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Nach ARD-Doku: Kinderpsychiater Michael Winterhoff wird von Jugendamt entlassen

Michael Winterhoff
Kinderpsychiater und Buchautor Dr. Michael Winterhoff. IMAGO / Pressefoto Kraufmann&Kraufmann

Als Kinderpsychiater war Michael Winterhoff gern gesehener Gast in TV-Sendungen. Jetzt sieht er sich mit heftigen Anschludigungen konfrontiert. Eine ganze ARD-Doku befasst sich mit den Vorwürfen. Erste Konsequenzen ergriff bereits ein Jugendamt – und schmiss ihn raus.

Der Kinderpsychiater Michael Winterhoff schrieb 2008 das Buch "Warum unsere Kinder Tyrannen werden". Damit löste er eine große Erziehungsdebatte in Deutschland aus, und tingelte durch verschiedene Fernsehsendungen, war zu Gast bei "Markus Lanz" und "Maischberger". Die Thesen des Bestseller-Autors waren oft kontrovers: Deutsche Eltern würden aus ihren Kindern kleine Tyrannen machen, hätten eine "zu enge Verbindung zum Kind". Doch das Ansehen des Psychiaters bröckelt.

Am Montag, dem 9. August 2021 zeigte die ARD den Dokumentarfilm "Warum Kinder keine Tyrannen sind". In diesem kommen ehemalige Patienten, deren Eltern und andere Kinderpsychiater zu Wort und äußern deutliche Vorwürfe in Richtung Winterhoff. Das Jugendamt Sankt Augustin hat sehr schnell reagiert: Es hat die Zusammenarbeit mit Michael Winterhoff aufgekündigt.

Abwertende Diagnosen und sedierende Medikamente

In der Doku wird von vielen Seiten der Vorwurf geäußert, Winterhoff stelle immer wieder bei Kindern dieselbe Diagnose, es handle sich um "frühkindlichen Narzissmus" – und erkenne dabei nicht, wenn sein Gegenüber beispielsweise das Asperger-Syndrom habe. Der Hamburger Kinderpsychiater Michael Schulte Markwort kommentiert die Vorgehensweise von Winterhoff so: "Die Beschreibung, du bist ein Narzisst, ist überhaupt nichts Diagnostisches, sondern ausgesprochen abwertend, defizit-orientiert und schädigend gegenüber Kindern."

Winterhoff soll dann vielen seiner Patienten ein ruhigstellendes Neuroleptikum verschrieben haben, vor allem Pipamperon, ein Psychopharmakon mit sedierender Wirkung. Laut Fachleuten sollte dieses Medikament nicht über einen längeren Zeitraum an Kinder verschrieben werden, da es starke Nebenwirkungen haben kann, bis hin zu Diabetes und Herzerkrankungen. Einige Studien weisen sogar daraufhin, dass es die Gehirnmasse verringern kann. Kinder sollen das Medikament von Winterhoff teils über Jahre bekommen haben. Eine Erzieherin, die lange mit ihm zusammenarbeitete, sagt in der ARD-Doku: "Gehst du zu Winterhoff, hast du einen Narzissten und bekommst Pipamperon."

Andere Diagnosen wurden abgerechnet

In der Doku kommt u. a. auch die 20-jährige Jana zu Wort, die ab dem Alter von sieben Jahren über drei Jahre lang von Michael Winterhoff mit Pipamperon behandelt wurde. Ihr Vormund erfuhr laut Doku erst bei einer Akteneinsicht im Jugendamt, dass Jana diese Medikamente bekommen hatte. Auch andere Eltern erheben Vorwürfe, nicht umfangreich über die Medikamente aufgeklärt worden zu sein, die Winterhoff den Kindern verabreichte. Er selbst gibt an, er habe Medikamente nicht wissentlich ohne Einwilligung der Sorgeberechtigten verabreicht.

Allerdings stellten mehrere Erziehungsberechtigte der betroffenen Kinder später fest, dass Winterhoff bei den Krankenkassen andere Diagnosen abgerechnet hatte, als er den Eltern gegenüber kommuniziert hatte.

Auf Anfrage der Tagesschau teilte er mit, dass der Einsatz von Pipamperon seines Ermessens unbedenklich sei, solange die Behandlung kontrolliert erfolge. Er wende Pipamperon ausschließlich "in einer niederschwelligen Dosierung" an und wäge dabei Nutzen und Risiken einer solchen Behandlung ab. Einige Betroffene wollen gerichtlich gegen den Kinderpsychiater aus Bonn vorgehen. Eine erste Strafanzeige wurde aufgrund der ARD-Reportage bereits gegen den Mann eingereicht. 

Die Doku "Warum Kinder keine Tyrannen sind – Das System Dr. Winterhoff" wurde erstmals am 9. August 2021 um 23:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt. Die Doku ist in der ARD-Mediathek jederzeit abrufbar.

Dieser Inhalt ist zuerst bei FOCUS.de erschienen.

Statement von Dr. Winterhoff

Herr Dr. Winterhoff nimmt zu den Vorwürfen wie folgt Stellung:

Winterhoffs Presseanwalt Carsten Brennecke teilt mit, dass der WDR – Bericht nach Winterhoffs Ansicht Falschdarstellungen enthält. Herr Winterhoff gehe gegen die WDR-Berichterstattung bereits juristisch vor.

Das Medikament Pipamperon sei für Kinder mit psychomotorischen Erregungszuständen zugelassen. Herr Dr. Winterhoff habe Pipamperon nur dann verschrieben, wenn Kinder zum Beispiel von Aggressionen, Stimmungslabilität und Verwirrtheit beherrscht sind und für das Gegenüber nicht anders erreichbar sind. Herr Dr. Winterhoff setze das Medikament in einer Dosierung ein, die zu keiner Sedierung führt. Der durch den WDR erweckte Eindruck, Herr Dr. Winterhoff habe das Medikament bei seinen Patienten flächendeckend eingesetzt, sei falsch. Das Medikament wurde nur in Einzelfällen mit spezieller Indikation verordnet.

Die Verordnung des Medikaments bei Kindern sei aufgrund einer Zulassung des Medikaments für Kinder unstreitig zulässig. Die notwendigen Einwilligungserklärungen für die Verordnung der Medikamente lagen ebenfalls vor, jedenfalls konnte Herr Dr. Winterhoff in jedem Einzelfall davon ausgehen, dass Einwilligungen vorlagen.

Zum Vorwurf falscher Abrechnungen erläutert er:
In Einzelfällen kam es im Praxisalltag zu irrtümlichen Fehleinträgen falscher Abrechnungskürzel. Diese Fehleinträge in Abrechnungen werden korrigiert. Entscheidend ist aber, dass die Fehleinträge der Kürzel in der Abrechnung nicht dazu geführt haben, dass Herr Dr. Winterhoff aus der jeweiligen Behandlung eine höhere Vergütung erhalten hat, als aus der vorgenommenen Behandlung. Die Krankenkassen haben zu keinem Zeitpunkt wegen der Verwendung eines falschen Kürzels einen höheren Beitrag gezahlt als dieser bei Angabe des richtigen Kürzels für die Behandlung angefallen wäre. Ein Betrug scheidet daher tatbestandlich aus, weil ein Betrug einen Schaden voraussetzt, der bei den Krankenkassen nicht eingetreten ist.