Eigentlich gäbe es für Margaret (Nicole Kidman) Grund zu feiern: Anlässlich des 50. Geburtstages ihres Mannes Clarke (Brian Tee) gibt sie eine große Party. Doch es liegen dunkle Schatten über den Feierlichkeiten. Seit einem Jahr vermisst das Ehepaar seinen kleinen Sohn. Wie Gus, bei dem schon die Nennung seines Namens Margarets akkurat aufgebaute Fassade vermeintlicher Familienharmonie einstürzen lässt, verschwunden ist, legt die neue Dramaserie "Expats" (ab 26. Januar, Prime Video) Stück für Stück offen.

Wer mit Gus' Verschwinden zu tun hatte und welche Auswirkungen die Tragödie auf die Leben der Protagonisten hatte, schildert Regisseurin und Drehbuchautorin Lulu Wang in sechs Folgen. Das nötige Fingerspitzengefühl für tragische Stoffe bewies die US-Amerikanerin schon 2019 bei ihrem Durchbruch mit dem Kinodrama "The Farewell". Motive von Verdrängung und Trauer finden sich dort ebenso wie nun bei "Expats". Gleiches gilt für die Kontrastierung wohlhabender Milieus mit der Lebenswelt ihrer Diener.

Sonderepisode geht über 90 Minuten

Gerade den Schicksalen der weniger Wohlhabenden, etwa dem von Margarets Haushälterin Essie (Ruby Ruiz), räumt der rein weibliche Writer's Room von "Expats" in der spielfilmlangen, fünften Episode besonders viel Spielraum ein. Wie ein Kaleidoskop fängt die Folge den Lebensalltag der philippinischen Hausangestellten ein und degradiert den Hauptcast um Nicole Kidman zumindest für eine Episode zu Nebendarstellern. Ein ungewöhnlicher Ansatz für eine Miniserie, der allerdings bei der Premiere auf dem Toronto Film Festival im vergangenen September größtenteils gute Resonanz einfuhr.

Abgesehen davon taucht das Publikum vor der exotischen und toll eingefangenen Kulisse des pulsierenden Hongkongs in die Geschichten dreier Hauptfiguren ein. Neben der bereits erwähnten Margaret, die das Verschwinden ihres Sohnes völlig aus der Bahn geworfen hat, hat auch ihre gute Freundin Hilary (Saraya Blue) ihr Päckchen zu tragen. Ihre Ehe ist am Ende und macht ihr ebenso wie ihre Kinderlosigkeit zu schaffen. Mercy (Ji-Young Yoo) hingegen hat mit ihren 24 Jahren schon die erste Lebenskrise hinter sich, hangelt sich von Aushilfsjob zu Aushilfsjob und knabbert an den Folgen jener Tragödie, um die sich alles in "Expats" dreht: Gus' Verschwinden.

Nicole Kidman ist auf solche Serien mittlerweile abonniert

Was sind Privilegien im Moment der größten Trauer noch wert? Was passiert, wenn die Grenze zwischen Tätern und Opfern verschwimmt? Und wie funktioniert man in einer fremden Kultur, weit weg von seiner eigentlichen Heimat? "Expats" sprengt die Grenzen konventioneller Sozialdramen und behandelt Aspekte wie Identität und das Aufeinandertreffen sozial vollkommen gegensätzlicher Klassen.

Inmitten dieses Spannungsfeldes findet sich mit Nicole Kidman eine Expertin auf dem Feld seriell erzählter Familientragödien in privilegiertem Umfeld wieder. Schon im HBO-Meisterwerk "Big Little Lies" brillierte Kidman in erzählerisch ähnlich angesiedeltem Stoff - Emmy und Golden Globe inklusive. Ähnlich gelagert war auch das Rätselraten im HBO-Psychogramm "The Undoing".

In "Expats" schlüpft Kidman nun erneut in ihre Paraderolle, wenn man so will. Was sie nach außen hin hinter der teils wächsern anmutenden Fassade zu verstecken versucht, bricht hinter verschlossenen Türen immer wieder aus Margaret heraus: "Ich will manchmal einfach nur allein sein, wo ich weder die Frau noch die Mutter von jemandem sein muss. Wo mich keine Tragödie definiert."