Es geht um Gewalt und Drogen und was man bereit ist, für seine Familie zu opfern: Der düstere Kinothriller "Auge um Auge" ist nichts für zimperliche Gemüter. Dafür waren seine beiden Hauptdarsteller Christian Bale und Woody Harrelson extrem gut aufgelegt, als wir sie zum gemeinsamen Gespräch über den Film baten:

TV SPIELFILM Sind Sie solchen Typen, wie sie hier im Film auftauchen, schon im echten Leben begegnet?
WOODY HARRELSON Ja, bei Pittsburgh, da hab ich Crystal-Meth-Abhängige getroffen, auch ein paar Heroinsüchtige. Und ein Typ von der DEA, der Drogenabteilung der Polizei, hat mir sehr bei der realistischen Darstellung im Film geholfen.

Sie spielen einen Hillbilly mit ernsthaftem Gewaltpotenzial.

WOODY HARRELSON
Ja, wobei ich sagen muss, dass die Figur im Grunde schon auf den Drehbuchseiten stand, das war einfach ein großartiges Skript.

CHRISTIAN BALE Russell, den ich spiele, ist jemand, der fast schon verzweifelt sein Leben lang versucht, alles richtig zu machen. Er hat sich dabei eine sehr stoische Art zugelegt. Ich halte ihn für einen archetypischen, sehr modernen Charakter. Und besonders fasziniert bin ich von Menschen, die immer an einem Ort bleiben - gerade weil mir selbst das so fremd ist.

Wo fühlen Sie sich zuhause?

CHRISTIAN BALE
Von klein auf bin ich immer umgezogen, herumgereist, ich habe nie das Gefühl, an irgendeinem Ort Wurzeln zu haben. Mich faszinieren Leute wie Russell, die genau das fühlen.

Dabei ist sein Heimatort nicht eben ansprechend, alle sind entweder betrunken oder auf Drogen. Wie fremd war Ihnen das?

CHRISTIAN BALE
Ganz offensichtlich waren Sie noch nie in England! (lacht)

WOODY HARRELSON Ich bin gestern Abend aus Hawaii los, ein wunderschöner Ort, aber an allen Ecken gibt es (Crystal) Meth und Drogies. Das ist dort ein echtes Problem, weil es eine sehr billige Droge ist. Trotzdem wohne ich gern dort und habe auch das Gefühl, ein natürliches, idyllisches Leben zu führen.
Sie wirken auch immer sehr entspannt und friedfertig, wenn wir uns zu Interviews treffen. Trotzdem spielen Sie oft so furchtbar gewaltbereite Typen...

WOODY HARRELSON
(lachend) Das ist meine dunkle Seite! Ich glaube, es ist der bessere Weg, diese dunkle Seite im kontrollierten Umfeld - vor der Kamera - herauszulassen. Aber ich hab fiese Rollen auch schon abgesagt.

Warum?

WOODY HARRELSON
Wenn zum Beispiel in Drehbüchern unfassbar furchtbare Charaktere kleinen Kindern Schlimmes antun. Es gibt Parameter, auf die mich nicht einlasse. Übrigens hatte zuerst meine Frau das Drehbuch zu "Auge und Auge" gelesen und wollte nicht, dass ich das mache. Normalerweise reicht das schon.
Warum diesmal dann doch?

WOODY HARRELSON
Weil das Gesamtpaket stimmte. Ich meine, Scott Cooper, Casey Affleck, Zoë Sal-dana, Christian - mir war klar, das wird großartig. Intensiv, ja, aber eben auch großartig.

CHRISTIAN BALE Mir ging's ähnlich. Ich muss mich einem Projekt ganz und gar hingeben können, sonst wird es ein kompletter Reinfall. Es ist ein schmaler Grat zwischen Erfolg und Peinlichkeit.

Wie kann man das verhindern? Durch akribische Vorbereitung?

CHRISTIAN BALE
Für mich ist der tatsächliche Dreh immer auch Teil der Vorbereitung. Natürlich will man so gut vorbereitet, wie möglich sein, aber man weiß nie, was passiert. Ich genieße immer auch ein gewisses Element von Chaos. Sonst entdeckt man nichts. Außerdem: Wenn man auf alles vorbereitet ist, wo bleibt der Spaß?

Welchen Rat würden Sie anderen Schauspielern geben?

CHRISTIAN BALE
Dass jeder Rat unnütz ist, das schwöre ich bei Gott. Ich wünschte, ich hätte irgendein Geheimnis, das ich mit anderen teilen könnte, aber in dreißig Jahren im Filmgeschäft hab ich das nicht entdeckt. Mein Rat wäre also, alle weiteren Ratschläge zu ignorieren. (lacht)
Gewalt spielt in diesem Film eine große Rolle. Wann würden Sie Gewalt anwenden?

WOODY HARRELSON
Sobald irgendetwas meine Familie bedroht, reagiere ich sehr aggressiv. Ich hatte schon Begegnungen mit Paparazzi, die meine Kinder fotografieren wollten, das kann ich gar nicht gut ab. Dabei bin ich Pazifist. Also, Aggropazifist. (grinst) Aggro im Sinne von aggressiv.

CHRISTIAN BALE Gar kein Zweifel, wenn es um meine Familie geht, bin ich zu einigem fähig. Ich meine, wer nicht? Wobei ich jetzt nicht Gewalt meine, das unterstütze ich in keiner Weise, aber man muss seine Lieben beschützen. Man kann nur hoffen, dass es nie zum Äußersten kommt.

WOODY HARRELSON Und auch das kann eine Familie verhindern: Früher bin ich gern um die Häuser gezogen und auch einer Prügelei nicht aus dem Weg gegangen. Ich hatte echt Probleme damals, keine Ahnung, was mit mir los war. Das zu ändern, dabei haben mir meine Frau und Kinder sehr geholfen. Es ist eine Ironie, wenn ich wieder irgendwo auf einem Podium einen Preis bekomme, und doch eigentlich sie diesen Preis verdient hätten!

Photo: Rawtographer

Woody Harrelson promotet Step Forward Paper; Papier, das aus Weizen hergestellt wird

CHRISTIAN BALE Ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist, aber wir bedanken uns im Abspann explizit bei unseren Familien. Das war Woody und mir extrem wichtig, ich hab Scott (Cooper, Regisseur) extra gebeten, dass wir unseren Familien am Ende dieses Films danken können. Denn ohne sie ginge das alles gar nicht.

Woody, stimmt es, dass Sie eine Firma unterstützen, die Papier ganz ohne Holz herstellt?

WOODY HARRELSON
Ja, das war schon lange mein Traum. Die Firma heißt "Step Forward Paper", und das Tolle ist, dass es wie ganz normales Papier aussieht, aber im Grunde aus Weizen produziert wird. Die große Hollywoodagentur CAA benutzt es schon, um ihre Drehbücher auszudrucken.

S. Orlin