Martin Klempnow hat sich keinen leichten Job ausgesucht. Er parodiert neuerdings seinen Chef, vor aller Augen.
Wer das schon mal probiert hat - sei es in angewärmter Atmosphäre bei einer Weihnachtsfeier oder in einem scheinbar unbeobachteten Moment in der Teeküche - weiß: Das kann peinlich werden. Zumal in diesem speziellen Fall: Klempnows "Boss", wie er ihn nennt, ist Oliver Welke, Moderator der "heute-show". Und am Anfang soll er nichts von den Plänen des Kollegen gewusst haben. "Mittlerweile weiß er es", sagt Klempnow.
Es lässt sich auch kaum mehr verheimlichen. Klempnow, selbst oft Teil der "heute-show", hat sich die Welke-Parodie für ein anderes Format angeeignet, das einen Namen trägt, der Erinnerungen weckt und von Freitag (4. Dezember) an auf dem Streamingdienst Amazon Prime Video zu sehen ist: "Binge Reloaded".
Die Sendung tritt das Erbe der kultigen Comedy-Shows "Switch" und "Switch Reloaded" an, die einst bei ProSieben liefen. Das Prinzip: Das deutsche TV zu parodieren. Fans können heute noch Sätze mitsprechen wie: "Peter Zwegat geht es nicht um den Profit. Peter Zwegat will einfach nur ins Fernsehen."
"Binge Reloaded" führt das nun fort. Michael Kessler (53) - der wie Klempnow "Switch"»-Erfahrung mitbringt - mimt in der Neuauflage etwa Schlagerstar Florian Silbereisen in dessen Rolle als "Traumschiff"-Kapitän, der in der Parodie einen kompletten Schlager-Dampfer befehligt ("DJ Ötzi, die Amigos und Mireille Mathieu: Alle mit an Bord! Und Stefan Mross lässt sich vor laufenden Kameras scheiden.")
Zugleich hat "Binge Reloaded" andere Vorzeichen als seine Vorgänger. Die lineare Fernsehwelt, in die "Switch" 1997 und die Neuauflage "Switch Reloaded" 2007 hineingeboren wurden, existiert nicht mehr. Streaming macht Shows, Filme und Serien rund um die Uhr verfügbar, was die gesamte Branche umgekrempelt hat. Stichwort: Serien-Boom. "Binge Reloaded" trägt dem Rechnung, indem es nun auch Streaming-Hits veralbert, etwa "Haus des Geldes" oder "The Witcher" - beides übrigens Formate des Amazon-Konkurrenten Netflix.
"Switchen" als Kulturtechnik veraltet
Die Sache ist allerdings komplizierter. Das "Switchen", das Zappen, ist in der Streaming-Welt als Kulturtechnik geschwächt worden. Niemand schaltet mitten in eine Folge "The Witcher" rein, ganz ohne Kontext. Genau davon lebte aber "Switch". Bei "Binge Reloaded" wirken die Sprünge etwas gewollt. Zweiter Punkt: Um eine Parodie zu lieben, ist es förderlich, die Vorlage zu kennen. Vor 15 Jahren konnte man bei einer 20.15-Uhr-Show davon ausgehen, dass das Publikum im Stoff ist. Heute ist dieser Konsens nicht so einfach herstellbar.
"Man kann es keinem dabei völlig recht machen", sagt auch Martin Klempnow. Die Parodien seien aber ja auch Sketche, die man ohne das Original verstehen könne. "Es ist ein bisschen wie ein Freizeitpark: Man fährt mal damit und probiert mal das. Und am Ende sind alle glücklich und müde vom Lachen." Neu im Ensemble sind etwa Komikerin Tahnee, YouTuberin Joyce Ilg und Schauspieler Jan van Weyde, die das frühere Niveau halten wollen. Mancher mag Max Giermann nachtrauern.
Starke Momente hat "Binge Reloaded" wie seine Vorgänger dann, wenn man in der Parodie eine höhere Wahrheit erkennt. Klempnow etwa gelingt es, Oliver Welke - einem Mann mit einem ausgesprochen harmlosen Gesicht - Eigenheiten abzuringen und zu überzeichnen.
So eine Parodie sei allerdings auch viel Arbeit, sagt er. Bis sie fertig sei, höre er sich möglichst viel Material der betreffenden Person immer und immer wieder über sein Handy an. Jeden Tag, acht bis zehn Stunden lang. "Das ist richtige Folter", sagt Klempnow.