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"Blindspot" auf Sat.1

Versteckte Botschaften

In Serien wie "Blindspot" lohnt ein Blick auf die Folgentitel, denn die gehören oft zum Gesamtkunstwerk. Von "The Big Bang Theory" bis "How to Get Away with Murder": DAS hat es mit den Titeln auf sich.

Tatoos stehen im Zentrum des Thrillers "Blindspot". Sie zieren die Haut einer Frau ohne Gedächtnis und bil­den Hinweise für das FBI. Doch Serienboss Martin Gero will nicht nur seine Figuren rätseln lassen: Der Zuschauer kann es auch. Denn die kryptischen Titel der einzelnen Folgen wie "Eight Slim Grins" oder "Sent on Tour" sind Anagramme und lassen sich durch Schütteln zu "The Mis­sing Girl" oder "Trust No One" umformen und ergeben aneinan­dergehängt Hinweise.

Es ist das bisher komplexeste Spiel mit Folgentiteln, das Serienmacher seit Jahrzehnten betreiben. Statt grobe Inhaltsbeschreibungen zu liefern, huldigen sie lieber Musikstars, veralbern augenzwinkernd Filme oder denken sich andere schräge Konzepte aus. Allerdings scheint sich das nicht bis zu den hiesigen Titel­verantwortlichen herumgesprochen zu haben. Denn wer sich die deutschen Episodentitel anschaut, findet weder die Reime von "Batman", die Farbwelt von
"The Mentalist" noch die Songs von "Grey's Anatomy".

Und wer bei "Blindspot" den deutschen Titel der dritten Folge "Vertraue niemandem" schüttelt, kommt vielleicht auf Sätze wie "Edamer­-Auen vermint" oder "Väter darum meinen" - mit der Serie hat das jedoch nichts zu tun. Auf Nachfrage erklärte Sat.1, es versucht zu haben, aber das Konzept sei nicht umsetzbar gewesen.

