.

Dunkirk: Elemente eines Kriegsfilms

Christopher Nolan sieht "Dunkirk" nicht als Kriegsfilm. Vielmehr soll die Geschichte vom Überleben hunderttausender britischer Soldaten Suspense-Kino sein. Schön. Und gut? Werbung für ein Kriegsspiel entzaubert das Spektakel.

Wenn Christopher Nolan über seinen neuen Film "Dunkirk" (zur Filmkritik) spricht, fällt schnell der Begriff des Suspense. Die Verzögerungstechnik zum Zwecke des maximalen Spannungsaufbaus - ein Markenzeichen der Regielegende Alfred Hitchcock: "Das ist die Sprache der Spannung, eine der populärsten in der Filmgeschichte", sagte Nolan vor Kinostart unter anderem der Deutschen Presseagentur. "In Hitchcocks Filmen ging es um die visuelle Sprache der Spannung." Visuell ist "Dunkirk" über jeden Zweifel erhaben. Der virtuose, selbsternannte "Filmfetischist" Hoyte van Hoytema ("Interstellar") hat mit der IMAX-Kamera Bilder eingefangen, die den Zuschauer 106 Minuten lang in ihren Bann ziehen. Unbestritten ist Nolans Geschichte um die historisch dokumentierte Evakuierung der britischen Soldaten in Dünnkirchen auch spannungsgeladenes, wuchtiges Drama. Als Regisseur und Drehbuchautor verwandelt er das Narrativ des Überlebenskampfes in ein hoch verdichtetes Kino-Spektakel und weiß dabei vor allem handwerklich vollends zu überzeugen.

Und doch bleibt ein fader Beigeschmack. Erstmalig wagt sich der gefeierte Brite an einen historischen Stoff, an eine Verfilmung, die auf wahren Begebenheiten beruht. Mehr noch: Christopher Nolan hat einen Kriegsfilm gedreht und die weltweite Presse feiert ihn mal als "Meisterwerk" (epd-Film), dann als "Nolans bisher besten Film" (The Guardian) oder ganz schlicht als "Big-Budget-Filmemachen, das Kunst genannt werden kann" (Entertainment weekly).
Ein sogenannter "Wargaming Dunkirk Announcement"-Trailer
Erlebniskino als Stolperstein der Geschichte?
Dabei wird missachtet, dass Nolan aus einem realen Kriegszustand nicht nur ein Spektakel der Elemente (Land, Wasser, Luft) macht, er gleitet am Ende sogar buchstäblich (Tom Hardy als Kampfpilot) in Pathos ab. Völlig ohne Not - so könnte man meinen. Oder warum heroisiert er am Ende Figuren (neben Hardy auch Kenneth Branagh als Commander Bolton) in seiner sonst so kühlen, gelungen distanzierten, fast reportagehaften Erzählstruktur? Ist das Kriegsfilm-Genre für Christopher Nolan nur eine weitere Spielform des Erlebniskinos? Eine Sinnessensation, die zwar auf bedeutungsschwangere Erklärungen verzichtet, sich dafür aber vom Sog der Bilder hinreißen lässt?

Bereits vor Kinostart verteidigt er im Interview mit der dpa diesen möglichen Vorwurf mit einem kinoläufigen Stilmittel: "Manchmal gibt es eine Lüge, die die Wahrheit erzählt. Man muss Dinge fiktionalisieren und künstlich dramatisieren, damit das Publikum die Wahrheit dahinter versteht." Im Sinne der von Werner Herzog etablierten "ekstatischen Wahrheit" kann dies gelten und zum Zwecke einer vergnüglichen Wahrheitsfindung ist dies mehr als legitim. Doch die Erwartungen an einen Nolan-Film über die Rettung von 330.000 Soldaten dürfen größer sein, sie sollten es sogar, immerhin gilt der 47-Jährige gemeinhin als Meister seiner Kunst.

Doch Nolan und sein Studio Warner Bros. haben schon vor Beginn des Films im Kinosaal für Ernüchterung gesorgt und gezeigt, welche Richtung "Dunkirk" einschlägt. Ein anderthalbminütiger, trommelwirbelnder Trailer zu drei Kriegsspielvarianten ("World of Warplanes" etc) wird über die Leinwand gejagt, als wäre Nolans neuer Film nur die 106-minütige Verlängerung eines ausgelassenen Daddel-Geballers. Kein Zufall, kein Missgeschick des Kinobetreibers, sondern kommerzielles Kalkül. Warner Bros. hat mit dem Spieleanbieter Wargaming America einen Deal geschlossen, der eben jene Trailer wie eine helfende Flotte weltweit vor Nolans neuem Kriegsfilm auslaufen lässt.
Crosspromotion sollte gut überlegt sein
Das Ganze nennt sich Crosspromotion und ist natürlich kein neues Phänomen. Zigfach sehen wir heutzutage Kooperationen großer Unternehmen auf Leinwand oder Bildschirm. So wurde beispielsweise für "Jurassic World" eine eigene Lego-Reihe etabliert und ein Werbeclip vor den Kinofilm geschaltet. Doch stimmt auch im Falle eines cineastischen Weltkriegsszenarios das Fingerspitzengefühl? Für den Marketingchef des Computerspiels auf jeden Fall: "Genau wie viele historische Ereignisse des Zweiten Weltkriegs beeinflusst auch 'Das Wunder von Dünkirchen' unsere Spiele", so Erik Whiteford, Head of Marketing bei Wargaming America. "Wir sind von dieser einzigartigen militärischen Operation inspiriert und freuen uns über die Partnerschaft mit Warner Brothers zu Christopher Nolans lange erwarteten Action-Thriller 'Dunkirk'".

Gleiches Thema? Passt! Dass ein Marketingchef das so sieht, ist nachvollziehbar. Doch bei einem Filmpedant wie Christopher Nolan, der seit "Batman Begins" keine Presse mehr an seine Sets lässt, detailversessen jede Kameraeinstellung prüft und mit Vorliebe selbst nach Fertigstellung seines Werks Interviews gibt, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ist solch eine Kooperation ein inszenatorischer Fehlgriff. Denn: Locker lässig Krieg spielen und einen guten Kriegsfilm sehen - das passt nicht in einen Raum. Es erweckt einen falschen Eindruck von der Intention des Films, wenn den Zuschauern vorab ein Computerspiel schmackhaft gemacht wird, bei dem die Spieler den "World of Tanks", "World of Warships" und "World of Warplanes" gleich des erzählerischen Triumvirats bei "Dunkirk" durchexzerzieren dürfen.

Aber vielleicht hat Erik Whiteford auch recht und "Dunkirk" ist ein Action-Thriller. Vor allem in diesem Genre arbeitet Film mit Techniken des Suspense. Wenn Christopher Nolan das mit der "Sprache der Spannung" gemeint hat, ist der Einsatz von Kriegsspielwerbung natürlich angemessen.

Autor: Steven Sowa