Der Film beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, und wie distanziert es inzwischen in den letzten Jahren geworden ist. Was, meinen Sie, sagt das über unsere Kultur?

ROBERT DE NIRO Dass unsere Kultur und die Umstände des täglichen Lebens die Leute weiter auseinander gebracht haben. In früheren Jahren war die Gemeinschaft enger und jeder hat auf den anderen aufgepasst. Heutzutage gibt es das zwar ansatzweise auch noch, aber Kinder gehen nunmal weg, um ihre eigenen Familien zu gründen. Sie ziehen in eine andere Stadt, bleiben nicht dort, wo sie geboren sind. Ich fand das schon immer ein wenig seltsam. Momentan sind alle meine Kinder mit mir in New York und das finde ich viel besser so.

Wie ist es mit Familienmitgliedern, die weiter weg sind? Wie bleiben Sie mit denen in Verbindung?

ROBERT DE NIRO Ich schicke den Kindern E-Mails. Ich weiß, dass es Skype und sowas gibt, aber damit hab ich mich noch nicht wirklich beschäftigt. Ich weiß, dass die Kinder so miteinander kommunizieren, aber ich tu das nicht. Ich stamme nun mal aus einer anderen Generation (lacht).
Glauben Sie, dass die Möglichkeiten heutiger Technologie die Leute weiter voneinander entfernen? Heute kann man leben, wo immer man will, und über das Internet miteinander kommunizieren. Haben wir die Notwendigkeit verloren, einander physisch nahe zu sein?

ROBERT DE NIRO Das weiß ich nicht, da ist mir schon die Frage zu groß. Ich versuche, es nicht philosophisch zu sehen, was da gerade passiert. Wir verändern uns. Die Dinge haben sich geändert, von den 40ern zu den 50ern, von den 60er zu den 70ern. Wenn ich mir mein Leben von Moment zu Moment ansehe, dann unterscheidet es sich so sehr von dem Leben meiner Kinder. Aber es gab sicher auch schon Ablenkung, bevor es das iPhone gab. Eltern haben sich schon immer darüber aufgeregt, dass ihre Kindern zu viel Fernsehen schauen. Davor war'S wahrscheinlich dasselbe mit Kindern und dem Radio. Was ich an Kinofilmen mag, ist dass die ganze Familie gemeinsam ins Kino gehen kann, es ist eine Gruppenerfahrung.

Da Sie selber Vater sind, wie sehr können Sie sich mit Ihrer Figur im Film identifizieren?

ROBERT DE NIRO In der Beziehung habe ich eine ganze Menge Erfahrung, also das war eine der einfacheren Übungen.

Frank scheint ohne seine Frau und Kinder ziemlich verloren zu sein. Er kann nicht mal richtig einkaufen, ohne seine Frau? Wie verloren sind Sie selbst, wenn niemand bei Ihnen ist in solchen Situationen?

ROBERT DE NIRO Das kommt bei mir normalerweise nicht vor, aber ich kann nachfühlen, wie es Menschen geht, die ganz alleine sind. Das ist ein bisschen traurig.

Kaufen Sie denn selbst ein? Waschen Sie auch mal ab?

ROBERT DE NIRO Es kommt schon mal vor, dass ich eine Tasse ausspüle oder so (lacht). Und ich kann Kaffee mahlen und die Maschine befüllen. Das ist manchmal eine gute Therapie.

Überraschen Sie Ihre Kinder auch mal mit einem Spontanbesuch?

ROBERT DE NIRO Nein, das mache ich nicht. Ich rufe sie an und vergewissere mich, dass sie auch da sind, denn ich will nicht unverrichteter Dinge wieder weggehen müssen. Da gehe ich auf Nummer Sicher (lacht).

Unterwegs: Robert De Niro in "Everybody's Fine"

Im Film scheinen Sie etwas ungehalten, weil Ihre Kinder sich ihrer Mutter anvertrauen und nicht Ihnen. Wie ist das mit Ihren Kindern?

ROBERT DE NIRO Das stimmt, da gibt es Ähnlichkeiten. Ich versuche, immer ehrlich mit meinen Kindern zu sein, und möchte, dass sie mir vertrauen. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass sie, je älter sie werden, auch verstehen, dass ich im Grunde dasselbe durchgemacht habe wie sie. Sie sollen wissen, dass wir uns ziemlich ähnlich sind.

