Der nachfolgende Text gibt die persönliche Meinung eines Autors wieder und steht deshalb nicht repräsentativ für TV SPIELFILM.
13 Jahre, 25 Filme, mehrere Serien und es werden immer mehr: Das Marvel Cinematic Universe (MCU) hat sich seit 2008 zum größten Filmfranchise überhaupt entwickelt, das bislang etliche Milliarden US-Dollar an den Kinokassen eingespielt hat und noch einspielen wird. So viel ist sicher, denn die Formel aus charismatischen Superhelden, punktgenauen Witzen und bombastischen Actioneinlagen haben Marvel und Disney perfektioniert. Das Publikum haben die Macher fest in ihrer Hand, auch weil die Marke jeden popkulturellen Diskurs dominiert, sobald sich auch nur ein laues Lüftchen darin bewegt.
Bis einschließlich dem zwischenzeitlich erfolgreichsten Film aller Zeiten "Avengers: Endgame" schien das MCU auch unbesiegbar zu sein – selbst gesellschaftspolitisch aufgeladene Debatten inklusive "Review-Bombing" (die gängige Praxis, schlechte Bewertungen im Netz quasi aus Prinzip zu verteilen) zu "Captain Marvel" konnten nicht verhindern, dass der Film mehr als eine Milliarde einspielte. Die breite Masse frisst den Verantwortlichen direkt aus der Hand.
Doch im Kinojahr 2021 dominiert die Corona-Pandemie immer noch das globale Geschehen und es werden längst nicht die Ergebnisse wie zuvor erzielt. Schlechte Voraussetzungen für die "Eternals" also, Film Numero 26 im MCU, der vieles anders machen will als all seine Vorgänger. Vermutlich werden trotzdem zur Genüge Leute in die Säle strömen und das ist gut fürs Kinogeschäft. Doch der Gang wird ein reflexartiger sein mit einer gehörigen Prise FOMO – einen Marvel-Film darf man einfach nicht mehr verpassen, sonst verliert man den Anschluss. An der Qualität selbst wird es ganz sicher nicht liegen. Die ist nämlich für MCU-Verhältnisse historisch schlecht.
Zu viele "Eternals" auf einmal
Mit den titelgebenden "Eternals" wird nach den beliebten Avengers eine ganz neue Superheldentruppe vorgestellt, die über ganz eigene Kräfte verfügt. Erneut wurde jemand aus dem Indie-/Arthouse-Filmsegment für den Regieposten besetzt, dieses Mal Oscarpreisträgerin Chloé Zhao ("Nomadland"), die einen durchaus beeindruckenden Cast führen durfte, mit Namen wie Angelina Jolie, Salma Hayek, Kit Harington oder Richard Madden. So weit, so gut – auf dem Papier.
Und auf der Leinwand? "Eternals" macht den simplen und doch ultimativ kapitalen Fehler, es schlichtweg genau andersherum zu machen als all die MCU-Filme zuvor: Zu viele Figuren mit ganz eigenen Beweggründen werden auf einmal eingeführt. Diese können und werden auch nicht sorgfältig und behutsam entwickelt, stattdessen regieren Kitsch und bisweilen platte Dialoge, die auf die Schnelle Beziehungen und Entwicklungen aussprechen, anstatt diese auserzählt werden. Wirklich nahe gehen einem die Schicksale entsprechend nicht.
Irritierend sind auch mehrere, sehr schnelle tonale Wechsel in einzelnen Szenen: Wiederholt werden in "Eternals" mal mehr, mal weniger gelungene Witzchen gemacht, denen unmittelbar danach ernste und traurige Töne folgen, die wiederum sogleich von Gags aufgebrochen werden. Ein wilder emotionaler Ritt im Sekundenabstand soll das wohl sein, doch in der rapiden Abfolge neutralisieren sie sich – übrig bleibt ein seltsam leeres, aber auch frustrierendes Gefühl.
Die "Eternals" sind ambitioniert langweilig
Aber nun gut, man schaut sich keinen MCU-Film in Erwartung eines tiefgründigen Charakterdramas an. Funktioniert "Eternals" denn wenigstens als bombastisches Effekte-Spektakel?
Nö. Und hier greift nach mehr als einer Dekade der immer größer werdenden Maßstäbe schlicht und ergreifend die Übersättigung. Nachdem schon mehrmals die Avengers und deren Feinde ganze Städte in Schutt und Asche gelegt haben und sich mit Thanos beeindruckende Massenschlachten geliefert haben, wirken die einzelnen Scharmützel in "Eternals" beinahe lächerlich klein. Die Actioneinlagen sehen aus wie alle anderen aus allen vorherigen Filmen auch: Es wird rumgeflogen, mit übernatürlicher Kraft verprügelt, werden Projektile verschossen oder in die Irre geführt. Nur halt weitaus weniger einfallsreich (eigentlich – gar nicht) und spektakulär. Für einen Film über kosmische Kreaturen, deren Handeln auch kosmische Konsequenzen hat, eine ziemliche Enttäuschung. Lediglich am Ende deutet sich etwas wahrlich und wortwörtlich Großes an, aber leider wird das Potenzial nicht ausgespielt.
Und überhaupt: "Eternals" will ganz neue Töne anschlagen, mehr Tiefe, mehr Sensibilität für die Figuren und deren Schicksale zeigen. Zhao wäre dafür per se die richtige Filmemacherin, hätte sie eben keinen Mega-Blockbuster machen müssen. Wie es in Indiefilmen klischeehafterweise üblich ist, wird oft schweigend in die Gegend gestarrt, für Mainstreamverhältnisse sowieso. Auch ästhetisch dominieren eher natürliches Licht und zurückhaltendere Farben. Und über weite Strecken im Mittelteil gibt es sogar einfach gar keine Action. Die Regisseurin könnte da voll in ihrem Element sein, doch sie muss zu viele Figuren jonglieren in trotz zweieinhalb Stunden viel zu wenig Zeit. Wenig Action und viel Zeit für Figuren, denen man aber nie so richtig nahekommt – das ergibt in der Summe leider jede Menge Langeweile.
Da können sich die Macher und die Marketingabteilung noch so sehr auf die Schulter dafür klopfen, wie divers die Besetzung doch ist, dass es endlich mal so etwas wie eine Sexszene im MCU zu sehen gibt (völlig jugendfrei natürlich) und ein offen schwules Paar eingeführt wird. Fein. Macht es "Eternals" aber am Ende in irgendeiner Weise besser oder gar unterhaltsamer? Mitnichten.
Am Ende bleibt festzuhalten, dass "Eternals" ein künstlerischer Flop ist, der im MCU seinesgleichen sucht. Und das sehe nicht nur ich so: Bei der Kritikensammelseite Rotten Tomatoes kommt der Film auf das bislang schlechteste Ergebnis der gesamten MCU-Geschichte und wurde als erster Eintrag in die Filmreihe überhaupt mit dem "verfault"-Siegel … "ausgezeichnet".
"Eternals" ist ab dem 3. November 2021 in deutschen Kinos zu sehen.