Der Berliner Bezirk Prenzlauer Berg zählt zweifellos zu den angesagtesten Vierteln der Stadt, vor allem, wenn es um die kulinarische Szene geht. Frank Rosin weiß um die starke Konkurrenz in diesem Stadtteil. Inmitten dieses kreativen Überflusses haben es Restaurants von vornherein schwer. Doch der Kampf ums Überleben wird fast unmöglich, wenn es an allen Ecken und Enden hapert und, wie Rosin sagt, "viel Liebe drin steckt, aber keine kulinarische Idee" im Spiel ist. Dieses Urteil fällte er nach seiner ersten Erkundung von Michael Füssels "Linas Restaurant".
Es ist höchste Zeit für den Rettungseinsatz. Füssel, der nach der Corona-Zeit sein hochbewertetes Vorgänger-Restaurant "Knofel" - im Schnitt 4,3 Sterne bei 833 Google-Rezensionen - leider schließen musste und sich mit dem "Linas" neu aufstellen wollte, weiß, was es geschlagen hat. "Wenn sich nix ändert, ist in anderthalb Monaten Schluss." Die Fixkosten, rund 10.000 Euro, übersteigen die Einnahmen bei Weitem. Faktisch ist Ehefrau Diana als Straßenbahnfahrerin die Alleinverdienerin.
Frank Rosins Ansatz ist klar: Er will die Leidenschaft, die "kulinarische Flamme im Herz von Michael" und seinem Team neu entfachen.
Speisekarte des "Linas" ist Fake
"Wir wissen nicht, woran es liegt." Michael, seine Frau und Servicekraft Nora Lenz sind ehrlich ratlos. "Das Essen schmeckt super", lobt Nora ihren Chef, der 2016 die Ausbildung zum Küchenmeister erfolgreich abschloss, also ein echter "Maître de Cuisin" ist. Nur leider scheint er ein paar Fertigkeiten verlernt oder vergessen zu haben. Das wird ihm beim Testessen schonungslos dargelegt.
Denn das Testessen wurde heimlich durchgeführt. Also statt angekündigter Katastrophe eine der Marke "Undercover-Testing". Das Wie ist aber eigentlich nebensächlich. Unterm Strich zählt, dass es nur 2,5 von fünf Sternen gibt - ein niederschmetterndes Ergebnis.
Es hakt am Service, beim Ambiente, bei der Anrichteweise und beim Geschmack. Es gibt reichlich Tränen, als Michael und seinem Team die Augen geöffnet werden. Rosin geht mit ihnen nicht zimperlich um. Alleine die Speisekarte - im "Linas" ein Fake, weil das Logo vom "Knofel" einfach nur überklebt wurde - sei enorm wichtig. Rosin: "Die Speisekarte ist der Liebesbrief an den Gast. Wenn du schon auf den Umschlag scheißt, wird er den Rosenduft des Blattes innen nicht riechen können."
Michael ist bedient, ihn nimmt vor allem die Kritik am Geschmack mit: "Ich schäme mich als Küchenmeister."
Kunde hat laut Rosin "keinen Grund, vorbeizuschauen"
Für Rosin sind die vielen Makel und vor allem die fehlerhafte Selbsteinschätzung - natürlich - keine Überraschung. "Wenn was nicht läuft, darf man nicht die Fehler bei den anderen suchen, sondern muss sie bei sich suchen. Der Kunde macht ja keinen Fehler, indem er nicht vorbeischaut. Er hat nur keinen Grund, vorbeizuschauen." Daran gilt es zu arbeiten. Ein kulinarisches Konzept muss her.
Rosin gibt keine kulinarische Linie vor, sondern erarbeitet sie mit Michael, während beide gemeinsam in der Küche stehen. "Lina", der Name des Restaurants, ist eine Hommage an Michaels Großmutter. Michael liebt auch deftige, deutsche Küche. Wie wäre es also, "Essen wie bei Oma" zu präsentieren? Mit der Gemütlichkeit der alten Wohnstube und den typischen Geschmäckern von früher - verbunden mit zeitgemäßem Aroma-Pepp?
Gute Idee, findet Michael. Optisch geht Florian Kogler mit seinem Team ans behutsame Umstyling des Restaurants. Lukullisch tasten sich Michael und Rosin an neue Gerichtsvarianten heran. "Ich freu mich", meint Rosin, denn Michael zeigt Willen und Begeisterung zur Neuorientierung.
Küchenchef Michael ist völlig "durcheinander"
Hat die Kritik, hat das Coaching gewirkt? Die Nagelprobe mit dem zweiten Testessen muss es zeigen. Das neue Styling des Interieurs kommt gut an, auch das Coaching von Service-Chefin Nora mittels eines Probe-Gastes hat gefruchtet. Die neuen Speisekarten waren, wie auch die Service-Schürzen, ein Geschenk von Flo Kogler - und verleihen dem Restaurant und seinem Team Authentizität und Identität und kommen sehr gut an.
Vorne klappt also alles, aber hinten bricht das Chaos aus. "Mein Gott, ist der durcheinander", ist Rosin beinahe entsetzt von der Nervosität von Michael. Bis zur letzten Minute muss Rosin coachen und Tipps geben, aber Michael gibt wirklich alles für die Zukunft seiner Existenz.
Zukunft des "Linas" - ungewiss
Am Ende lohnt sich die Plackerei. 4,5 Sterne gibt es im Schnitt, für den Geschmack sogar satte fünf, die Höchstwertung. Die Testesser lobten "Bombe!" und "Die Soße war ein Highlight, das Fleisch auf den Punkt". "Genial" freut sich Diana Füssel und verdrückt ein Tränchen. Nora freut sich, dass sie für den Service 4,5 Sterne kassiert. Und Michael ist mit dem Gesamtergebnis glücklich: "Wow, damit hätte ich nicht gerechnet." Er ist auch auf sich selbst stolz, zu Recht: "Ich bin aus meinem Schneckenhaus herausgekommen, ich habe meinen Mut wiedergewonnen."
Frank Rosin hat erfolgreich gerettet. Für den Moment. Das ist ihm klar, als er das runderneuerte "Linas Restaurant" verlässt: "Das war eine schöne Aufbauhilfe. Aber die eigentliche Arbeit beginnt für Michael und sein Team erst jetzt." Ob die Arbeit dauerhaft fruchtete, ist ungewiss. Im Internet hat nur Michaels längst geschlossenes "Knofel" digitale Spuren hinterlassen. Berlin.de, das "offizielle Hauptstadtportal" listet "Linas Restaurant" nicht bei seinen Tipps im Stadtteil Prenzlauer Berg, es erkennt nicht einmal den Suchbegriff.
Das muss noch nichts heißen, denn das Portal ist nicht auf dem aktuellsten Stand: Es führt noch das "Knofel" ... Auch bei Google Maps gibt es noch das Bild des alten Restaurants zu sehen, auf der Karte ist keinerlei gastronomischer Betrieb unter der Adresse verzeichnet.
Vielleicht hat es doch noch mehr Tränen am Prenzlauer Berg gegeben ...
Das Original zu diesem Beitrag "Katastrophales Testessen bei "Rosins Restaurants": Koch "schämt sich als Küchenmeister"" stammt von "Teleschau".