Seit Wochen macht die BILD Zeitung Kampagne gegen die ARD/Sky-Koproduktion "Babylon Berlin": Ende September die Schlagzeile "GEZ-Millionen für diese Sky-Serie", jetzt "ARD macht Adenauer zum Sadomaso-Freier!". Wie es die BILD auch drehen und wenden mag, ARD und Sky tragen nicht die alleinige Verantwortung. Die knapp 40 Millionen Euro teure Krimigeschichte im Sündenpfuhl Berlins der 20/30er-Jahre ist eine Produktion von Sky Deutschland und der ARD, allerdings nur zu 50 Prozent. Den Rest stemmt die Berliner Produktionsfirma X Filme Creative Pool zusammen mit Beta Film.

Klar, die Produktion war aufwändig, opulent und teuer. Doch 16 Folgen hochwertiges, zeitgemäßes Serienfernsehen, das dem internationalen Vergleich standhält, fallen einem nicht vor die Füße. Zum Vergleich: Bei der Netflix-Serie "House of Cards" werden allein 8 Millionen Euro für eine Folge von 45 Minuten ausgegeben. Bei 13 Episoden kommt die US-Serie so mal ganz schnell auf über 100 Millionen Produktionsbudget, also fast dreimal so viel, wenn man bedenkt, dass "Babylon Berlin" gleich 16 Episoden à 45 Minuten Laufzeit bietet.

"Babylon Berlin": Sittengemälde statt Geschichtsstunde

Vor allem: Es hat sich gelohnt. Die Kriminalgeschichte um den Kölner Ermittler Gereon Rath (Volker Bruch), der nach Berlin versetzt wird, um einen brisanten Fall aus dem Berliner Pornoring aufzuklären, ist hochspannend erzählt. Die Bilder aus dem Berlin von 1929 atmen beeindruckendes Zeitkolorit, die Kulissen bieten großes Kino. Sowohl das abgerockte Arbeitermilieu der Weimarer Republik um die Großfamilie von Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) als auch die prunkvolle, überschäumende Partygesellschaft des legendären Tanzclubs "Moka Efti" in der Friedrichstraße zeichnen ein dichtes Sittengemälde zwischen prekären Arbeiterverhältnissen und hemmungsloser Vergnügungssucht.

Ausgerechnet diese Vergnügung, der Porno und die Prostitution, nimmt die BILD (!) zum Anlass, um als moralischer Sittenverfechter zu fragen: "Muss man den Vater der Bundesrepublik wirklich zu einem Sadomaso-Freier machen?" Das führt uns zur Storyline der Ermittlungen: Der Sittenkommissar Gereon Rath soll verhindern, dass ein Porno in die falschen Hände gerät. Die BILD fasst das so zusammen: "Ein Kölner Kommissar wird 1929 nach Berlin geschickt, soll einen heimlich gedrehten Sex-Film mit Adenauer und zwei Prostituierten beschaffen."

Richtig ist, dass Herr Dr. Adenauer erpresst wird, denn in der Serie fällt dieser Satz: "Der Oberbürgermeister von Köln wird erpresst - Herr Dr. Adenauer." Doch an keiner Stelle ist die Rede davon, dass Adenauer derjenige ist, der auf diesem Sexfilm mit zwei Prostituierten zu sehen ist. Ein Oberbürgermeister könnte genauso gut erpresst werden, wenn: a) sein engster Vertrauter einen Porno gedreht hat, b) jemand aus seiner Partei/seiner Fraktion beteiligt ist oder c) ein Familienmitglied von Adenauer drinsteckt. Diese Optionen sind der BILD Zeitung allerdings keine Erwähnung wert, geschweige denn eine Schlagzeile.

Romanvorlage, Serienumsetzung: Fiktion vs Realität

Immer wieder betonen die Macher, dass "Babylon Berlin" damit spielt, Sachen zu machen, die historisch nicht korrekt sind. Die Serie sei kein verlängerter Historienfilm, sondern eine Fiktion im Gewand der 20/30er-Jahre. Das Ganze beruht auf dem Bestseller von Volker Kutscher, "Der nasse Fisch". Auch wenn "Babylon Berlin" Kutschers Vorlage nur als loses Gerüst verwendet, war der Schriftsteller selbst bei den Dreharbeiten dabei: "Herr Kutscher ist auch ganz zufrieden. Er war inzwischen oft am Set und ist ein richtiger Fan der Serie", verriet Produzent Stefan Arndt damals gegenüber TV SPIELFILM.

Die BILD wollte nachhaken, auch wenn wir nie erfahren werden, welche Frage die Boulevardzeitung genau gestellt hat. Im Text zur "Adenauer"-Schlagzeile steht, Kutscher distanziere sich: "Das ist eine Sache, die im Roman nicht vorkommt", so das gedruckte Zitat. Welche Sache? Die von der BILD erfundene "Sache", dass Adenauer im Sex-Film mitspielt? Oder dass Adenauer als Handlungsfigur im Roman "Der nasse Fisch" auftaucht? Selbst letzteres spielt doch gar keine Rolle, denn Änderungen an der Vorlage sind so normal, wie lüsterne Sex-Bildchen in der BILD.

Um das Fass richtig aufzureißen, fragt BILD auch noch die Konrad Adenauer Stiftung und den Enkel Konrad Adenauer. Beide dürfen sich fassungslos zeigen, empören und die moralische Integrität des ersten deutschen Bundeskanzlers, der von 1949 bis 1963 die Regierungsgeschicke der Bundesrepublik Deutschland leitete, unterstreichen. Historisch korrekt ist im Übrigen, dass Konrad Adenauer vor seiner bundespolitischen Karriere von 1917 bis 1933 Oberbürgermeister der Stadt Köln war.

Ob Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries für ARD (ab Herbst 2018 verfügbar) und Sky eine 16-Folgen starke Adenauer-Beschmutzung inszeniert haben, ist jedenfalls stark zu bezweifeln. Viel eher ist davon auszugehen, dass es sich auf dem besagten Bild des Pornofilmchens eben nicht um Konrad Adenauer handelt. Immerhin wurde die Serie bereits erfolgreich in über 60 Länder verkauft. Nicht, dass die Amerikaner die Serie noch wegen ihrer "fake news" rügen. Der Unterschied zwischen Fiktion und Realität scheint in den USA derzeit ähnlich zu verschwimmen, wie in den Redaktionsräumen der BILD-Zeitung.

"Babylon Berlin": Diskussion, Kritik, Hintergrund

Hemmungslos vergnügt und feurig brisant: Das Berlin von 1929 ist eine Metropole der Gegensätze. Während die Partygesellschaft im legendären Tanzlokal "Moka Efti" Sex, Drogen und Luxus frönt, kollidieren linke Demonstranten und die Polizei beim Blutmai. Mit "Babylon Berlin" ist eine nie dagewesene deutsche Serienproduktion gelungen, optisch und dramaturgisch auf der Höhe der Zeit. Dennoch hat die 38-Millionen-Euro-Produktion auch Schwächen: Die Redakteure Kruse, Meyer und Sowa nehmen die erste Doppelfolge auseinander: vom hypnotischen Einstieg (4:10) bis zum grandiosen Finale (7:20). Dazwischen thematisieren sie Konrad Adenauers Verbindung zur Pornoszene (14:57), Berlin als Adventskalender für Perverse (30:05), die Ausstattung (34:58), Bezüge zur Gegenwart (1:03:26) und die leidige GEZ-Diskussion (1:10:58).



"Babylon Berlin"-Podcast bei iTunes