Ein bisschen blass um die Nase ist er, als wir uns in Berlin treffen. Man sieht ihm an, dass er die letzten Wochen nicht bei herrlichem Sommerwetter an einem baye­rischen See verbracht, sondern im Schneideraum gesessen hat, um akribisch an der Fertigstellung seines neuen Films zu feilen. Ein Film, der ihm besonders am Herzen liegt, denn Michael Bully Herbig, der sich 2017 mit "Bully­parade - Der Film" vom Genre der Paro­die à la "Der Schuh des Manitu" verabschiedet hat, legt mit "Ballon" seinen ersten ernsten und - wenn man so will - erwachsenen Film vor.

Ein Bayer erzählt eine DDR-Fluchtgeschichte

Die meisten Leute kennen Sie bislang nur als Komiker...
Michael Bully Herbig: Hoffentlich geht der Satz jetzt nicht weiter: ...nicht gerade die beste Voraussetzung, um einen Thriller über einen Fluchtversuch aus der DDR zu erzählen.

Nein, so: ...und dass Sie auch Schauspieler ernsthafter Rollen und Regisseur sind, ist vielen gar nicht präsent. Welches Vorurteil fürchten Sie gerade am meisten?
Da kommt dieser Komiker aus Bayern und denkt sich aus, wie's damals in der DDR wohl gewesen ist.

Was haben Sie gemacht, um diesem Vorurteil möglichst keine Nahrung zu geben?
Ich habe sechs Jahre in die Vorbereitung des Films gesteckt. Anfangs wusste ich tatsächlich nicht sehr viel, denn ich bin nur ein einziges Mal in der DDR gewesen, mit der Schule, und war heilfroh, als ich am Abend wieder zurück im Westen war. Damals kam mir Ostberlin vor wie ein Schwarz-Weiß-Film, farblos, alles grau in grau. Bei der Vorbereitung für den Film habe ich verstanden, dass es auch bunte Farben ge­geben hat. Wenn du in einem System der Unfreiheit leben musst, versuchst du natürlich, es dir irgendwie erträglich zu machen. Die einen haben sich arrangiert, andere fanden es vielleicht auch ganz praktisch, aber ein Großteil der Menschen hatte eine irrsinnige Sehnsucht nach Selbstbestimmung und fühlte sich eingesperrt. Ich hoffe, es gelingt dem Film, das alles auszudrücken.

"Ballon"-Trailer

Großes Hindernis: Ein Nachtflugverbot

Der Film basiert auf einer wahren Geschichte. Warum wollten Sie gerade diesen Stoff verfilmen?
Es gibt ja schon eine Verfilmung, die Disney 1982 ins Kino gebracht hat. Damals habe ich mir gedacht, wenn Hollywood eine deutsche Geschichte verfilmt, muss die ziemlich spektakulär sein. Ob sich jemand im Kofferraum eines Autos versteckt hat, nachts mit dem Boot über die Ostsee gefahren ist, sich ­einen Tunnel gegraben hat oder einen Fluss durchschwommen ist - jeder Fluchtversuch war für die Beteiligten ein großes Wagnis. Aber sich selbst einen Ballon zu nähen und mit acht Menschen auf einer 0,8 Millimeter dicken Platte in 2000 Meter Höhe über die Grenze zu schweben, das ist schon extrem waghalsig, und das wollte ich unbedingt noch mal mit deutschen Schauspielern erzählen.

Wie und wo haben Sie recherchiert?
Wir haben Berge von Stasi-Unterlagen eingesehen, immer wieder mit den beiden Familien gesprochen, deren Geschichte wir erzählen, und parallel alles an Fakten recherchiert, was man überhaupt nur recherchieren kann. Als das Drehbuch fertig war, habe ich mich zwei Wochen lang mit Leander Haußmann, unter dessen Regie ich in "Hotel Lux" gespielt habe, in Wien zusammengesetzt. Leander ist in der DDR aufgewachsen, der kennt sich aus. Mit ihm bin ich das Drehbuch immer wieder Seite für Seite durchgegangen. Ich wollte, dass jedes Detail im Film die DNA der DDR atmet, deshalb hatten wir auch jeden Tag zwei Experten am Set.

