Gleich zu Beginn ein wichtiger Disclaimer: Dieser Text ist voller Spoiler für die ersten drei Folgen der "The Last of Us"-Serie und spoilert zudem die ersten 4-5 Stunden der "The Last of Us"-Videospielvorlage!
"The Last of Us" ist ein Geniestreich – das gilt ohne Zweifel für das Videospiel von 2013, welches damals den Gaming-Markt mit einer kinoreifen Story, komplexen Charakteren und einer sensationellen Inszenierung revolutionierte. Die nun 10 Jahre später erschienene Serie steht dem in nichts nach. Meist folgt sie nahezu Wort für Wort, Kameraeinstellung für Kameraeinstellung dem Spiel. Zumindest war das in den ersten zwei Folgen so – und wird ab Folge 4 (so viel darf man vorab verraten) größtenteils so weitergehen.
Doch die überlange Folge 3 sticht heraus. Sie basiert kaum auf Inhalten des Spiels und erzählt eine eigene kleine Geschichte. Die Hauptfiguren der Serie, Joel (Pedro Pascal) und Ellie (Bella Ramsey), tauchen nur am Anfang und am Ende kurz auf. Das ist erstmal gewöhnungsbedürftig und sehr ungewöhnlich. Aber das Wagnis geht auf: Diese 75 Minuten gehören zu dem bemerkenswertesten, was je in einer TV-Serie zu sehen war.
"The Last of Us"-Folge 3: Die Liebe in Zeiten des Weltuntergangs
Joel und Ellie sind in Folge 3 auf sich alleingestellt, da Tess (Anna Torv) die Ereignisse der vorherigen Episode nicht überlebt hat. Doch sie sind nur kurz im Bild, dann erzählt die Folge wieder vom Beginn der Apokalypse vor 20 Jahren: Vom Verschwörungstheoretiker Bill (Nick Offerman), der in seinem Keller-Bunker ausharrt, als die Stadt geräumt wird, und sich entscheidet, sein Leben jetzt in vollen Zügen zu genießen. Menschen konnte er eh nie leiden, also umso besser, dass er nun ganz allein ist. Er plündert die Geschäfte, er stellt einen Zaun um die Stadt herum auf und legt dutzende von Fallen aus, damit die Untoten in diese reinlaufen und er auf ewig ganz allein seine Ruhe haben kann.
Natürlich klappt das nicht, denn ihm geht nach einiger Zeit ein Mensch, Frank (Murray Bartlett), in die Falle. Statt ihn umzubringen, nimmt er ihn bei sich auf – und sie kommen sich näher. Von da an erzählt "The Last of Us" eine volle Stunde lang eine schwule Liebesgeschichte, die über ein Jahrzehnt andauert. Frank und Bill verlieben sich, schlafen miteinander, streiten sich, versöhnen sich, überleben einen Angriff von außen, freunden sich mit Menschen aus der Umgebung an (nämlich: Joel und Tess) und sind glücklich, während die Welt um sie herum in Flammen steht. Doch dann wird Frank krank, unheilbar krank und eröffnet Bill eines Morgens, dass er nicht mehr kämpfen will, sondern den heutigen Tag zum schönsten und gleichzeitig letzten seines Lebens machen will.
Ein Meisterwerk inmitten eines Meisterwerks
Im Videospiel läuft all das anders ab. Joel und Ellie kommen in die mit Fallen verbaute Stadt, treffen auf Bill und schießen sich mit ihm durch eine ganze Horde von Untoten. Frank wird nur kurz erwähnt, als Bills ehemaliger "Partner" und Spieler finden seine Leiche an einer Stelle. Mehr als das gibt es im Spiel nicht zu sehen. Die Serienmacher Craig Mazin und Neil Druckmann haben sich anders entschieden, aus einem der actionreichsten Kapitel der Vorlage wurde eine ganz ruhige, menschliche Romanze. Game-Puristen können sich darüber aufregen, so viel sie wollen, aber: Diese Episode ist ein Meisterwerk – und das mitten in einer Serie, die sich eh schon als meisterhaft bezeichnen lässt.
Man müsste alle Momente der Folge aufzählen, um ihre Genialität und emotionale Wucht zu erfassen. Wenn Bill für Frank das für die Folge titelgebende Lied "Long, Long Time" von Linda Ronstadt auf dem Klavier spielt, und sich letzterer dabei in ihn verliebt. Wenn beide am ganzen Körper zittern, als sie sich erstmals körperlich nähern. Wenn Frank aus Liebe zum Leben Erdbeeren anpflanzt und sie mit Bill zusammen isst und dieser sich vor Freudentränen nicht mehr halten kann. Wenn Bill am Boden zerstört ist, als Frank ihm von seinen Todesabsichten berichtet. Wenn er dennoch beschließt, seiner großen Liebe den schönsten letzten Tag auf Erden zu schenken. All diese Szenen sind zutiefst berührend, sie sind phänomenal geschrieben und wenn Nick Offerman und Murray Bartlett nicht sämtliche Schauspielpreise für diese Leistungen gewinnen, dann stimmt etwas in der TV-Welt nicht. Man stelle sich die wohl legendären ersten zehn Minuten aus dem Animationsfilm "Oben" vor, nur fünfmal so lang und im Rahmen einer Endzeitserie – und schon hat man diese Episode.
"The Last of Us" zelebriert schwule Liebe
Insbesondere für die Repräsentation von homosexuellen Charakteren leistet "The Last of Us" hier Großes. Zwar hat sich die letzten Jahre im Hinblick auf die Darstellung nicht-heterosexueller Figuren viel getan. Aber gerade in Serien, in denen homosexuelle Figuren nur Nebencharaktere sind, bleiben diese zumeist Klischees oder schlimmer noch – ihre Homosexualität bleibt ihre einzige Charaktereigenschaft. In "The Last of Us" hingegen wird schwule Liebe zelebriert, gefeiert und ausgekostet. Es bleibt nicht bei einem Kuss, die Kamera folgt ihnen ins Schlafzimmer. Gerade für den US-amerikanischen Markt ist dies immer noch eine Seltenheit, die dringend gewürdigt gehört. Die Liebesgeschichte beider Männer wird in ihrer Gänze, in all ihren Facetten gezeigt und erzählt. Wunderschön – und es wird Millionen Zuschauer zu Tränen rühren.
Die dritte Episode von "The Last of Us" zahlt voll auf den Titel der Serie ein, "Die Letzten von Uns". So viele apokalyptische Filme und Serien zuvor haben gezeigt, wie die Menschheit zu Grunde geht und wie schrecklich das Leben für die ist, die übrig bleiben. "The Last of Us" ist nicht so eine Geschichte. Es geht um Liebe, selbst unter den schlimmsten Bedingungen. Ganz am Ende der Folge erreichen Joel und Ellie die Stadt von Bill und Frank und erfahren, was dort vorgefallen ist – und auf einmal zeigt selbst Joel, der harte und abgestumpfte Zyniker in seinem Gesicht, dass er dank dieser beiden Männer und ihrer außergewöhnlichen Geschichte wieder an die Zuneigung zu anderen Menschen glaubt. Applaus für diese einmalige Gänsehaut-Episode der Fernsehgeschichte!