Es ist das europäische Gegenstück zum Oscar: Der europäische Filmpreis. Jedes Jahr trifft die European Film Academy und die angehängte Produktionsfirma EFA Productions eine Vorauswahl von Filmen, die zwischen Juli des Vorjahres und Juni des jeweiligen Jahres im Kino liefen und ihnen preiswürdig erscheinen. Die 20 Länder mit den meisten Mitglieder in der europäischen Filmakademie können einen Film aus ihrem Land direkt nominieren, den Rest benennt eine länderübergreifende Fachjury.

Dieses Jahr hat die Akademie 51 Filme für preiswürdig gehalten. An 14 Filmen ist Deutschland als koproduzierendes Land beteiligt, diese vier Filme stammen hauptsächlich aus Deutschland:

In Zeiten des abnehmenden Lichts

X Verleih

Eugen Ruges Romandebüt gleichen Titels, das 2011 mit dem deutschen Buchpreis prämiert wurde, verbindet das Schicksal einer Familie mit der Geschichte der DDR. Die verschachtelte Handlung, die sich über sechs Jahrzehnte ­erstreckt, hätte auch als Fernsehmehrteiler funktioniert. Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ("Sommer vorm Balkon") hat sich für eine andere Herangehens­weise entschieden. Er konzen­triert sich auf das zentrale Ereignis des Romans: den 90. Geburtstag des Altstalinisten Wilhelm Powileit (Bruno Ganz) im Herbst 1989, der mit der Flucht seines Enkels (Alexander Fehling) in den Westen einhergeht. Regisseur Matti Geschonneck ("Box­hagener Platz") schildert den Zerfall der Familie und das nahende Ende der DDR mit subtiler Komik, doch sein Film ist längst nicht so bitter ausgefallen wie Ruges Roman. Das liegt vor allem an Bruno Ganz, der viel kauziger und weniger ­verächtlich wirkt als sein litera­risches Vorbild.

Rückkehr nach Montauk

Wild Bunch

Zu Beginn des Film spricht Stellan Skarsgård direkt in die Kamera. Er sagt, es gebe nur zwei Dinge im Leben, die wichtig sind: die Dinge, die wir bereuen, getan zu haben, und die Dinge, die wir bereuen, nicht getan zu haben. Skarsgård spielt den Schriftsteller Max Zorn, der nach New York kommt, um sein neues Buch vorzustellen. Dort trifft er seine Exgeliebte Rebecca (Nina Hoss), die mittlerweile als Anwältin arbeitet. Gemeinsam verbringen sie ein Wochenende in Montauk, dem Fischereihafen am Ende von Long Island. Wird es gelingen, die alten Gefühle neu zu beleben? Volker Schlöndorff widmet "Die Reise nach Montauk" dem Andenken des Schriftstellers Max Frisch, dessen "Homo Faber" er 1991 verfilmt hat. Basierend auf Frischs Buch "Montauk, eine Erzählung" entstand ein melancholischer Liebesfilm über verpasste Gelegenheiten und Fehler, die man immer wieder macht. Ein anrührender, großartig gespielter und zutiefst menschlicher Film.

Vor der Morgenröte

Dem 1934 in die Emigration nach Brasilien getriebenen Schriftsteller Stefan Zweig ("Die Schachnovelle") war die Rolle des Märtyrers stets peinlich. Während der weniger populäre Emil Ludwig (Charly Hübner) beim PEN-Kongress in Buenos Aires eine Wutrede gegen Nazideutschland hielt, weigerte sich der prominente Österreicher, das Hitlerregime zu verurteilen. Maria Schrader verzichtet in ihrer zweiten Regiearbeit nach "Liebesleben" auf eine klassische Spielfilmdramaturgie. In sechs ausschnitthaften Episoden porträtiert sie das Gefühlsleben des umschwärmten Autors, den Josef Hader mit großer Konzentration verkörpert. Schraders Szenen aus dem Exil zeigen einen verzweifelten Pazifisten, der sich auf Vortragsreisen durch Brasilien auch über den Zuckerrohranbau informiert und der mit den vielen Bittbriefen, die ihn 1941 in New York erreichen, überfordert ist. Die in Echtzeit gedrehten Spielszenen verleihen den Bildern ein hohes Maß an Authentizität. Das Ausschnitthafte der Erzählung hält den Zuschauer auf Distanz, doch gerade in dieser fast analytischen Herangehensweise liegt der große Reiz dieses außergewöhnlichen Films.

Vor der Morgenröte Trailer

Western

Piffl Medien GmbH, Komplizen Film

Deutsche Bauarbeiter fahren in die bulgarische Provinz, um ein Wasserkraftwerk zu bauen.
Versorgungsengpässe, Misstrauen und Verständigungsprobleme führen zu Konflikten mit den Bewohnern eines nahe gelegenen Dorfs. Die Rivalität der Männer verbindet Valeska Grisebach ("Sehnsucht") mit klassischen Westernmotiven, die dokumentarisch anmutenden Bilder lassen eine Unmittelbarkeit und Realitätsnähe entstehen, wie man sie - auch dank der grandiosen Laiendarsteller - im Kino nur selten erlebt. Produziert von "Toni Erdmann"-Regisseurin Maren Ade.

Die Favoriten

Im europäischen Feld werden es die deutschen Filme schwer haben. Ein Hammer wieder Vorjahressieger "Toni Erdmann" ist diesmal nicht dabei. Die besten Chancen dürfte "Vor der Morgenröte" haben.

Als Favoriten können gelten das spanische Fantasydrama "Sieben Minuten nach Mitternacht" (Bild), die schwedische Groteske "The Square", die in Cannes die Goldene Palme gewann, Michael Hanekes ("Das weiße Band") neuer Film "Happy End", das englische Kammerspiel "The Party" und der neue Film von "Lobster"-Macher Yorgos Lanthimos, starbesetzt mit Colin Farrell und Nicole Kidman.

Die ganze Shortlist gibt es hier

So geht es weiter: In den kommenden Wochen stimmen die über 3000 Mitglieder der Academy über die Nominierungen in den Kategorien Film, Regisseur, Schauspielerin, Schauspieler und Drehbuch ab. Die endgültigen Nominierungen werden am 4. November im Rahmen des Europäischen Filmfestivals in Sevilla bekannt gegeben.
Autor: Sebastian Milpetz