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"The Killing of a Sacred Deer": Ungewöhnlich verstörend

The Killing of a Sacred Deer: Ungewöhnlich verstörend
Verleih

Lust auf was ganz anderes? Nicole Kidman und Colin Farrell schwärmen von ihrem neuen gemeinsamen Film, der ebenso ungewöhnlich wie verstörend ist

So merkwürdig war Kino schon lange nicht mehr. In "The Killing of a Sacred Deer", zu Deutsch "Die Tötung eines heiligen Hirsches", ­leidet ein Chirurg (Colin Farrell) darunter, dass ein Mann auf seinem Operationstisch starb. Dessen Sohn feuert die Schuldge­fühle immer weiter an und belegt schließlich die ganze Familie des Arztes (Nicole Kidman spielt seine Frau) mit einem tödlichen Fluch. Die Verwünschung zeigt tatsächlich Wirkung.

Das ungemütliche, irritierend schicksalsergebene Psychodrama ist der neueste Film des grie­chischen Regiestars und Autors ­Yorgos Lanthimos ("The Lobster"), der für seine ebenso starke wie rätselhafte künstlerische Vision auf den Filmfestivals dieser Welt gefeiert wird. Vom Publikum und auch von den Künstlern, die mit ihm gearbeitet haben. Seine Hauptdarsteller Colin Farrell und Nicole Kidman wundern sich im TV SPIELFILM-Interview immer noch über den ungewöhnlichen Regisseur und die eigenartige Wirkung seiner Werke.

Interview: Colin Farrell und Nicole Kidman

Die Figuren in "The Killing of a ­Sacred Deer" sind moralisch sehr uneindeutig. Wie haben Sie das für sich selbst gerechtfertigt?

Nicole Kidman: Als Schauspielerin ordne ich mich der Geschichte und der Vision des Regisseurs unter, ich urteile nicht darüber. Dieser Film wurzelt in den uralten griechischen Tragödien, und die beschäftigten sich nun mal mit den Themen, die für uns Menschen schwierig zu verstehen und zu bewerten sind.

Die Inhalte sind ziemlich ­kontrovers. Es wird starke ­Gegenstimmen geben.
Kidman: Yorgos' Filme sind besonders. Man liebt sie, oder man hasst sie. Ich habe kein Problem damit, wenn ein Film Diskussionen auslöst.

Inwiefern ist der Film eine griechische Tragödie?
Colin Farrell: In dem Sinne, dass die Menschen darin agieren wie die Figuren auf einem Schachbrett. Sie werden von etwas Größerem geführt. Karma oder die Götter, wenn Sie so wollen, spielen eine wichtige Rolle.

Wie ist es, mit Regisseur Yorgos Lanthimos zu arbeiten?
Farrell: Yorgos' Regiearbeit steckt zum Großteil schon im Drehbuch. Er gibt dir keinen weiteren Hintergrund für deine Figur. Den musst du dir selbst ausdenken. Am Set sagt er nur Dinge wie "mach ein bisschen schneller" oder "ein bisschen langsamer". Ich habe zwei Filme mit ihm ­gemacht, und nie hatten wir ein Gespräch darüber, worum es geht, wie der Ton sein soll oder was die Figur fühlen soll.

Aber klar ist: Sie gehen auf eine dunkle Reise.
Farrell: Dafür sind seine Filme bekannt. Als ich "Dogtooth" von Yorgos gesehen hatte, kam ich aus dem Kino und dachte, das ist entweder der verrückteste Regisseur der Welt oder der hellsichtigste. Ich bin mir nicht sicher. Bei jedem anderen Film, den ich gemacht habe, sei es ein histo­risches Stück, ein Mann allein, ein Familiensetting: Immer erkennt man gewisse Muster im Verhalten der Figuren. Nicht so bei Yorgos, da ist alles möglich.

Hat der Film eine Botschaft?
Kidman: Ich weiß nicht. Es ist eher so, dass man in eine Art hypnotischen Zustand kommt. Man ergreift noch nicht mal Partei für eine bestimmte Figur, es ist eher so, dass man sich die ganze Zeit fragt: Was würde ich in dieser Situation tun? Der Film ist sehr vielschichtig, er lässt sich auf vielerlei Art und Weise interpretieren.

Gibt es eine beste Art und Weise, sich ihn anzusehen?
Kidman: (lacht) Man sollte ihn sich auf jeden Fall ganz ansehen, und man sollte einigermaßen wach sein. Wenn es nicht beim ersten Mal funkt, geben Sie ihm eine zweite Chance. Ich habe manche Bücher beim ersten Lesen auch nicht verstanden. Beim zweiten Mal haben sie mich aber umgehauen. So ging es mir zum Beispiel mit dem Drehbuch von "Moulin Rouge".

Der Chirurg trägt schwer an ­einem Fehler, den er mal gemacht hat. Kennen Sie das Gefühl?
Farrell: Machen Sie Scherze? Natürlich. Ich habe viele Fehler in meinem Leben gemacht, ich habe Menschen so verletzt, dass es mich mit Scham erfüllt. Aber würde ich etwas anders machen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte? Nein. Denn dann wäre ich nicht die Person, die ich heute bin. Alles, was man tun kann, ist, aus den Fehlern lernen und versuchen, ein besserer Mensch zu werden.

Wann fühlten Sie sich zuletzt so machtlos wie Ihre Figur?
Farrell: Letzte Nacht an der Minibar - als ich eine Tafel Schoko­lade angebrochen habe, nachdem ich schon eine Packung Pringles und ein Kit Kat hatte. (lacht) Vollkommen machtlos.
Haben die Dreharbeiten Sie verändert?
Kidman: Ich habe zunächst versucht, sehr realistisch zu spielen. Aber Yorgos sagte mir: "Das ist langweilig. ­Realistisch interessiert mich nicht." Er will eine eigene Realität schaffen. Das muss man akzeptieren, und dann erweitert einen das, es verändert dich. Und das ist wunderbar, vor allem wenn man schon so lange dabei ist wie ich.

Sie haben schon oft Mütter gespielt, aber keine mit solchen Macken. Wurde Ihnen erklärt, warum Ihre Figur die hat?
Kidman: Ich habe mir schon ganz zu Anfang abgewöhnt, ­Yorgos Fragen zu stellen. Weil er sie einfach nicht beantwortet. Bei ihm gibt es kein Warum. Die meisten Dinge sind im Kino schon gemacht worden, und trotzdem sehe ich bei ihm Bilder, die ich zuvor noch nie gesehen habe. Colin und ich haben "Beguilded" ("Die Verführten") und "Sacred Deer" praktisch für umsonst gedreht, weil wir so dahinterstehen. Yorgos hat eine sehr starke künstlerische Vision, ­niemand macht Filme wie er. Es ist mir eine Ehre, in seinem Film zu spielen.

Ehe, Kinder, Karriere - privat scheint es bei Ihnen gut zu laufen. Oder vermissen Sie irgendetwas?
Kidman: Ich habe einen tollen Ehemann, wunderbare Kinder, aber es gibt natürlich auch Dinge, die nicht so schön sind. Wenn man ein gewisses Alter erreicht, sind die Eltern irgendwann sehr alt... Aber so ist das Leben eben.

Im Film zanken sich die Kinder darum, wer Papas Liebling ist.
Waren Sie es?

Farrell: Nicht wirklich. Ich glaube, als ich ins Teenageralter kam, waren meine Eltern wohl schon ein bisschen müde. Ich war der Jüngste, ich kam mit mehr davon als die anderen.