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Netflix: Film "22. Juli" über Breivik-Anschlag stellt sich Kino-Konkurrenz

Netflix: Film 22. Juli über Breivik-Anschlag stellt sich Kino-Konkurrenz
Nicht immer wird der Massenmörder Anders Behring Breivik (Anders Danielsen Lie) derart im Schatten gelassen Netflix

"Captain Philipps"-Regisseur Paul Greengrass macht aus den rechtsextremen Anschlägen in Norwegen 2011 ein Netflix-Drama. Im Kino läuft aktuell mit "Utøya 22. Juli" ein Film zum gleichen Thema.

"Ihr werdet heute sterben" schallt es den Jugendlichen auf der norwegischen Insel Utøya entgegen. Der Film "22. Juli" von Regisseur Paul Greengrass ist die ersten 40 Minuten eine Tortur: Die Gräueltaten des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik (Anders Danielsen Lie) werden ausgebreitet, in Nahaufnahmen sieht man ihn Menschen töten und Sätze voller Hass verbreiten.

Ab dem 10.10.2018 ist der Thriller bei Netflix abrufbar. "Nach wahren Begebenheiten wird erzählt, wie Überlebende und das Land nach zwei schockierenden Terroranschlägen in Norwegen um Heilung und Gerechtigkeit kämpfen." schreibt der Streamingdienst in einer Programmankündigung und man muss konstatieren: Zum Glück konzentriert sich Greengrass sehr schnell auf den Gerichtsprozess gegen Breivik, denn bei der Dramaturgie des Terrorakts beweist der Regisseur wenig Feingefühl.

Breivik bekommt unnötig viel Raum

Foto: Netflix, Breivik mit seinem Anwalt (Jon Øigarden) vor Gericht
Angefangen bei der minutiösen Vorbereitung des Attentats, über die Bombenexplosion in Oslo und dem Amoklauf im Feriencamp steuert der Film zum Gerichtsprozess. Auf "nur" 40 Minuten Terror folgen mehr als doppelt so lange die Folgen, in vielvältigen Perspektiven wird das nationale Trauma Norwegens nach den rechtsextremen Anschlägen erzählt. Bei der Verhandlung vor Gericht wird ein Überlebender von Utøya, Viljar Hansen (Jonas Strand Gravli), zum Helden inszeniert. Trotz schwerer Verletzungen und Trauma stellt er sich dem Irren und liefert einen emotionalen Schlussakt, der so viel mehr ist, als eine "Opfer-Perspektive".

Doch man wird den Eindruck nicht los, dass Greengrass mit seinem konventionell gefilmten Werk allzu plakativ den Zeigefinger erhebt und dabei eine demonstrative Mitleidslenkung vollzieht, ohne es dabei zu schaffen, dem Täter die gewünschte Selbstinszenierung zu berauben. Bereits die gut viermonatige Gerichtsverhandlung lieferte dem Narzissten Breivik 2012 eine Bühne - auch, weil sein selbstproduziertes Propagandavideo in voller Länge im Fernsehen gezeigt wurde. Sechs Jahre später fallen in Paul Greengrass "22. Juli" Sätze wie "Ihr hört mir jetzt alle zu" und unweigerlich kommt der Gedanke auf: Findet die Inszenierung des Täters bei Netflix ein unnötig breites Publikum? Sicherlich sind die ungefilterte Islamkritik, Äußerungen gegen "Multikulti" und die Nahaufnahmen des Terroristen beim Töten schmerzhaft und zu viel des "Guten", wenngleich der Regisseur dadurch nicht automatisch zum Erfüllungsgehilfen Breiviks gerät. Die stumpfe, rechtsextreme Ideologie wird entlarvt, die vielfältigen Erzählperspektiven (Opfer, Polizei, Anwalt, Politik) zeichnen ein erschreckendes Porträt des Terrors.

Die Konkurrenz aus dem Kino

Foto: Verleih, In Erik Poppes Film spielt Breivik keine Rolle, nur Kaja (Andrea Berntzen)
Und doch muss sich der Film unfreiwillig Konkurrenz erwehren. Seit dem 20. September läuft in Deutschland der Kinofilm "Utøya 22. Juli" des norwegischen Regisseurs Erik Poppe. Es ist eine beispiellos gefilmte Tour de Force ohne Schnitt und in Echtzeit. So lange wie das Attentat auf der Insel Utoya dauerte, folgt man der Hauptdarstellerin Andrea Berntzen auf ihrer Flucht vor dem Attentäter. Poppe zeigt seine Hauptfigur Kaja in nur einer einzigen Einstellung, den Terroristen sieht man nur in Sekundenbruchteilen als silhouettenhaften Schatten am Bildrand, sein Name fällt kein einziges Mal. Nur die Schüsse hallen über die Insel.

Hier haben wir uns auführlich der Frage gewidmet: Darf man das? Einen Film aus der Opfersicht zeigen, der die reale Schreckenstat aus dem Jahr 2011 in Norwegen zur Vorlage nimmt. Unsere Antwort: Ja. Der Film entreißt dem Narzissten Breivik seine Deutungshoheit, seine Bühne. Er illustriert schonungslos den Terror und der, klar, ist wahnsinnig schmerzhaft - bis zum bitteren Ende.

Ob Paul Greengrass mit seiner 133-minütigen Drama-Version eine Daseinsberechtigung hat? Natürlich. Sein Ansatz ist ein völlig anderer. Er legt den Fokus auf die Folgen und deren Aufarbeitung. Doch welcher der beiden Werke der bessere Film ist, muss jeder Zuschauer für sich entscheiden. "Utøya 22. Juli" läuft in ausgewählten deutschen Programmkinos, "22. Juli" von Greengrass ist via Netflix verfügbar und kann auf der Plattform von einem weltweiten Publikum gestreamt werden.

Der Trailer zu "22. Juli"