Im Film ist Frank enttäuscht, weil seine Kinder nicht seinen Erwartungen entsprechen. Wie sieht das bei Ihnen aus?

ROBERT DE NIRO Ich erwarte von meinen Kindern überhaupt nichts. Ich hoffe, dass sie zu sich selbst finden und das tun können, was ihnen gefällt. Ich hoffe, sie haben das Glück, daraus eine Karriere zu machen.

Glauben Sie, Sie haben die Erwartungen Ihrer Eltern erfüllt?

ROBERT DE NIRO Ich denke schon. Meine Eltern haben nichts von mir erwartet, aber sie haben mich immer unterstützt.

Am Ende des Films kommt die ganze Familie an Weihnachten zusammen. Wie ist das bei Ihnen, kümmern Sie sich um den Truthahn?

ROBERT DE NIRO Es ist manchmal gar nicht so einfach, die ganze Familie zusammenzubringen, weil wir einen ziemlich gespaltenen Familienverbund haben. Mir geht es immer vor allem darum, dass alle Kinder zusammen sind, und das gelingt mir eigentlich immer ziemlich gut. Was den Truthahn betrifft: Ich mach das nicht. (lacht) Da kümmert sich immer jemand anderes drum.

Marcello Mastroianni in Giuseppe Tornatores "Allen geht's gut" (1990)

"Everybody's Fine" basiert auf einem italienischen Film mit Marcello Mastroianni. Kannten Sie den Menschen, den Schauspieler Mastroianni? Sind sie sich je begegnet?

ROBERT DE NIRO Ich kannte ihn ein wenig, ja. Wir sind ein paar Mal zusammengetroffen. Tornatores Film ist aus einer andweren Zeit, Mastroianni hatte einen anderen Stil, auch der Film. Tatsächlich ist der Film in meiner Erinnerung schwarzweiß - ich weiß, dass er in Farbe ist, aber ich erinnere mich so an ihn. Kirk Jones (der Regisseur) hat nur die Struktur der Geschichte übernommen und seine eigene Version gedreht, siebzehn Jahre später. Für mich ist das ein ganz anderer Film.

Aber Sie haben das Original gesehen?


ROBERT DE NIRO Sogar dreimal. Ich wollte die Essenz des Films ergreifen, aber mich dann davon entfernen. Es musste ganz unser eigenes Projekt werden.

"Lang lebe Ned Devine!" (1998), Regie: Kirk Jones

Haben Sie sich die anderen Filme von Regisseur Kirk Jones angesehen, "Lang lebe Ned Devine!" und "Eine zauberhafte Nanny", um seinen Herangehensweise an seine Charaktere zu verstehen?

ROBERT DE NIRO Ja. Besonders "Ned Devine" mochte ich sehr, weil er's nie übertrieben hat. Er hatte die irische Musik und all den anderen irischen Kram, das hätte man leicht übertreiben können, aber das war's nicht. Er hätte sehr sentimental sein können, was ja auch in Ordnung gewesen wäre. Aber ich mag gerade, dass der Film nie zu weit geht.

Sie haben so viele großartige Filme gemacht und haben sicher genug Angebote - wie bekommt man Sie heute vor die Kamera?

ROBERT DE NIRO Das kommt auf den jeweiligen Fall an. Meist fängt es mit einem Drehbuch an und einer Figur, aber für mich ist auch der Regisseur sehr wichtig. Ich habe die Arbeit mit Kirk hier sehr genossen, ich könnte mir vorstellen, dass wir noch weitere Filme miteinander machen. Nachdem ich Kirk getroffen und er mir die Geschichte erzählt hatte, präsentierte er mir seine visuellen Vorstellungen anhand von Fotos. Er hatte sogar Fotos von Telefonmasten und Stromleitungen. Man hat seine Leidenschaft gespürt. Obwohl er erst zwei Filme gedreht hat, hat er mich sehr beeindruckt.

Wenn Sie sich Ihre Karriere ansehen, worauf sind Sie am stolzesten?

ROBERT DE NIRO Das weiß ich wirklich nicht - vielleicht, dass ich immer noch da bin! (lacht) Ich habe nie in meine eigene Zukunft blicken können, ich wusste nie, wo ich mal landen würde. Ich bin glücklich, dass ich noch hier bin und - klopf auf Holz - dass ich gesund bleibe und weiterarbeiten kann.

Interview: Scott Orlin