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Kirschblüten & Dämonen: Doris Dörrie über das vertraute Fremde

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Doris Dörrie mit ihren Stars und dem Kameramann Hanno Lentz (r.) Verleih

Regisseurin Doris Dörrie erzählt in ihren Filmen nur, was sie wirklich interessiert. Auch ihr neuer Kinofilm dreht sich zentral um zwei ihrer Lieblingsthemen: Familie und Japan

Keine Frage, Doris Dörrie passt ins Ambiente des mondänen Hamburger Designhotels Tortue, in das die Filmfirma sie einquartiert hat. Sie ist weltgewandt, selbstbewusst, modisch gekleidet. Doch wenn sie die Wahl hätte, würde sie wohl lieber in einer kleinen Pension übernachten. So wie in Japan, wo sie die traditionellen Ryokans bevorzugt, familiär geführte Hotels mit Gemeinschaftsbädern, papierdünnen Wänden und Futonmatten auf dem Boden, in denen man sich zum Abendessen in einen korrekt gebundenen Kimono kleidet und mit den anderen Gästen zusammen isst. Denn die Regisseurin ist am liebsten da, wo das normale Leben stattfindet.

"Kirschblüten & Dämonen" ist der fünfte Film, den Sie in Japan gedreht haben. Was zieht Sie immer wieder dorthin?
Doris Dörrie Ich war inzwischen über 33-mal da, und es fühlt sich immer noch komplett vertraut und komplett fremd zugleich an. Aber weil Japan ein sicheres Land ist und weil ­einem da wirklich gar nichts passieren kann, hat das Fremde nichts Bedrohliches.

Nun scheinen Sie mir eh kein ängstlicher Typ, sondern unerschrocken neugierig zu sein.
Das trifft es ganz gut. Bei meinem ersten Besuch habe ich mir von einem der Filmfunktionäre ein Schild malen lassen, auf dem in japanischen Schriftzeichen "Tokio" stand. Mit diesem Schild bin ich zum Bahnhof Shibuya gegangen, der extrem unübersichtlich ist. Damals habe ich den Zug nach Kamakura genommen und bin dort einfach losgelaufen. Ziemlich bald schon konnte ich kein Wort mehr lesen und natürlich erst recht keins verstehen.

Groß und blond, wie Sie sind, müssen Sie doch ziemlich aufgefallen sein, oder?
(lacht) Noch dazu, weil ich einen leuchtend gelben Regenmantel anhatte. Die Menschen waren sehr freundlich, sie zeigten mir den Weg und wollten fast alle ein Foto mit mir machen.
Was fasziniert Sie am meisten an der japanischen Kultur?
Japan ist die einzige Industrie­nation, die animistisch ist. Animismus ist der Glaube an die Beseeltheit von Natur und Dingen. Jede Tasse, jedes Kissen, jede Pflanze hat eine Seele und muss deshalb respektvoll behandelt werden.

Die Japaner scheinen auch ein ganz besonderes Verhältnis zu ihren Toten zu haben.
Ich finde es absolut faszinierend, dass alle an Gespenster glauben und dass es so viele verschiedene Kategorien gibt. Manche Gespenster sind nett, manche böse, manche rachsüchtig. Aber es gibt auch die Haushaltsgegenstände, die man weggeworfen hat und die beleidigt weiter herumgeistern. Die Japaner begreifen die Welt nicht wie Isaac Newton als feste Materie, sondern als etwas, was sich ständig bewegen und ein ­Eigenleben entwickeln kann.
Zum Beispiel?
Wenn einem eine Tasse aus der Hand fällt, kann das an der eigenen Ungeschicklichkeit liegen. Aber auch daran, dass die Tasse einfach etwas anderes vorhatte.

