Flach ist die Landschaft, doch tief sind die Probleme: Die junge Lady Bird, die eigentlich Christine heißt und von Saoirse Ronan Golden-Globe-prämiert gespielt wird, wünscht sich nichts sehnlicher, als der Einöde von Sacramento in Kalifornien zu entkommen und in der Großstadt New York durchzustarten. Für ihre Mutter ein No-Go. Auf sich allein gestellt stürzt sich Lady Bird (zu Deutsch: Marienkäfer) voll in das Gefühlschaos, das Leben heißt.

In ihrem Soloregiedebüt "Lady Bird" erzählt Regisseurin Greta Gerwig von einer jungen Frau, die erwachsen werden will, und zwar zu ihren eigenen Bedingungen. Sie erzählt aber auch davon, wie wichtig weib­liche Selbstbestimmung ist - und das in der Zeit von #MeToo und Time's Up. Gemeinsam mit Hauptdarstel­lerin Saoirse Ronan will sie junge ­Frauen weltweit motivieren.

Das Interview

Lady Bird ist eine junge Frau, die als Teenager viel rebelliert. Saoirse, wenn man so jung wie Sie in Hollywood durchstartet, bleibt da in der Jugend für eine Rebellion viel Zeit?
Saoirse Ronan: Ich war nie sehr rebellisch und hatte das Glück, dass ich immer tun konnte, was ich tun wollte. Ich denke, Kinder in dem Alter ­rebellieren vor allem, wenn sie sich isoliert fühlen oder das Gefühl haben, dass andere über ihr Leben entscheiden. Das Gefühl hatte ich nie, im Gegenteil: Ich habe ein sehr gutes, enges Verhältnis zu meinen Eltern.

Die Beziehung zwischen Lady Bird und ihrer Mutter ist sehr schwierig.
Ronan: Sie sind sehr ähnliche Charaktere, sie sind beide dickköpfig, stur und stoßen sich deshalb aneinander. Ich denke, die Beziehung zwischen Mutter und Tochter hat das Potenzial, junge Mädchen aufzubauen, aber auch zu zerstören.
Greta Gerwig: Diese komplizierte Liebe zwischen Lady Bird und ihrer Mutter war für mich die wahre Geschichte des Films und etwas sehr Persönliches. Obwohl ich anders als Lady Bird war und mit meiner Mutter ganz andere Probleme hatte.

Will die Mutter von Lady Bird sie einfach nur kontrollieren?
Ronan: Ich glaube eher, dass sie nicht so recht verstehen kann, wieso ihre Tochter etwas so ganz anderes für sich will, als sie sich für ihr Mädchen vorstellt. Was sie tut, tut sie ­eigentlich aber aus großer Liebe zu ihrer Tochter. Ich kenne einige Leute, die komplizierte Beziehungen mit ihren Eltern hatten, oft ist da viel falsches Verständnis füreinander und viel fehlgeleitete Fürsorge. Und so habe ich versucht, meinen Part dieser Beziehung im Film zu spielen.
Gerwig: Meine Mutter und ich hatten oft Meinungsverschiedenheiten, weil sie wohl andere Pläne für mich hatte. Manchmal ist es im Leben nicht so einfach, den richtigen Kompromiss miteinander zu finden.

Greta, der Film "Lady Bird" hat viele Parallelen zu Ihrem Leben. Würden Sie sagen, er ist autobiografisch?
Gerwig: Ich sehe Lady Bird als fiktive Heldin, der ich viele Eckdaten meines Lebens gab. Ich bin auch aus Sacramento und war ebenfalls auf ­einer katholischen Highschool. Aber ich habe mir trotzdem nie die Haare gefärbt, mir nie einen anderen Namen gegeben und war viel mehr eine brave Schülerin, als sie es ist.

