbuch oder Spielstätten zu nehmen, versichert "Tatort"-Regisseur Max Färberböck. Tatsächlich spielen blühende Landschaften oder lokale Wirtschaft im Film auch keine große Rolle. Eigentlich ist der erste Franken-Fall sogar ungewohnt sperrig, lässt er doch Ermittler und Zuschauer ausgiebig falsche Fährten verfolgen. "Ich mag in TV-Krimis nicht, dass die Zeugen der Polizei grundsätzlich verwertbare Informationen liefern", sagt Färberböck. "Egal wo sie hinkommen - schon haben sie die nächste Information, nur damit der Plot vorankommt. Das geht mir so auf die Nerven."

Das Besondere der Region sind - wie überall - ihre Menschen. Und wie sind sie in Franken? "Die Oberbayern sind nach außen gewandt. Die Franken sind sehr viel indirekter", erklärt Färberböck. Würden sie sich aber erst einmal öffnen, sei da eine große Herzlichkeit und auch Verbindlichkeit. "Die Oberbayern öffnen sich wahrscheinlich schneller, aber wie verbindlich das am Ende ist, weiß man nie so ganz genau." In Nürnberg habe er schon beim ersten Besuch beim Anblick historischer Gebäude, Waffengeschäfte und Migranten "wahnsinnig viele Spannungen" gespürt, die ihn dramaturgisch sofort angezogen hätten.

Bei der Pressekonferenz sieht sich Fabian Hinrichs genötigt, mehrfach zu betonen, dass er nichts Privates erzählen werde. Das geballte Medieninteresse, das einem "Tatort"-Kommissar entgegengebracht wird, scheint auch einen Film- und Theaterprofi wie ihn zu überraschen.
Nein, die Tatsache, dass er aus einer Polizistenfamilie stamme, spiele für die "Tatort"-Arbeit keine Rolle. Er sei "normal links" sozialisiert und kritisch, sagt er, achte die Polizei aber sehr - und zitiert Platon - als "Wächter des Staates". Und ja, Franken gefalle ihm gut, der fränkische Weinverband habe ihm sogar eine Kooperation angeboten. Wie könnte die wohl aussehen? "Weinkönigin", knurrt Egersdörfer. Alle lachen. Alle außer Egersdörfer.

Seine Figur Felix Voss habe er in Abgrenzung zum umjubelten Gisbert Engelhardt angelegt, gibt Hinrichs später zu. "Gisbert war eine extreme Figur, die würde schon beim zweiten Einsatz nerven." Sein neuer Kommissar ist normaler und hat keine besonderen Macken. Auffällig sind nur sein scharfer Verstand und die Tatsache, dass dieser nicht mit Ironie oder Arroganz gepaart ist, sondern mit ungewöhnlicher Freundlichkeit. Voss zeigt glaubhaftes Mitgefühl, wenn er mit Hinterbliebenen redet. Das ist überraschend und auf unerwartete Art fesselnd. Gisbert Engelhardt ruhe in Frieden, lang lebe Felix Voss.

Frank I. Aures

Tatort: Der Himmel ist ein Platz auf Erden
SO 12.4. Das Erste 20.15 Uhr