Mit dem Polizeifunk am Ohr cruisen sie durch die Nacht, auf der Jagd nach spektakulären Bildern von Unfällen und Mordopfern, die sie an lokale TV-Stationen verkaufen - sogenannte Nightcrawler kennen keine Skrupel. Im gleichnamigen Thrillerdrama, dem Regiedebüt des Drehbuchautors Dan Gilroy ("Das Bourne Vermächtnis"), spielt Hollywood-Star Jake Gyllenhaal einen angehenden Tatort-­Paparazzo, der rasch lernt, was sich am besten verkauft.

Angestachelt von der Leiterin eines lokalen TV-Senders in Los Angeles, hilft der Reporter sogar ein wenig nach, als die Bilder der Nacht nicht mehr krass genug erscheinen. Die sensationshungrige TV-Macherin in einer Medienwelt jenseits von Anstand und Moral wird von Dan Gilroys Ehefrau Rene Russo verkörpert. Ab 13.11. im Kino.

TV SPIELFILM: Ihr Mann hat die Rolle extra für Sie ins Drehbuch geschrieben, nicht wahr?

Rene Russo Als er mir gesagt hat, er schreibe ­eine Rolle für mich, habe ich zunächst nicht groß darüber nachgedacht. Aber mit der Zeit habe ich mir dann doch gewünscht, dass er mir ­einen Part geben möge, der mich wirklich herausfordert. Und dieser Film hat mich gefordert. Er ist großartig, und ich bin sehr froh darüber, dass ich diese Chance ­bekommen habe.

Sie spielen eine skrupellose News-Macherin. Vertrauen Sie den Nachrichten jetzt noch?

Russo Das kommt darauf an. (lacht) Wissen Sie, man sieht und hört eine Menge, aber man darf nicht alles glauben. Da gibt es zum Beispiel die Nachrichten beim liberalen Sender MSNBC, wo man eine Menge erfahren und auch lernen kann, und dann gibt es Fox. Das ist schon ein Unterschied. Ich schaue ­keine regionalen News, die sind irgendwie deprimierend. (lacht)

Jake Gyllenhaal Ich habe als Kind gern ­lokale News geschaut, heute schalte ich ab und zu rein, wenn ich unterwegs bin - andere Städte, andere Themen, andere Moderatoren. Aber Dan (Regisseur Dan Gilroy) guckt, glaube ich, nichts anderes. Er ist geradezu fasziniert ­von den Nachrichten. Er denkt, sie sind die Venen und Arte­rien unserer Gesellschaft, das Herz unserer Kultur. Das will der Film ausdrücken.

Wir brauchen also die Nachrichten?

Gyllenhaal Nicht alle. Aber wir brauchen Informationen darüber, was in der Welt vor sich geht, damit wir uns eine Meinung bilden können.

Aber wer informiert uns?

Gyllenhaal Das ist genau die Frage, davon handelt der Film. Wer sind diese Menschen, die Meinung machen, und welche Möglichkeiten haben sie?

Wussten Sie vor diesem Film eigentlich, was Nightcrawler sind?

Russo Nein. Danny kam irgendwann nach Hause und erzählte mir von ihnen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wusste weder, was sie filmen, noch warum oder an wen sie ihre Filme verkaufen. Wenn ich heute um vier Uhr früh mit dem Auto in L. A. unterwegs bin und einen Lieferwagen sehe, denke ich manchmal: Ah, da sind sie!

Sie fahren morgens um vier Uhr mit dem Auto herum?

Russo Ich wusste, dass das jetzt kommt. Es passiert nicht häufig, aber hin und wieder schaue ich bei meinen Freundinnen bis spät noch Filme. Wenn ich arbeite, muss ich oft schon um halb fünf aufstehen. Also, ich mag es, lange aufzubleiben.

Gyllenhaal Ich bin ein Frühauf­steher, weil ich gerade einen Boxfilm gemacht habe, für den wir jeden Morgen bei Sonnenaufgang anfingen. Beim Dreh zu "Night­crawler" aber war die Nacht für mich wieder so aufregend wie zuletzt als Teenager.

Zur Vorbereitung haben Sie einige Zeit mit Sensationsreportern verbracht. Was haben Sie dabei erfahren?

