Der pensionierte Gastarbeiter Fabrizio Collini ermordet den wohlhabenden Ü80er Jean-Baptiste "Hans" Meyer auf brutale Weise und stellt sich direkt im Anschluss selbst der Polizei. Dieses rätselhafte Verbrechen ist dem Kopf von Ferdinand von Schirach entsprungen, sein Roman "Der Fall Collini" war selbst in den USA ein Mega-Hit. Natürlich ließ eine deutsche Verfilmung nicht lange auf sich warten: Elyas M'Barek spielt den Pflichtverteidiger von Collini, der Mörder selbst wird von Italo-Western Legende Franco Nero verkörpert.
Der Geschichte ist anzumerken, dass Ferdinand von Schirach selbst Jurist ist, denn die Hintergründe des Mordfalls haben einen realen Ursprung in der deutschen Rechtssprechung. Pünktlich zur Free-TV-Premiere des Films am 2. August 2021 um 20:15 Uhr in der ARD ist es also an der Zeit, diese Hintergründe genauer zu untersuchen. Um vorwegzugreifen: "Der Fall Collini" sorgte durch sein Erscheinen tatsächlich für ein Umdenken im Bundesjustizministerium.
Kalte Amnestie: Verjährung für NS-Morde
In "Der Fall Collini" findet Pflichtverteidiger Caspar Leinen heraus, dass Collini sein Opfer, den Herrn Meyer, aus Rache tötete. Meyer war 1944 junger SS-Sturmbannführer und hatte in der Toskana bei einer Vergeltungsmaßnahme der Nazis willkürlich Italiener hingerichtet, darunter auch den Vater von Collini. Leinen erfährt, dass Collini bereits 1968 in Deutschland Strafanzeige gegen Meyer erstattet hatte, dieses Verfahren aber eingestellt wurde. Grund dafür ist ein wahrer Justizskandal.
1968 kam es nämlich zur sogenannten "Kalten Amnestie": Der frühere NS-Staatsanwalt Eduard Dreher war zu dem Zeitpunkt Spitzenjurist im Bundesjustizministerium. Er führte ein unscheinbar wirkendes Gesetz ein, namens "Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz" (kurz: EGOWiG). Dieser Paragraf sorgte dafür, dass unzählige Naziverbrechen nicht gesühnt wurden. Denn der EGOWiG milderte das Strafmaß für Mordgehilfen ab. Soll heißen: Während Mord die schlimmste Straftat nach Rechtsprechung war und blieb, wurde Beihilfe zum Mord zu einer Straftat, die nach 15 Jahren verjährt.
Damals galten nach deutschem Recht allerdings fast alle Nazi-Verbrecher (bis auf "große Namen" wie Hitler oder Himmler) nur als Mordgehilfen. Und damit waren beim Beschluss des EGOWiG schlagartig nahezu sämtliche NS-Straftaten, auch Morde, rückwirkend seit dem 8. Mai 1960 verjährt.
Das Gesetz sollte eigentlich lediglich Bagatelldelikte entkriminalisieren. Niemandem, auch nicht dem damaligen Bundesjustizminister Gustav Heinemann, war aufgefallen, dass Eduard Dreher mit dem Paragrafen Zehntausende von Nationalsozialisten vor einer Verurteilung schützen wollte.
Immerhin: "Der Fall Collini" sorgte für Aufarbeitung
Mit dem Roman wollte Ferdinand von Schirach an dieses dunkle Kapitel erinnern und offenlegen, wie durch Unaufmerksamkeit des Justiz-Apparats viele NS-Verbrecher nie ihre Strafe erhielten. Es gelang ihm mit Erfolg: Der Roman regte bei Veröffentlichung 2011 eine neue Diskussion an. 2012 wurde daraufhin von der damaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Bundesministerium für Justiz einberufen. Als Begründung nannte sie u.a. den "Fall Collini".
Damit hat Ferdinand von Schirach der deutschen Erinnerungskultur einen großen Dienst erwiesen, zurecht wurde das Buch mit vielen Stars in den Rollen verfilmt. TV Spielfilm nennt den Film ein "starkes, lehrreiches Plädoyer für Recht und Gerechtigkeit".