Die Fußstapfen sind groß, in die Sabin Tambrea tritt. In einer aufwendigen Kinoproduktion spielt er Ludwig II. von Bayern (1845-86), der als "Märchenkönig" zur Legende wurde. Der Film beginnt damit, wie der erst 18-jährige Ludwig nach dem überraschenden Tod seines Vaters den Thron besteigt.

Die Zeiten waren unruhig, und der zutiefst pazifistisch eingestellte Monarch unterschrieb auf Drängen seiner Minister 1866 den Mobilmachungsbefehl, womit Bayern in den Deutschen Krieg zwischen Österreich und Preußen eintrat. Doch das Kriegführen überließ er anderen, flüchtete immer mehr in eine Parallelwelt, in der Musik und Kunst die Hauptrolle spielten, und ließ sich sündteure Schlösser wie Herrenchiemsee und Neuschwanstein bauen. Der Film endet mit dem Tod Ludwigs, der am 13. Juni 1886, entmündigt und unter mysteriösen Umständen, im bayerischen Würmsee ertrank.

Der große Luchino Visconti hat 1972 (mit Helmut Berger in der Titelrolle) die Messlatte für alle künftigen Kino-Ludwigs sehr hoch gehängt. Doch wer Sabin Tambrea spielen sieht, ist sofort gefangen von seinem zeitlosen Charme, seiner fragilen Schönheit und seiner Hingabe an die Kunst und die Musik. Edgar Selge spielt Richard Wagner, den Ludwig II. gegen viele Wider­stände förderte. TV SPEILFILM traf beide Darsteller im Berliner Hotel Regent zum Gespräch.

TV SPIELFILM: König Ludwig war eine sehr zerrissene, komplizierte Persönlichkeit. Sabin, was hat Sie an ihm am meisten fasziniert?

SABIN TAMBREA
Seine Liebe zur Kunst und die Fähigkeit, Musik als etwas zu empfinden, was das Leben bereichert. Das ist identisch mit meinem Lebensgefühl. Musik ist ein großer Teil meines Lebens, auf den ich nicht verzichten kann. Dass Ludwig seine Liebe zur Musik so konsequent gelebt hat, bewundere ich sehr. Genau wie seine Überzeugung, dass Musik und die Künste unverzichtbar sind, eine Überzeugung, für die er heftigst kritisiert wurde.

EDGAR SELGE Mich hat am Drehbuch fasziniert, dass man einen jungen Mann kennenlernt, der durch das Amt, das er plötzlich ausüben muss, in eine Isolation getrieben wird, aus der es keinen Ausweg für ihn gibt. An dem Wahnsinn, den man Ludwig immer unterstellt, hat sein Umfeld ja einen riesengroßen Anteil. Da prallen zwei unvereinbare Welten aufeinander.

Nämlich?

EDGAR SELGE Auf der einen Seite steht ein König, der unbeirrt daran glaubt, dass nur die Kraft der Musik die Welt verändern kann und nicht die Macht der Militärs.Ihm gegenüber stehen ein zutiefst in seinem Stolz verletztes bayerisches Volk, das verzweifelt an seiner Identität festhalten will, und eine kriegslüsterne Ministerriege. In diesem Zusammenprallen wird die ganze Zerrissenheit Ludwigs nachvollziehbar.

Sabin, Sie waren als Kind und Teenager ein hochgelobter Vio­linist, sind aber auf der Bühne oft ohnmächtig geworden.

SABIN TAMBREA
Stimmt.

Während der Spielens oder danach?

SABIN TAMBREA
Och, da war ich sehr flexibel.

EDGAR SELGE (lacht)

SABIN TAMBREA Ich habe mit vier angefangen und Geigenunterricht bekommen.

Freiwillig oder weil Ihre Eltern das so wollten?

