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"Krieg der Träume": Das Jahrhundertprojekt von Arte

Krieg der Träume: Das Jahrhundertprojekt von Arte
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Vor hundert Jahren ging der erste Weltkrieg zu Ende. Die aufwändige Arte-Reihe zeichnet aus diesem Anlass als Dokudrama ein Bild von Europa zwischen den Weltkriegen, von 1918 bis 1939 - überraschend, emotional.

Vor 100 Jahren ging der Erste Weltkrieg zu Ende. Die Auswirkungen spüren wir aber noch heute. Aus den Trümmern der "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" entsprangen diverse Ideen, wie man zukünftig zusammen leben wollte. Sie brachte Kommunisten und Sozialdemokraten hervor; einen gedemütigten Nationalismus, der Faschismus, Zweiten Weltkrieg und Holocaust nach sich zog. Und endlich in unsere heutige Demokratie mündete.

Dieser prägenden Zeit von 1918 bis 1939 widmet sich "Krieg der Träume", ein von Arte produziertes achtteiliges Dokudrama, das wie eine zweite Staffel an "14 - Tagebücher des Ersten Weltkriegs" anschließt. Mit persön­lichen Aufzeichnungen von dreizehn Menschen aus sieben europäischen Ländern sollen "dunkle Ecken" in der Geschichte ausgeleuchtet werden.

"Historiker mögen Selbstzeugnisse nicht so sehr, weil die sehr subjektiv sind", sagt Jan Peter, als Showrunner, Autor und Regisseur kreatives Zen­trum der Reihe. "Außerdem schreibt man auch in ein Tagebuch nicht alles. Pola Negri notierte in ihren Erin­nerungen Dinge, die nachweislich nicht stimmen. Das haben wir stillschweigend korrigiert."

Dieser subjektive Ansatz bringt ­Informationen in den Fokus, die für die große Geschichtstektonik nicht relevant sind, für das Leben der einzelnen Menschen aber schon. So zeigt die Reihe die bei uns weitgehend ­unbekannte schwedische Sexualaufklärerin Elise Ottesen-Jensen, die bettelarmen Arbeiterfrauen Empfängnisverhütungsmethoden erklärt. Man versteht sofort, dass eine Frau, die permanent schwanger ist, ihr Leben nicht aktiv gestalten kann. Dass sie so nicht sehr alt wird - und dass das Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft hat.

Auch für Ereignisse, die man leicht in Geschichtsbüchern findet, bekommt man aus der Perspektive ­eines Augenzeugen betrachtet ein anderes Verständnis. Hans Beimler, so kann man im Lexikon lesen, war Reichstagsabgeordneter für die KPD. Er war auch wütender Kämpfer im Matrosenaufstand von Cuxhaven und rief die sozialistische Räterepublik aus. Aber er war auch ein ganz normaler Mann, der mit seiner Frau eine Familie haben wollte und diese Lebensplanungen mit seinen politischen Überzeugungen in Einklang bringen musste - was sein Handeln prägte.

Massenmörder menschlich sehen - kann man das machen?

Die Auswahl der Figuren war ein schwieriger Prozess, sagt Jan Peter. Lange wurde diskutiert: Dürfen ­deutsche Filmemacher die Autobiografie eines Rudolf Höß verfilmen? Höß war als Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz verantwortlich für den Tod Zehntausender Menschen. Der Schweizer Joel Basman ("Als wir träumten") übernahm schließlich den schwierigen Part: "Mein Vater kommt aus Israel, ich ­habe Vorfahren, die umgebracht worden sind. Ich entschuldige mit meiner Darstellung nichts, ich erkläre ­etwas. Es ist wichtig, die Vergangenheit zu kennen."

"Dokudrama" ist die passende Genrebezeichnung für "Krieg der Träume". Doch wer die übliche Ab­folge von Experten-Erklärhappen und Spielszenen erwartet, wird überrascht sein. Hier gibt es keine Historiker im Studiosetting, dafür durchgehende Spielszenen, die kontinuierlich mit passendem Archivmaterial durchsetzt sind. Wacht Hans Beimler als Matrose in seiner Hängematte auf, sieht man seinen Blick auf die Schlafunterkünfte als Originalaufnahme. Träumt er vom Tortenessen, sieht man Kuchenbilder aus Stummfilmen. Diese Filmschnipsel sind oft nur sekundenlang, vertiefen das Zeitreisegefühl aber ungemein.

Vier Jahre Dreharbeit

"Krieg der Träume" ist ein aufwen­diges Projekt. Vier Jahre wurde daran gearbeitet, 70 Tage gedreht, endlose Stunden Material in Archiven gesichtet. Das dafür notwendige Zehn-Millionen-Euro-Budget kam nur durch das Zusammenwirken von 21 europäi­schen Sendehäusern zustande. Und natürlich wollten alle in ihrem Sinn Einfluss auf die Erzählung nehmen.

Frankreich wird vertreten durch einen Bordellbesitzer und eine Anarchistin? Unmöglich! "Es war nur mit viel Diplomatie und an der richtigen Stelle auch mit einer starken Hand möglich, dieses Team von Redakteuren unter einen Hut zu bringen", sagt Produzent Gunnar Dedio. Und wohl auch mit Psychologie. Als im Zimmer des polnischen Fernsehdirektors gar nichts mehr ging, begann Arte-Unter­händler Peter Gottschalk Fußball zu spielen und wies darauf hin, dass er als studierter Theologe eigentlich Priester sei. "Und einem Fußball spielenden Priester kann man in Polen einfach nicht mehr widersprechen", sagt Dedio. Ein Filmprojekt als diplomatischer Drahtseilakt.

Politische Zusammenhänge, vergessene Ereignisse, die Lebenswelt unserer Vorfahren - man kann aus "Krieg der Träume" viel lernen. Für Filmemacher Jan Peter ist das aber nicht wesentlich: "Die Leute sollen lieber etwas fühlen als etwas lernen. Die Deutschen sind oft zu sehr dem Kopf verhaftet."
Chronik
25.10.1917
Die Oktober­revolution beendet in Russland die Zarenherrschaft

11.11.1918
Ende des Ersten Weltkriegs; Matrosenaufstände, Beginn der Weimarer Republik

28.6.1919
Friedensvertrag von Versailles; viele Deutsche lehnen den Vertrag wegen der harten Bedingungen ab

25.10.1929
Schwarzer Freitag: Ein Börsencrash läutet die Welt­wirtschaftskrise ein

30.1.1933
Adolf Hitler wird Reichskanzler

1.9.1939
Mit Hitlers Überfall auf Polen beginnt der Zweite Weltkrieg

Sendedaten "Krieg der Träume"

Am Dienstag, den 11.September startet die Reihe mit drei Folgen. Am 12.9. folgen drei Episoden, am Mittwoch, den 13.9. zwei, jeweils um 20.15 bei Arte.
Eine kompaktere Fassung läuft ab 17.9. im Ersten.

In der Mediathek ist das Projekt Online verfügbar von 11. bis zum 18.09