Majestic

Dramatische Szenen in der "Nordwand"

"Ach, es geht nicht ..." Dies sind laut historischer Überlieferung die letzten Worte des Berchtesgadener Bergsteigers Toni Kurz, der im Juli 1936 die Erstbesteigung der Eiger-Nordwand in Angriff genommen hatte. Kurz erfriert, nachdem er eine Nacht in der eisigen Hölle überlebt hatte, am Seil hängend und in Rufweite seiner verzweifelten Retter, die ihn aber nicht erreichen können.

Einen schrecklicheren Tod mag man sich kaum vorstellen - und einen dramatischeren, packenderen Plot für einen Kinofilm auch nicht. So sah es auch Philipp Stölzl, ein Werbe- und Musikclipfilmer, Opern- und Filmregisseur, dessen bislang einzige Arbeit für die Kinoleinwand das viel gelobte Arthouse-Drama "Baby" war.

Bilder Nordwand

Die deutsch-niederländische Co-Produktion kam 2002 ins Kino und fand exakt 5020 zahlende Zuschauer. Nicht die beste Visitenkarte für eine Kino-Großproduktion wie "Nordwand" - und eben deshalb eine riesige Herausforderung für den 1967 in München geborenen Stölzl: Nach dem Independentfilm sollte sein nächstes Projekt deutlich kommerzieller werden.

Die Crew geriet in einen Schneesturm

Mission geglückt. Gedreht wurde viel an Originalschauplätzen, erst fast dokumentarisch mit einem Team ohne Schauspieler, später filmte man die genau geplanten Szenen mit Darstellern. Die Crew geriet in einen Schneesturm, der auf der Leinwand effekttechnisch verstärkt wurde. Den Unterschied merkt man nicht, im Gegenteil: Realistischer kann man im Kino nicht zu virtuellen Stürmen frieren.

Tipps holte sich Philipp Stölzl auch vom schottischen Regisseur Kevin Macdonald ("Der letzte König von Schottland"), dessen Anden-Dokudrama "Sturz ins Leere" 2003 Maßstäbe setzte.

Inhalt:

Im Sommer 1936 gilt die Eiger-Nordwand im Berner Oberland als "Das letzte Problem der Westalpen". Jeder Bergsteiger träumt von der Durchsteigung der "Mordwand" und das NS-Regime, allen voran Adolf Hitler, sähe es nur zu gern, wenn dieses Problem von deutschen Kletterern gelöst werden würde. Ein Triumph auf dem Eiger wäre im Vorfeld der Olympischen Spiele in Berlin ein imageträchtiger Kantersieg.

Allerdings entscheiden sich die Deutschen Toni Kurz (Benno Fürmann) und Andi Hinterstoisser (Florian Lukas), die eine reelle Chance hätten, zunächst gegen eine Besteigung. Die von der Redaktion der Berliner Zeitung in ihre Heimat Berchtesgaden entsandte Volontärin Luise (Johanna Wokalek), die beide Bergsteiger seit Kindertagen kennt, kehrt ohne Story zurück.

"Wir brauchen einen spektakulären Triumph oder eine große Tragödie"

Trotzdem nimmt der nazitreue Redakteur Henry Arau (Ulrich Tukur) sie mit in die Schweiz, ins Luxushotel Bellevue, von dessen Terrasse aus die Weltpresse per Fernrohr ganz bequem die Kletterversuche beobachtet. Mittlerweile hat Arau die Österreicher Willy Angerer (Simon Schwarz) und Edi Rainer (Georg Friedrich) vorausgreifend heim ins Reich geholt (der Anschluss Österreichs folgte 1938).

Dass beide Mitglieder der SS sind, passt ihm nur zu gut in seinen Propaganda-Artikel. Im Schatten der gewaltigen Fels- und Eiswand kampieren inzwischen Teams aus Italien und Frankreich - und plötzlich tauchen auch Toni und Andi dort auf. Mit dem Fahrrad sind sie in die Schweiz gekommen, um auf ihrer eigenen Route die Wand zu durchsteigen. Als sie am Morgen des 18. Juli 1936 aufbrechen ( siehe Mythos Eiger), folgt das österreichische Team ihrer Route.

Nachdem einer der beiden von einem Stein verletzt wird, entschließt sich die nun auf vier Mann angewachsene Seilschaft zum Rückzug. Schlagartig verlieren die Reporter das Interesse an der Geschichte. "Was wir brauchen, ist ein spektakulärer Triumph oder eine große Tragödie", erklärt Arau, der bereits zur Abreise rüstet, und fügt hinzu: "Deutsche Helden hätten wir aus den beiden sowieso nicht machen können."

Fazit: Großes Kino

Doch das Drama nimmt hier erst seinen Anfang. "Nordwand" ist im wahrsten Sinne des Wortes großes Kino: grandiose Optik, dramatische Story, packend und authentisch erzählt, auch wenn das historische Umfeld um Großdeutschlands Erwachen hier nicht mehr als Hintergrund ist. Ein Manko: Die Filmmusik schwelgt manchmal gar zu sehr. Dafür bleibt die nur angedeutete Liebesgeschichte zwischen Benno Fürmann und Johanna Wokalek (deren Filmfigur es in Wirklichkeit nicht gab) zum Glück genau das: angedeutet.

V. Bleeck

Trailer "Nordwand"