Lady Bird verliebt sich im Laufe des Films in zwei verschiedene Jungs.
Gerwig: Ja, ich wollte unbedingt, dass es im Film nicht nur den einen Jungen gibt, um den sich alles bei ihr dreht. Ich hasse das in Teenagerfilmen. Ich wollte, dass es zwei Jungs gibt, und beide sollten falsch sein, weil sich das für mich echter anfühlt. (lacht) Aber ich wollte auch die Gefühle der ersten großen Liebe er­forschen, wo alles rosarot ist, weil ich früher genauso war. Ich habe ­"Titanic" geliebt, und das prägt einen für immer. Wenn er nicht auf einer Holztür sein Leben opfert, ist es für mich keine echte Liebe... (lacht)

Einer der Jungs wird vom 22-jährigen Timothée Chalamet gespielt, der für "Call Me by Your Name" seine ­erste Oscar-Nominierung bekam.
Gerwig: Timothée ist einfach traumhaft. (lacht) Als ich ihn und Lucas Hedges als Love Interests für Lady Bird dazuholte, war Saoirse ganz begeistert und meinte, das sei das ­Gute an einer Regisseurin: Sie wisse, welche süßen Jungs man für solche Rollen besetzen muss.
Ronan: Ja. Männliche Regisseure wählen leider immer die falschen Kerle aus. (lacht)
Gerwig: Ich aber nicht. Ich weiß genau, in wen ich in dem Alter verknallt gewesen wäre. (grinst)

Der Film zeigt unter anderem, wie häufig junge Frauen sich zum ersten Sex gedrängt fühlen. Können Sie sich damit identifizieren?
Ronan: Junge Menschen verspüren viel Druck und haben oft falsche Vorstellungen davon, was Sex und was guter Sex ist. Diese falschen ­Ideen kommen meist durch Filme und das Fernsehen. Es ist für Jugendliche vor allem wichtig zu wissen, dass man zuerst eine echte Beziehung zueinander aufbauen sollte und man dem anderen vertrauen muss, damit es schön wird.
Gerwig: Als ich jung war, haben mich die Erwartungen anderer Personen sehr beeinflusst. Nicht nur in der ­Liebe. Es ist wichtig, sich davon loszulösen und eigene Erwartungen an sich selbst zu stellen.

Zum Beispiel?
Gerwig: Als ich achtzehn war, wollte ich Künstlerin werden. Ich bin nicht in einer Künstlerfamilie aufgewachsen, und daher war in mir auch eine große Nervosität. Meine Eltern waren auch wenig begeistert. Sie dachten vermutlich, dass mein großer Traum sich als große Enttäuschung herausstellen würde. Als ich also ganz bewusst nicht aufs College gegangen bin, um stattdessen Künstlerin zu werden, war das ein bewegender Moment für mich, weil ich zum ersten Mal nicht nach den Erwartungen der anderen handelte.

Saoirse, Sie werden für Ihre Leistung bereits mit Meryl Streep und Cate Blanchett verglichen.
Ronan: Ich lese eigentlich nie, was Kritiker über mich schreiben. Aber ich freue mich sehr, wenn ihnen meine Arbeit gefällt. (lacht) Meryl und Cate sind auf jeden Fall starke Frauen und Vorbilder für mich, denen ich gern nacheifere.

Warum spielt der Film in Sacramento statt zum Beispiel in Los Angeles?
Gerwig: Weil ich denke, die Stadt stellt einen Mikrokosmos dar, der so überall in den USA auffindbar ist und den man in Großstädten nicht so einfach findet. Wie Lady Bird träumen viele, die auf dem Land ­leben, von Metropolen wie New York, aber vergessen dabei, wie wichtig für Amerika der landwirtschaftliche Sektor ist. Und ja, ich liebe Sacramento, es ist meine Heimat. Ich wollte einen Liebesbrief an diese wunderschöne Stadt drehen und zeigen, dass Sacramanto sich nicht hinter, sagen wir, Rom verstecken muss. Ich wäre gern der Fellini von Sacramento. (lacht)

Ist dieser Film besonders für Frauen eine wichtige Erfahrung?
Gerwig: Der Film handelt von typischen Frauenproblemen: eine Mutter zu sein, eine Tochter zu sein, eine Schwester zu sein, einem Jungen zu gefallen... Ich wollte ein Kaleido­skop der Gefühle dieser Adoleszenz darstellen und hoffe, dass sich Mädchen weltweit damit identifizieren.
Ronan: Frauen sind in Hollywood leider immer noch unterrepräsentiert. Ich finde, es wird dringend Zeit, dass sie im Kino viel mehr zu Wort kommen als bislang. Wir haben nämlich noch eine ganze Menge zu erzählen.