Klar, die Produktion war aufwändig, opulent und teuer. Doch 16 Folgen hochwertiges, zeitgemäßes Serienfernsehen, das dem internationalen Vergleich standhält, fallen einem nicht vor die Füße. Zum Vergleich: Bei der Netflix-Serie "House of Cards" werden allein 8 Millionen Euro für eine Folge von 45 Minuten ausgegeben. Bei 13 Episoden kommt die US-Serie so mal ganz schnell auf über 100 Millionen Produktionsbudget, also fast dreimal so viel, wenn man bedenkt, dass "Babylon Berlin" gleich 16 Episoden à 45 Minuten Laufzeit bietet.
"Babylon Berlin": Sittengemälde statt Geschichtsstunde
Ausgerechnet diese Vergnügung, der Porno und die Prostitution, nimmt die BILD (!) zum Anlass, um als moralischer Sittenverfechter zu fragen: "Muss man den Vater der Bundesrepublik wirklich zu einem Sadomaso-Freier machen?" Das führt uns zur Storyline der Ermittlungen: Der Sittenkommissar Gereon Rath soll verhindern, dass ein Porno in die falschen Hände gerät. Die BILD fasst das so zusammen: "Ein Kölner Kommissar wird 1929 nach Berlin geschickt, soll einen heimlich gedrehten Sex-Film mit Adenauer und zwei Prostituierten beschaffen."
Richtig ist, dass Herr Dr. Adenauer erpresst wird, denn in der Serie fällt dieser Satz: "Der Oberbürgermeister von Köln wird erpresst - Herr Dr. Adenauer." Doch an keiner Stelle ist die Rede davon, dass Adenauer derjenige ist, der auf diesem Sexfilm mit zwei Prostituierten zu sehen ist. Ein Oberbürgermeister könnte genauso gut erpresst werden, wenn: a) sein engster Vertrauter einen Porno gedreht hat, b) jemand aus seiner Partei/seiner Fraktion beteiligt ist oder c) ein Familienmitglied von Adenauer drinsteckt. Diese Optionen sind der BILD Zeitung allerdings keine Erwähnung wert, geschweige denn eine Schlagzeile.
Romanvorlage, Serienumsetzung: Fiktion vs Realität
Immer wieder betonen die Macher, dass "Babylon Berlin" damit spielt, Sachen zu machen, die historisch nicht korrekt sind. Die Serie sei kein verlängerter Historienfilm, sondern eine Fiktion im Gewand der 20/30er-Jahre. Das Ganze beruht auf dem Bestseller von Volker Kutscher, "Der nasse Fisch". Auch wenn "Babylon Berlin" Kutschers Vorlage nur als loses Gerüst verwendet, war der Schriftsteller selbst bei den Dreharbeiten dabei: "Herr Kutscher ist auch ganz zufrieden. Er war inzwischen oft am Set und ist ein richtiger Fan der Serie", verriet Produzent Stefan Arndt damals gegenüber TV SPIELFILM.
Die BILD wollte nachhaken, auch wenn wir nie erfahren werden, welche Frage die Boulevardzeitung genau gestellt hat. Im Text zur "Adenauer"-Schlagzeile steht, Kutscher distanziere sich: "Das ist eine Sache, die im Roman nicht vorkommt", so das gedruckte Zitat. Welche Sache? Die von der BILD erfundene "Sache", dass Adenauer im Sex-Film mitspielt? Oder dass Adenauer als Handlungsfigur im Roman "Der nasse Fisch" auftaucht? Selbst letzteres spielt doch gar keine Rolle, denn Änderungen an der Vorlage sind so normal, wie lüsterne Sex-Bildchen in der BILD.
Ob Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries für ARD (ab Herbst 2018 verfügbar) und Sky eine 16-Folgen starke Adenauer-Beschmutzung inszeniert haben, ist jedenfalls stark zu bezweifeln. Viel eher ist davon auszugehen, dass es sich auf dem besagten Bild des Pornofilmchens eben nicht um Konrad Adenauer handelt. Immerhin wurde die Serie bereits erfolgreich in über 60 Länder verkauft. Nicht, dass die Amerikaner die Serie noch wegen ihrer "fake news" rügen. Der Unterschied zwischen Fiktion und Realität scheint in den USA derzeit ähnlich zu verschwimmen, wie in den Redaktionsräumen der BILD-Zeitung.
"Babylon Berlin": Diskussion, Kritik, Hintergrund
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