Ortstermin in Wien, Firma Listo-Film: Was hier über die Monitore flimmert, darf niemand wissen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Nur so viel kann man sagen: Die Gangsterserie "4 Blocks", deren letzte Folge Regisseur Marvin Kren hier gerade schneidet, geht so grandios zu Ende, wie sie beginnt. Das 6-mal-60-Minuten-Projekt erzählt die Geschichte zweier Brüder, die den arabischen Hamady-Clan führen. In Berlin-Neukölln verdienen sie ihr Geld mit Drogen, Wucher und Schutzgelderpressung. Während der impulsive Abbas zur Lösung von Konflikten und Verteidigung der Ehre vor allem auf Gewalt setzt, denkt Toni pragmatischer. Er sehnt sich nach einem friedlichen Leben in der Legalität für sich und seine Familie. Das Konfliktpotenzial ist groß, Tonis Ausstieg sehr schwierig.

Die letzte deutsche Gangstergeschichte ist lange her

"Seit ‚Im Angesicht des Verbrechens‘ von Dominik Graf gab es keine gute deutsche Gangstergeschichte mehr", sagt Marvin Kren, der den deutschen Meisterregisseur zu seinen Vorbildern zählt. Serien wie "Gomorrha" oder "The Wire" sind in "4 Blocks" zwar spürbar, nachgeeifert wird ihnen aber nicht. Kren lässt die deutschen Gangster sprechen. Er zeigt ihre Lebenswelt. "Wir haben uns komplett von Neukölln inspirieren lassen, von den Farben, die dort vorherrschen, und nicht von amerikanischen Serien", sagt Kren. "Wir haben viele Leute aus dem Milieu kennengelernt, die sehr bereit waren, mit uns zu sprechen. Da war eine große Sehnsucht spürbar, dass deren Geschichten mal erzählt werden."

Neben dem fantastischen Proficast - Frederick Lau, Kida Ramadan, Ronald Zehrfeld, Ludwig Trepte, Oliver Masucci - besetzte Kren daher auch viele Laien aus dem Milieu und setzte selbst für Hauptrollen auf Nichtschauspieler mit starker Ausstrahlung wie den Rapper Veysel Gelin und den Rapper Massiv. Damit diese charismatischen, aber unerfahrenen Darsteller auch vor der Kamera beeindrucken können, setzte Kren auf professionelle Hilfe: den britischen Schauspielcoach Giles Foreman, der auch Größen wie Michael Fassbender und Tom Hardy trainiert, "Das ist ein echter Magier", sagt Kren. "Ich schließe mich mit ihm und dem Hauptcast ein. Und dann wird geheult." Die Schauspieler müssen sich öffnen, unangenehme Erinnerungen preisgeben. "Es hat immer mit dem Papa zu tun, mit der Mama, mit dem Bruder, dem Sterben, der Angst davor. Man holt sehr starke Emotionen hervor. Am Drehtag selbst hat man nicht so viel Zeit, tief in die Gefühle zu kommen, noch dazu mit Laien. Ich sage dann zu Kida: "Hey, kannst du dich erinnern? Du warst schon mal dort mit mir! Kannst du dich erinnern, wo du da warst, emotional? Und er sagt: Ja, Mann."

Kren kann so ein Gangstergemälde in ungewöhnlich starken Farben malen. Dominik Graf nicht unähnlich, bietet er große Tableaus zum Gucken. Etwa eine arabische Bestattung mit 200 Statisten, auf der man als Zuschauer in Ruhe verweilen darf. Er zelebriert aber auch pochendes, saftiges, sinnliches Leben, wenn die Brüder sich rasend vor Wut auf die Fresse hauen, wenn Kida seine Tochter liebevoll zu Bett bringt, wenn der harte Abbas im Unterhemd vor dem Fernseher sitzt - und vernehmlich furzt.

Tob dich aus, haben sie gesagt

Der Sender TNT Serie hat Kren dazu ermutigt. So wie auch bei den Vorgängerproduktionen "Add a Friend" und "Weinberg" sei man nicht an Quoten interessiert gewesen, sondernan einer hochwertigen Serie, die Preise einfährt und das Renommee des Senders steigert. Eine Serie, die man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nie sehen wird. "Mach es, wie du willst, tob dich aus, haben sie gesagt", erinnert sich Kren. "Mach ruhig mehr Gewalt, mach ruhig mehr Sex, wir schieben dir keinen Riegel vor." Auch beim Geld ließ man sich nicht lumpen. Mit vier Millionen Euro hatte der Regisseur ein gutes Budget, um seine Vision umzusetzen.

Zu dieser Vision zählte auch, den Gangster als Typ komplett zu erzählen. Den Machtrausch darzustellen, den man aus körperlicher Überlegenheit ziehen kann, den schnellen Reichtum, aber auch die Frustration, nicht zur Gesellschaft dazuzugehören. "Das Leben eines Gangsters ist ein emotionales Minusgeschäft", sagt Kren. "Ein Gangster macht nichts, was einen Nutzen hat. Außer für seine Familie. Viele sind einsame, traurige Figuren, die nichts haben als ihren Stolz und so Worte wie Respekt." Komplett bedeutet für Kren auch, die historischen Hintergründe seiner Gangster zu erzählen, die libanesische Kurden sein sollen. "Damals, in den 80ern, sind 30 000 Kurden aus dem Libanonkrieg geflohen. Das waren große Familien, Clans. Man hat sie in Deutschland sehr schlecht behandelt und darauf gesetzt, dass sie dann irgendwann wieder gehen."

Marvin Kren hat in kurzer Zeit eine erstaunliche Karriere hingelegt. Als Sohn von Schauspielerin Brigitte Kren verbrachte er viel Zeit im Theater. "Ich war immer in einem Biotop von Künstlern, die sich ständig um das Geld sorgen mussten. Ich wollte einen anderen Lebensentwurf haben und die Sache spießiger angehen." Kren studierte daher Wirtschaft und jobbte bei Filmproduktionen. Als er überraschend für einen erkrankten Freund eine Regie übernehmen musste, entdeckte er sein Talent dafür, ein Team für seine Sache zu begeistern. Selbst wenn das Team aus finsteren Männern aus dem Milieu besteht, die schon wegen Körperverletzung im Gefängnis saßen.

"Man lernt, seine Präsenz einzusetzen, um das Team zu beeinflussen. Bei manchen Einstellungen war ich bösartig, passend zu der Szene. Wie ein Drill Sergeant: Was ist das hier für eine Scheißenergie? Ich habe arabische Schimpfwörter benutzt. Die selbst waren dann schutzlos. Die Schauspieler waren so in der Szene drinnen und merken - Fuck, Papa spricht! Papa will es noch böser, noch echter haben!"

Auf dem Bildschirm in der Listo-Film schlagen sich zwei junge Schauspieler. Die Gangster feuern sie an. Auch Kren hat mitgeschrieen, so böse, dass einer der Schauspieler schließlich hyperventilierte. "Da habe ich es übertrieben. Aber es war letztlich okay. Wir waren dazu verabredet, ein paar Grenzen zu überschreiten. Wir wussten, wenn wir weit gehen, dann wird das richtig gut."

Autor: Frank Aures