Anschläge, Geiselnahmen, tote Terroristen. Rekord-Grimme-Preisträger (zehnmal) Dominik Graf über den Deutschen Herbst als Hintergrund für seinen TV-Krimi.

Wie viel Wirklichkeit erzählt Ihr Tatort?
Dominik Graf: Es ist die Story eines in die Jahre gekommenen Ex-RAFlers, der früh vom Verfassungsschutz instrumenta­lisiert wurde und den es wirklich gab. Jetzt ist er angeblich tot. Was er wirklich gemacht hat im Herbst 77, ist nicht hundertprozentig belegt.

Zuletzt hörte man von RAF-Mitgliedern, die mit Überfällen ihren Lebensabend finanzieren.
Die haben sich ereignet, während wir im Begriff waren, diesen Tatort zu planen. Plötzlich wurde die Geschichte der RAF-Rentner öffentlich, und wir haben die mit eingebaut.

Wie schwierig ist es, an ein in vielen Teilen unbekanntes Stück Zeitgeschichte zu erinnern?
Gar nicht so schwierig. Es gilt, die Fakten so zu sortieren, dass es auch für jene, die den Deutschen Herbst damals mitbekommen haben, vielleicht noch mal eine spannende Auseinandersetzung ist. Die Quintessenz dieser ­Geschichte ist ja, dass der Ver­fassungsschutz mit der RAF ­zusammengearbeitet hat. Eine Unglaublichkeit, die sich in verschiedensten Variationen bis heute wiederholt.

Sie spielen auf den NSU und den Zschäpe-Prozess an.
Auch beim Berliner Attentäter Anis Amri scheint etwas schiefgelaufen zu sein. Der Verfassungsschutz wusste mehr, als man zunächst dachte.

Selbiges vermuten Sie auch im Fall des ermordeten Generalbundesanwalts Buback, über den Sie an einem TV-Zweiteiler arbeiten.
Ja. Michael Buback behauptet, Verena Becker, die Verbindungen zum Verfassungsschutz hatte, sei die Mörderin seines Vaters. Demnach wäre es nicht auszuschließen, dass man im Amt von den Anschlagsplänen gewusst hat. Schlimmste bananenrepublikanische Verhältnisse also.

"Tatort: Der rote Schatten": Dominik Graf im Interview

imago

Der deutsche Regisseur Dominik Graf

Ihr Tatort zitiert zu Beginn die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin.
Das ist ein Satz, den auch Joan Baez gesungen haben könnte, und das ist jetzt kein Schickeria-Schäkern mit der Rote-Armee-Fraktion. Ensslin hat Dinge ausgesprochen, die nicht nur zum damaligen Zeitpunkt eine Bombe waren. Worte als Bombe, die noch heute zündet.

Eine Bombe lassen Sie auch los: Der Film zeigt eine Verschwörungsversion der Todesnacht von Stammheim. Keine Skrupel, einen Mythos wiederzubeleben?
Nein. Man muss diesbezüglich noch einmal hervorheben, dass der SWR, namentlich Brigitte Dithard, überhaupt keine Pro­bleme damit hatte, zwei mögliche Variationen der Stammheim-Nacht zu zeigen. Als wir die Muster gesehen haben - die Szenen wurden auf Super 8 gefilmt und kamen erst spät aus der Entwicklung -, hatten wir das Gefühl: Es sieht aus, als hätte damals ­jemand mitgefilmt.

Die Ensslin-Hinrichtung geht ganz schön an die Nieren.
Von den Jüngeren hat damals keiner geglaubt, dass sich die RAF-Leute selbst umgebracht haben. Irmgard Möller behauptet heute noch, dass sie alle vier in der Nacht überfallen wurden. Es gab ja auch die Theorie, dass Baader nach Mogadischu ge­flogen, nach der Befreiung der "Landshut"-Geiseln umgebracht und in die Zelle gelegt wurde.

Wie konnten solche Gerüchte entstehen?
Durch all das, was bei der Ermittlung schieflief. Eine Anhäufung von Schlampereien und Fehlern, die sich manche wohl nur mit Absicht erklären konnten. Übrigens, es ist schon seltsam, wir haben immer wieder Terroristen aus verschiedenen Lagern, die unter VfS-Überwachung oder in deutschen Gefängnissen zu Tode kommen.

Ein ideales Sujet für einen Thrillerplot, oder?
Ich denke, der Thriller sollte nicht zu viel Rücksicht auf die Zeitgeschichte nehmen, weil er erst mal im Dienst der Spannung steht. Wir sollten mit dem, was uns quält, unverschämter und offener umgehen. Warum nicht das Unwahrscheinliche denken? Wir haben oft genug erlebt, dass die irrsten Theorien die richtigen waren.