Gab's trotzdem Fehler?
Es gab einen Moment, der mir einen Riesenschrecken eingejagt hat. Thomas Kretschmann, der den ermittelnden Oberstleutnant der ­Stasi spielt, hatte die Idee, sich für die Rolle einen dicken Schnauzbart stehen zu lassen. Sieht ­super aus, fand ich klasse. Wir haben seine ersten Szenen gedreht, da kommt einer der Berater zu mir und sagt: "Herr Herbig, ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass ein Mitarbeiter in dieser Position keinen Schnauzer tragen würde, denn Schnauzer ­waren verboten." Da stand ich nun. Sollten wir alles neu drehen, oder sollten wir einfach ­weitermachen in der Hoffnung, dass es sonst niemand merkt?

Sie haben sich für den Schnauzer entschieden. Warum?
Ich fand es glaubwürdiger für die Rolle. Trotzdem habe ich abends Leander angerufen. Ich erzähle ihm also die Geschichte und dass ich wahrscheinlich großen Bockmist gebaut habe, da brüllt er plötzlich in den Hörer: "Nein! Das ging doch. Es gab eine Ausnahme. Wer eine Hasenscharte hatte, durfte auch einen Schnauzbart tragen." Mann, war ich erleichtert.

Bullys riesige Höhenangst

Warum haben Sie mit echten Ballons gedreht und sie nicht im Computer hergestellt?
Vor zwanzig Jahren konntest du mit compu­ter­ge­nerierten Riesendinos noch beeindrucken, heute weiß jedes Kind, dass alles, was halbwegs spektakulär aussieht, am Computer entstanden sein muss. Dadurch wird es ­irgendwie unrealistisch. Aber der Ballon ist ­einer ­unserer Hauptdarsteller, und den wollte ich real vor Ort haben.

Man sagt, drehe nie mit Tieren oder Kindern. Sollte man das um "drehe nie mit echten Ballons" erweitern?
Also, einfach war's nicht. Das Teil war damals mit 4000 Kubikmetern der größte Heißluftballon Europas und hat sogar einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde bekommen. Wir brauchten zwei Ballons, weil ja einer beim ersten Fluchtversuch kaputtgeht. Unser zweiter Ballon war 32 Meter hoch, bestand aus 1245 Quadratmeter Stoff und hatte ein Volumen von 4200 Kubikmetern.

Die beiden Fluchtversuche fanden im Schutz der Nacht statt. Durften Sie nachts mit dem Ballon aufsteigen und fliegen?
Hätte ich natürlich am liebsten gemacht, aber für Heißluftballons gilt ein striktes Nachtflugverbot. Deshalb haben wir sie mit großem ­technischen Aufwand am Boden fixiert und nur dreißig Meter in die Höhe steigen lassen. Gott sei Dank war's in den Drehnächten beinahe windstill, sonst hätten wir ein Riesenproblem gehabt, dieses Monster von Ballon zu bändigen.

Sind Sie selbst auch aufgestiegen?
Ich bin doch nicht verrückt.

Haben Sie etwa Höhenangst?
Ja. Mir haben in letzter Zeit etliche Leute angeboten, mit ihnen eine Ballonfahrt zu machen. Nett gemeint, aber da steige ich auf gar keinen Fall ein.

Sie haben sechs Jahre in "Ballon" investiert. Hat es sich gelohnt?
Ganz ehrlich? Zum ersten Mal in meiner Kar­riere als Regisseur bin ich zu hundert Prozent zufrieden mit einer Arbeit. Und auch ein bisschen stolz. Außerdem hatte ich genügend Zeit, um mir ein dickes Fell zuzulegen. Sollten die Kritiker meinen draufhauen zu müssen, ist mir das diesmal tatsächlich vollkommen egal.