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Netflix-Serie "Criminal": Darum ist der neue Krimi-Titel so einzigartig

Sylvester Groth in der Netflix-Serie Criminal
Sylvester Groth in der Netflix-Serie "Criminal" Sender

Netflix überträgt das Franchise-System auf Serien: dieselben Kulissen, das gleiche Konzept, aber andere Stars vor und hinter der Kamera. Showrunner George Kay erklärt uns seine Idee.

"Unsere Serie ist das Ende der Remakes", erklärt uns Autor George Kay stolz, als er von seiner Krimireihe erzählt. "Ab jetzt ist es möglich, diese Dinge gleichzeitig zu drehen." Wenn am 20. September "Criminal" bei Netflix startet, dürften sich die Kunden erst einmal verwundert die Augen reiben. Denn die Serie belegt gleich vier Felder auf der Netflix-Startseite: "Criminal: Spanien", "Criminal: Frankreich", "Criminal: United Kingdom" und "Criminal: Deutschland". Logisch, dass sich jeder erst einmal fragen wird: Muss ich mir das alles anschauen?

Tatsächlich wirkt auf den ersten Blick vieles an den Serien redundant. Alle vier wurden in den identischen Kulissen der neuen Madrider Studios "Casa Netflix" gedreht. In drei Räumen (ein Verhörzimmer, ein Beobachtungsraum der Polizei und eine Eingangshalle) verhören Ermittler aus den verschiedenen Ländern ihre Verdächtigen. Doch blickt man auf die Details, zeigen sich recht schnell die Unterschiede.

Criminal: Andere Jahreszeiten

"Jede Version der Serie spielt in einer anderen Jahreszeit", erklärt Kay. "Die französische spielt im Frühling, die spanische im Sommer, die deutsche im Herbst und die englische im Winter. Und diese Stimmung spiegelt sich auch in der Polizei und ihrem Verhalten wider."

In Deutschland werden die Ermittler von Sylvester Groth ("Deutschland 86"), Florence Kasumba ("Black Panther") und Eva Meckbach ("Tatort") gespielt, in Großbritannien übernehmen Lee Ingleby ("George Gently"), Nicholas Pinnock und Katherine Kelly ("Coronation Street"), in Spanien unter anderem Emma Suarez ("Julieta") und in Frankreich Laurent Lucas ("Lemming"). Doch die wahre Starpower wartet auf der Seite der Verdächtigen: David Tennant ("Doctor Who"), Nathalie Baye ("Nox"), Peter Kurth ("Babylon Berlin") und Nina Hoss ("Barbara") sind nur einige der Namen, die sich den zermürbenden Verhören stellen müssen.

Reale Inspiration

George Kay, der zuvor u. a. an "Killing Eve" mitgeschrieben hat, kam die Idee zu der Serie, während er im TV ein Interview mit einem realen Mordverdächtigen sah. "Die gesamte Stunde war ich gefesselt. Jede Kopfbewegung, jede Hebung der Augenbraue, jedes kleine Detail wirkte wichtig. Da wurde mir klar, dass etwas Intimes mit einem guten Darsteller sich genauso groß wie eine Autoverfolgung oder ein Special-Effects-Spektakel anfühlen kann."

Die Faszination von Verhören haben sich in den letzten Jahren schon mehrere Serien zunutze gemacht. Die Gespräche der "Mindhunter" mit Massenmördern bereiteten vielen Zuschauern Albträume und die britische Polizeiserie "Line of Duty" ist gerade wegen ihrer minutenlangen, wendungsreichen Vernehmungen in Großbritannien ein Quotenrenner geworden. Hier wie dort fasziniert, wie es den Machern gelingt, sich trotz des eingeschränkten Settings nicht zu wiederholen.

Mauerfall & Terroranschlag

Auch den vier "Criminal"-Serien gelingt es, facettenreiche Geschichten zu erzählen, die oft auch die Identität des produzierenden Landes widerspiegeln. "Unser deutscher Autor Bernd Lange und sein Regisseur Oliver Hirschbiegel haben eine fantastische erste Folge gedreht, in der es um die Frage von Identität nach dem Mauerfall geht", schwärmt Kay. "Diese Folge hätte kein anderes Land der Welt so schreiben können." Das Gleiche gilt für die Auftaktepisode aus Frankreich, in der eine junge Frau verhört wird, die während des Terroranschlags im November 2015 im Bataclan-Theater war. Die Ermittler wollen überprüfen, ob sie wirklich dabei war oder – wie einige reale Fälle – sich nur Geld aus dem Opferfond erschleichen will.

In beiden Episoden geht es um mehr als nur die Frage nach Schuld oder Unschuld, erklärt der Showrunner: "Die viel interessantere Frage lautet, wer die Menschen sind und warum sie diese Tat begangen haben." Hinzu kommen unterschiedliche Nuancen der Befragungen in den einzelnen Ländern. "Bei der Bataclan-Folge war die Verdächtige zum Zeitpunkt des Verhörs noch nicht verhaftet. Dem Regisseur Frédéric Mermoud war es daher sehr wichtig, dass wir beachten, was in so einer Situation erlaubt ist und was nicht. Und in Großbritannien gibt es ein Zeitlimit von 36 Stunden für eine Vernehmung, was wir für die Episode mit David Tennant als Spannungsmoment genutzt haben."

Criminal: Es gibt noch viel Stoff

Genau diese Unterschiede sind auch Ansatzpunkte für eine Erweiterung des Universums, sollte "Criminal" Erfolg haben. "Die Italiener verhören beispielsweise ganz anders als die Cops in unseren vier Serien", träumt Kay. "Und in Japan soll es angeblich nicht möglich sein, jemanden vor Gericht zu stellen, solange er nicht gestanden hat. Deshalb können die Vernehmungen dort über einen viel längeren Zeitraum andauern."

Die Infrastruktur für eine solche Ausweitung des "Criminal"-Universums ist zumindest vorhanden. Doch das sind Zukunftsvisionen. Für den Anfang hat George Kay noch bescheidenere Ambitionen. "Unser Wunsch ist es erst einmal, weitere Geschichte mit diesen Polizisten erzählen zu dürfen."