Somit wurde den deutschen Zuschauern der Reiz des Mitratens genommen. Schade eigentlich.
Der ganze Titel ist ein Quiz
Kein Koffer in Berlin, aber eine Tasche in New York: Jane Doe (Jaimie Alexander) sucht ihre Identität
"Who Has Jointed" heißt die erste Folge des neuen Sat.1-Thrillers "Blindspot" im Original. "Kummer ist eingetreten" klingt sonderbar. Kein Wunder. Der Titel ist ein Anagramm, das erst nach Umstellen der Buchstaben seine eigentliche Bedeutung enthüllt. Wenn man genügend schüttelt, ergibt sich die Phrase "Who is Jane Doe". Macht man dies auch mit den Titeln der kommenden Episoden, ergibt sich ein Hinweis auf die Lösung - so wie einst vier Episodentitel von "Breaking Bad" einen Spoiler für das Finale der zweiten Staffel darstellten. Ab der elften Folge von "Blindspot" beginnt dann ein zweiter Satz.
Nerdalarm!
"The Lunar Excitation", "The Peanut reaction": Selbst Nichtwissenschaftler erkennen hinter den Originaltiteln von The Big Bang Theory ein Muster. Sie sind so angelegt, dass man sie für wissenschaftliche Theorie halten kann. Noch nerdiger geht es bei der Hackerserie Mr. Robot zu. Deren Titel wie "4_3xpl0its.wmv" sind Dateinamen.
Bitte gib mir nur ein Wort
Manche würden es faul nennen, andere nennen es Minimalismus: die Macher der Superheldenserie Smallville und des VOX-Thrillers Revenge begnügten sich damit, ihre Folgen mit nur einem Wort zu umschreiben - und zumindest bei "Revenge" haben sogar die deutschen Titelverantwortlichen den Gag verstanden. Anderen war das nicht Herausforderung genug: in der ersten Staffel von Better Call Saul erhöhte man den Schwierigkeitsgrad, indem die einzelnen Wörter auf O enden müssen. Bei Quantico muss der Titel mit dem letzten gesprochenen Wort der Episode korrespondieren. Einen ganz besonderen Spaß haben sich die Macher von Nikita (1997-2001) erlaubt, bei denen die Anzahl der Wörter im Titel mit der jeweiligen Staffel korrespondieren. Und bei The Good Wife gaben die Titel im Nachhinein sogar einen Hinweis auf das Ende: denn ab Staffel fünf nahm die Länge der Folgentitel plötzlich ab und landete in der siebten und letzten Staffel wieder bei einem Wort.
The Sound of Music
Die mit Abstand beliebteste Inspiration sind Lieder. Als eine der ersten Serien spielte Alf damit, die sich mit "Strangers in the Night" oder "Jump" an den Mainstream wandte. Auch Grey's Anatomy, die im Soundtrack Indie-Bands eine Plattform gab, ist in den Folgentiteln eher populär - von "A Hard day's Night" bis "Unbreak My Heart". Die höhere Kunst ist die Spezialisierung. Cougar Town huldigte Tom Petty, und Eli Stone nutzte nur Songtitel von George Michael - und konnte ihn so sogar zu einem Gastauftritt bewegen. Allerdings ist das Repertoire begrenzt, und lang laufende Serien verbrauchen schnell das Material. Daher wechselte die Agentenserie Covert Affairs mit jeder Staffel die Band, von Led Zeppelin über R.E.M. und David Bowie bis zu The Pixies und Pavement.
Das literarische Quartett
Eigentlich vermutet man Literaten und Kunstexperten ja eher in Bibliotheken und Galerien als am Fernseher. Aber auch sie werden mit speziellen Serientiteln abgeholt. So konterkariert Empire seine Hip-Hop-Geschichten mit Folgentiteln, die William Shakespeare entlehnt wurden. Die Desperate Housewives nutzte Macher Marc Cherry, um seine Verehrung von Musiktheater-Gott Stephen Sondheim zu dokumentieren. Die Klonserie Orphan Black huldigt gleich mit jeder Staffel einem anderen: erst Charles Darwin, dann Sir Francis Bacon und schließlich Dwight D. Eisenhower und der Feministin Donna Haraway. In Brotherhood muss man Nachschlagearbeit leisten, um dem Sinn der Episode auf die Spur zu kommen. Denn die Titel geben nur eine Fundstelle an. in der ersten Staffel Bibelverse wie "Matthäus 5:6" und in der zweiten Staffel Bob-Dylan-Songtexte, zum Beispiel "Shelter from the Storm, Vers 1, Zeile 1-2".
Die Folge mit dem Muster
Die Macher von Friends wussten, dass sich keiner Folgentitel merkt, sondern in Gesprächen nur von "der Folge, in der..." redet. Also heißen sie alle "The One...", gefolgt von einer erinnerungswürdigen Umschreibung. Ein ähnliches Muster findet sich häufig. Bei Chuck heißt jede Folge "Chuck versus...", bei Hinterm Mond gleich links kommt in jedem Titel "dick" vor, bei Monk "Mr. Monk". Allerdings hat "Friends" dieses Muster nicht erfunden. Bei Solo für O.N.C.E.L. hieß schon in den 60ern jede Folge "The... Affair". Die Netflix-Serie Jessica Jones stellt immer ein AKA vor, weil der Arbeitstitel der Serie "AKA Jessica Jones" lautete, und bei The L Word ist jeder Titel - nun ja - ein L-Wort. Den größten Sinn für Selbstironie hatte jedoch O. C., California. Weil sich alle darüber lustig machten, dass keiner in Orange County "the O. C." sagt, steht vor jedem Titel ein The, was unter anderem zur absurden Folge "The My Two dads" führte.
Die Kalauer
Serien bedienen sich gern bei Songs (hatten wir schon), aber auch bei Filmen. Um nicht ganz unoriginell zu wirken (und wohl auch um urheberrechtliche Konflikte zu vermeiden), wird das Material dann aber für die Serien verballhornt. Vorreiter war die Kriegssatire M*A*S*H, die z. B. eine Folge in Anspielung auf "die Caine war ihr Schicksal""The Novocaine Mutiny" taufte. Eine der ersten Serien, die dies konsequent durchzog, war die Hexensoap Charmed mit Folgen wie "Y Tu Mummy Tambien", "Nymphs Just Wanna Have Fun" oder "Morality Bites". Etwas origineller ging es bei Gossip Girl zu, die sich Folgen wie "The Wild Brunch", "Much ‚i do‘ About Nothing" oder "New Haven Can Wait" gönnte. Aktuell kalauert die Sixx-Serie iZombie. Mal schlechter ("Fifty Shades of Grey Matter") und mal besser ("Eternal Sunshine of the Caffeinated Mind").
Poesiealbum
Die trashige TV-Serie Batman von 1966 ist Kult - auch dank ihrer Episodentitel, die nach dem Motto "reim dich, oder ich fress dich" entstanden. Zwei Folgen ergeben einen Reim: "The Joker is Wild / Batman is riled". Die deutschen Verantwortlichen kapierten den Witz nicht und machten Teil 1 + 2 draus. Auch bei der Comedy Voll daneben, voll im Leben fielen die Reime unter den Tisch.
Sammelsurium
Der Mentalist-Widersacher Red John prägt jeden Folgentitel: immer kommt "rot" oder eine Referenz darauf wie "Blut" vor. Sogar die Folge
"18-5-4": Sie bezeichnet die Platzierung der Buchstaben R-E-D im Alphabet. +++ Die Pretty
Little Liars
jagen die mysteriöse A, weshalb in
jedem Titel ein A mitten im Wort großgeschrieben ist. +++ Das remake von Hawaii Five-O zeigt seine Verbundenheit
zum 50. US-Bundesstaat, indem alle Folgentitel aus hawaiianischen Wörtern bestehen. +++ Pikant: Die Kannibalenserie Hannibal betitelt ihre Folgen mit kulinarischen Begriffen. +++ Nomen est omen gilt auch bei Devious Maids: die erste Staffel wurde nach Hausarbeiten benannt wie "Tisch decken" oder "Gassi gehen".
Frisch zitiert
Eine der beliebtesten Arten, Folgentitel zu finden, ist, einfach ein Zitat aus der Folge zu nehmen. Die Sopranos war eine der ersten Serien, die dies praktizierte. Massenkompatibel wurde das Ganze dann mit Two and a Half Men und dadaistischen Titeln wie "A Low, Gutteral Tongue Flapping Noise". Seither wurde das Prinzip auch von The Event, dem HBO-Western Deadwood oder How to Get Away with Murder angewendet.