In "Kirschblüten" ging es um die Bayerin Trudi, die vom Fuji träumte, und ihren Mann Rudi – ein trauriger, aber sehr poetischer Film. Im zweiten Teil stehen die Kinder im Mittelpunkt, deren ­Leben noch viel desolater zu sein scheint als das ihrer Eltern.
Es ging mir darum, wie Kinder sich innerhalb einer Familie definieren und wie schwer es für sie ist, sich aus diesen Zusammenhängen zu lösen. Ich wollte he­rausfinden, was es für sie bedeutet hat, in diesem alten Haus im Allgäu aufzuwachsen, mit einem sehr rigiden Vater, mit einer Mutter, die sich immer woandershin geträumt hat und die psychische Probleme hatte, was man als Kind ja nicht verstehen kann. Mich hat beschäftigt, wo ist dieser große schwarze Fleck? Dabei spielt auch die Last der vorhergehenden Generation mit.
Die im Film auf unterschiedliche Art durch die Nazizeit und den Zweiten Weltkrieg traumatisiert worden sind.
Es ist doch eigenartig, dass meine und die nachfolgenden Genera­tionen auf einem relativ sicheren Boden aufgewachsen sind und es die fundamentale Erschütterung des Faschismus nicht mehr spürbar gegeben hat. Sicher, es gab die 68er, es gab die RAF, aber in unserem Alltag hat das nicht wirklich stattgefunden. Es hat mich schon immer gewundert, dass wir hier einen Fuß vor den anderen setzen können, ohne dass uns jeder Schritt an all die Gräuel erinnert.

Sie beschäftigen sich für Ihre Arbeit intensiv mit dem Thema Familienaufstellung. Gibt es eine zentrale Erkenntnis?
Ich habe gesehen, wie oft die Eltern und Großeltern einen Schatten über die nachfolgenden Generatio­nen gelegt haben, was sich in einer enormen Stummheit manifestiert, einer Unfähigkeit, beweglich und lebendig zu sein. Das habe ich im ersten Teil von "Kirschblüten" gezeigt, in dem Rudi wie ein Roboter zur Arbeit geht, seine Pflicht tut, heimkommt und mit niemandem redet, was natürlich auch Auswirkungen auf das Verhältnis zu seiner Frau und zu seinen Kindern hat. Jetzt, im zweiten Teil, wird klar, warum er so war. Das hatte viel mit der Schuld seines Vater zu tun, der bei der SS war.

Wie schwierig ist es für Sie, die Filme machen zu dürfen, die Sie machen wollen? Müssen Sie viel netzwerken?
Ich habe keine "Beziehungen", ­habe auch nie welche gehabt. Ich dachte immer, meine Arbeit muss für sich sprechen und dass man keine Beziehung haben darf zu Leuten, die einem Geld geben sollen. Schwierige Frage, die Sie mir da stellen, weil es meine Art von Film im Moment nicht leicht hat.
Warum?
Es gibt viele Gründe. Zum einen werden weltweit sehr viele Filme produziert, die alle einen Platz auf der Leinwand suchen. Man hat Mühe, die alle noch auseinanderzuhalten, denn in der nächsten Woche starten schon wieder zwanzig ­andere. Das macht es natürlich immer schwieriger, Filme zu finanzieren, weil man nur eine sehr kurze Zeit hat, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen.

Ist das nicht ein typisch deutsches Problem?
Wir Deutschen sind mit einem Besuch pro Mensch und Jahr die faulsten Kinogänger in Europa. Alle anderen Länder erleben ­derzeit einen Boom, Frankreich, Amerika, China, nur Deutschland nicht. Es ist übrigens ein Irrtum, wenn wir glauben, dass das an den Streamingangeboten liegt: Nur neunzig Prozent derer, die streamen, gehen auch ins Kino. Bei den anderen ist es eine schlechte Mischung aus Faulheit und Geiz.

Sie haben am Drehbuch zum TV-Zweiteiler "Die singenden Metzger" mitgeschrieben, ­führen aber nicht Regie. Weil Sie wie nach jedem Film jetzt lieber erst mal wieder ein Buch schreiben wollen?
Schreiben ist so schön unkompliziert. Ich bin mein eigener Boss, keiner kann widersprechen. Und es kostet kein Geld! Herrlich.

Netflix und Co. boomen. Welche Serien streamen Sie?
Ich versuche, so viel wie möglich zu sehen, aber fühle mich auch zunehmend überfordert. Den Streamingdiensten fehlt eine Art von kuratiertem Programm. Die Gefahr, dass sich dort ein riesiger Berg aufhäuft, wo nur noch gesehen wird, was gerade auf dem Gipfel stattfindet, ist groß.

Hat einer der Streamingdienste schon bei Ihnen angeklopft?
(lacht) Na klar.