SABIN TAMBREA
Meine Eltern sind Musiker und wollten mir die Liebe zur Musik mitgeben. Ich saß also in meinem Kinderzimmer und versuchte durch stundenlanges Üben, die Reflexe in die Finger reinzukloppen. Dann steht man auf der Bühne, hundert Leute gucken zu, und man ist auf diese Reflexe angewiesen. Ich war sehr ehrgeizig und entsprechend nervös - und wurde ohnmächtig.

Edgar Selge hat Klavier studiert. Haben Sie in den Drehpausen gemeinsam musiziert?

SABIN TAMBREA
Wir haben uns darauf beschränkt, Musik zu hören.

EDGAR SELGE Wir saßen morgens lange in der Maske. Seine Haare, meine Nase. Das hat ein, zwei Stunden gedauert. Ich habe dabei Wagner gehört.

SABIN TAMBREA Der war früher ganz wichtig für mich. Als ich die Liebe entdeckte, kam auch Wagner mit Isoldes "Liebestod" auf meinen Radar. Dann habe ich mich für die ganze Oper interessiert. Später kam Gustav Mahler dazu, Schostakowitsch, Prokofjew. Diese Komponisten haben bis jetzt den Soundtrack zu meinem Leben geschrieben.

Nicht Mozart oder Chopin?

SABIN TAMBREA
Nein, ich brauchte eine andere Schmerzhaftigkeit und Tiefe. Für mich war Ludwig übrigens nicht Wagner, sondern Gustav Mahler. Seine Musik war für mich die Basis für die Figur.

EDGAR SELGE Musik hören ist eine schöne Art, sich zu konzentrieren. Ich bin Wagner-Fan geworden. Früher erschien mir das ganze Spektakel um Bayreuth und den Grünen Hügel schrecklich banal. Mich interessiert auch immer noch nicht, wer da mit wem und in welchem Kleid über den roten Teppich schreitet. Als ich 2008 zum ersten Mal nach Bayreuth eingeladen war, war der schönste Moment der, als das Licht im Saal erlosch, die Leute verstummten und der Dirigent den Taktstock hob.

Der Promi-Auftrieb gehört doch zu Bayreuth. Ist er ihnen so suspekt?

EDGAR SELGE Ach Gott, das haben wir bei jedem Filmpreis und bei jeder Premiere. Man lächelt kurz für die Fotografen und geht seiner Wege. Das ist wie Zähneputzen, lästig, aber notwendig. Was mich am meisten an der Oper fasziniert, ist, dass die Musik für die Schurken wie für die Helden gleichermaßen schön geschrieben ist. Ich empfinde es als ein Zeichen von großer Humanität, dass gerade die Bösen oft so besonders schön singen.

Herr Selge, Sie haben sich für Ihre Rolle als Richard Wagner intensiv mit dessen Biografie beschäftigt. Wie war Ihr Wagner-Bild vor dem Dreh?

EDGAR SELGE Vorher war es sehr lückenhaft. Es bestand aus ein paar Musikstücken, die ich von ihm gehört hatte, und aus dem Wissen darum, dass er ein Antisemit war. Als mir die Rolle angeboten wurde, habe ich mich ernsthaft mit ihm beschäftigt. Mir ist erst in der Vorbereitung klar geworden, was für ein politisch aktiver Mensch er war.

Wagners Antisemitismus, den die Nazis später plakatiert haben, spielt im Film keine Rolle.

EDGAR SELGE Die Behandlung des Wag­ner'schen Antisemitismus und seiner Gründe würde einen eigenen Film erfordern. Ich finde das ein sehr lohnendes, aber auch ein sehr kompliziertes Gebiet und möchte das hier nicht in einem Nebensatz abhandeln müssen. Das Wunderbare an Ludwig ist, dass er jemand war, der Minderheiten geschützt hat, sicher auch aus dem Gefühl heraus, dass er selbst einer Minderheit angehört. Insofern war auch Antisemitismus zwischen den beiden kein Thema, und deshalb kommt er in unserem Film nicht vor.

Susanne Sturm