Gyllenhaal Wie skrupellos sie sein können. Wir sahen, wie ein Auto auf der Überholspur eines Freeways in L. A. zum Halten kam, und noch bevor jemand helfen konnte, waren Nightcrawler vor Ort. Mit der Kamera im Anschlag warteten sie darauf, dass ein anderer Wagen drauffährt. Was ich für die Rolle lernen musste, war eben dieses Verhalten: einfach stillsitzen und abwarten, dass etwas Schlimmes passiert.

Was war das Schlimmste, das Sie je
gesehen haben?


Gyllenhaal Schon bei der Vorbereitung auf den Copthriller "End of Watch" war ich monatelang in den Straßen von Los Angeles unterwegs. Von Bränden über Autounfälle bis hin zu Menschen, die auf offener Straße erschossen wurden, habe ich alles gesehen. Und das war alles schlimm.

Das klingt ja furchtbar. Haben Sie diese Geschehnisse nicht aufgewühlt?

Gyllenhaal Natürlich war das beängstigend. Aber ich habe versucht, mich ohne Emotionen nur auf die ­Situation zu konzentrieren.

Rene, wie weit würden Sie für einen Job gehen?

Russo Ich glaube nicht, dass ich besonders ehrgeizig bin. Wäre ich es, hätte meine Karriere vielleicht einen anderen Weg genommen. Es ging mir nie um die eine Rolle, für die ich sterben oder alle Bedenken über Bord werfen würde. Ich bin praktisch veranlagt. Ich wollte mir irgendwann ein Haus kaufen und meiner Mutter auch. Es gab zwar auch schlimme Zeiten, in denen ich Dinge getan habe, die ich nicht hätte tun sollen, aber das hatte nichts mit der Arbeit zu tun. (lacht)

Der Film zeigt, dass Kameras all­gegenwärtig sind und fast jeder auch ein Kameramann ist. Wie sehr fühlen Sie sich dadurch beeinträchtigt?

Russo Na ja, man wird ja bereits im Res­taurant mit dem Rücken zur Wand gesetzt, damit die Leute Fotos machen können, die so aussehen, als ob einem das Essen gerade aus dem Mund fällt. Ich bin davon nicht so betroffen wie Angelina Jolie, aber ich nehme mich in Acht davor.

Nicht nur Nightcrawler "schießen" Prominente, um eine Story zu verkaufen...

Russo Genau. Deswegen kann ich nicht in Ruhe einkaufen, ich shoppe online. Ich habe übrigens nichts dagegen, wenn Fans mich auf der Straße ansprechen. Aber diejenigen, die aus reiner Sensationslust auf den Auslöser drücken, sind keine Fans. Die wollen im Zweifel nur Geld machen.

Gyllenhaal Ich filme mit meiner Handykamera, aber nur, wenn meiner Nichte mal wieder etwas Verrücktes eingefallen ist. Ansonsten finde ich es schon außergewöhnlich, was die Leute alles mit ihren Kameras dokumentieren. Ich beobachte manchmal auf der ­Straße oder in der Metro, wenn sie ­versuchen, mich heimlich aufzunehmen. In meiner Rolle als Night­crawler Lou sehe ich die Dinge auch aus dieser anderen Perspektive.

Dieser Lou erinnert an einen anderen Soziopathen der Filmgeschichte: ­Travis Bickle aus Scorseses "Taxi Driver" mit Robert De Niro.

Gyllenhaal Was soll ich dazu sagen? Ich hatte ein paar Bücher über Soziopathie gelesen, aber letztlich bin ich nur meinem Instinkt gefolgt. Ich glaube, ich kann mich ganz gut in Menschen hineinversetzen, und dann mache ich mir keine Gedanken, was andere dazu sagen oder bereits gemacht haben.

Rene, Ihre Rolle des Nachrichtenhais Nina erinnert an Faye Dunaway in "Network". ­Haben Sie den Film gesehen?

Russo Natürlich, aber das ist lange her. Ich wollte mir nicht jetzt zur Vorbereitung die starke Faye Dunaway anschauen. Ich glaube nicht, dass Nina diese Stärke hat.

Scott Orlin

Jake Gyllenhaal (33), zählt seit Ang Lees "Brokeback Mountain" zu Hollywoods erster
Garde. In Antoine Fuquas "Southpaw" spielt er demnächst einen Preisboxer

Rene Russo (60), hat von "Lethal Weapon"-Action mit Mel Gibson bis zu Gangsterkomödien ("Schnappt Shorty") viele Genres bedient. Demnächst in der Indiekomödie "Frank and Cindy"