Manchmal sind es die simpelsten Szenen, die den intensivsten Eindruck hinterlassen. In "Big Little Lies" sind es die Momente, in denen Celeste (Nicole Kidman) zur Paartherapeutin geht. Erst mit ihrem brutalen Ehemann (Alexander Skarsgård), dann allein. Minutenlang passiert nichts, außer dass Kidman auf einer Couch sitzt. Und dennoch kommt beim Zuschauer - der in kurzen, gewalttätigen Rückblenden sieht, was wirklich passiert ist - eine klaustrophobische Spannung auf. Wie sich Kidman windet, ihrer Therapeutin und sich selbst ­ gegenüber die Wahrheit zuzugeben. Wie sie immer wieder ihren Ehemann als liebenden Vater verteidigt. Wie sie sich selbst als Täter statt als Opfer sieht ("Wir alle werden manchmal gewalttätig. Ich nehme meinen Teil der Schuld auf mich"). Und wie es der Thera­peutin ganz langsam gelingt, die Fassade aus Lügen und Geheimnissen zu durchbrechen, bis Celeste endlich bewusst wird, in was für ­einer Gefahr sie und ihre zwei Söhne sind.

Die perfekten Frauen von Monterey
Selten wurde Gewalt in der Ehe auf eine so handgreifliche wie bedrückende Weise gezeigt. Regisseur Jean-Marc Vallée schaut vor allem auf die emotionalen Folgen für das ­Opfer. In ­ihrer preisgekrönten Karriere war Nicole Kidman vielleicht nie besser. Zehn Minuten lang schaut man gebannt auf ihr Gesicht, mit dem die Australierin mit den kleinsten Bewegungen so viel transportiert. Sei es ein verstoh­lenes Kopfschütteln, ein verschämter Blick auf den Boden oder das ängstliche Vergewissern, ob die Psychologin sie verurteilt.

Die Außenwirkung ist eins der zentralen Themen der Serie, die auf dem Roman der Australierin Liane Moriarty beruht. Denn hier im kalifornischen Monterey (das Buch spielt in einem fiktiven Ort nahe Sydney) ist der Schein wichtiger als das Sein. In der Enklave der Reichen und Schönen sind die Frauen ­perfekte Gattinnen und Mütter, und auch die Männer könnten nicht blendender aussehen. Doch dann zieht die biedere, alleinerziehende Jane (Shailene Woodley) in das Küstenstädtchen und sorgt dafür, dass sämtliche Fassaden einstürzen. Die Vorzeigefrauen Made­line (Reese Witherspoon) und Renata (Laura Dern) beginnen sich gegenseitig zu zer­fleischen, Celestes Ehe wird immer brutaler, Seitensprünge kommen ans Tageslicht, die kleinen Kinder werden zu Schachfiguren in einem unbarmherzigen Machtkampf der Eltern, und vor ­allen Dingen geschieht ein Mord.

Wer ermordet wurde und wer der Täter ist, bleibt bis zur letzten der sieben Folgen offen. Tatsächlich ist dieses Whodunit-Element der schwächste Teil der Serie. Drehbuchautor ­David E. Kelley setzt die Polizeibefragungen wie einen griechischen Chor aus der Zukunft ein, der aus dem Off Gossip über die Protagonisten verbreitet. Doch jedes Mal, wenn die ­Suche nach dem Täter vorangetrieben wird, sehnt sich der Zuschauer nach dem Drama der Gegenwart und dem tollen Cast zurück.

Dass eine Serie, die Frauenschicksale in den Mittelpunkt rückt, Geld und Gönner findet, ist das Verdienst von Nicole Kidman und Reese Witherspoon, die neben ihren Hauptrollen die Fernsehperle als Produzenten überhaupt erst angestoßen haben. Dennoch ist die Serie kein feministisches Manifest, sondern ein mit satirischen Anflügen garniertes, fein gezeichnetes Porträt von Beziehungen mit der Akzentuierung der weiblichen Perspektive.

Neuerfindung eines Serienveteranen
Genau dieser Aspekt ist die Spezialität von ­David E. Kelley, der in den Neunzigerjahren der König des Serienfernsehens war. Mit ­"Picket Fences", "Chicago Hope", "Ally Mc­Beal" und "Boston Legal" hatte er eine unglaubliche Reihe an ­Erfolgen hingelegt. Doch in den letzten Jahren ist es ruhiger um den Ehemann von Michelle Pfeiffer geworden. Als seine Sitcom "The Crazy Ones" mit Robin Williams floppte, hatte der 62-Jährige genug. Er verabschiedete sich mit einer bitteren Anklage vom normalen ­Serienfernsehen. "Man muss den Zuschauer ständig auf den aktu­ellen Stand bringen, weil er die letzte Folge verpasst haben könnte", klagte Kelley dem "Hollywood Reporter". ­Zudem lamentierte er über den Zwang, die Geschichten den Werbepausen anzupassen.

Seine letzten Serien siedelte Kelley daher abseits der großen Sender an. Die Anwalts­serie "Goliath" mit Billy Bob Thornton inszenierte er für den Streaminggiganten Amazon, "Big Little Lies" wurde in den USA werbefrei auf HBO ausgestrahlt. "Als Geschichtenerzähler ist es sehr befreiend, und dass ich nicht zwanghaft 22 Folgen schreiben muss, ist ein netter Bonus", erzählt ausgerechnet der Mann, der berühmt dafür war, im Jahr 50 bis 60 Se­rien­episoden handschriftlich zu verfassen.

Mit der Miniserie "Big Little Lies" legt der einstige Workaholic jetzt endgültig den Fokus auf Qualität statt Quantität. Das zahlt sich aus. Nach guten Quoten und Preisregen bestellte HBO eine zweite Staffel. Die Dreharbeiten laufen seit Anfang April.

Big Little Lies, ab 30.05.2018 bei VOX