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Statement der Nominierungskommission des Grimme Online Award 2014

nomkom 2014 fertig
Die Nominierungskommission zum Grimme Online Award 2014 (v.l. hintere Reihe): Alexander Houben (Trierischer Volksfreund), Daniel Fiene (Was mit Medien), Esther Meier (Ogilvy), Brigitte Baetz (freie Medienjournalistin), (v.l. vordere Reihe): Prof. Dr. Lorenz Lorenz-Meyer (Hochschule Darmstadt), Marc Bürger (Egmont Ehapa Verlag), Friederike Sobiech (Allianz deutscher Designer) Grimme Institut

Ein bisschen kamen sich die Mitglieder der Nominierungskommission in diesem Jahr vor wie auf einer Kreuzfahrt im Mittelmeer: Es gab wie immer ein schönes Bordprogramm, nur die See blieb ein bisschen arg ruhig. Die eingereichten Beiträge hatten im Ganzen ein hohes Niveau, was die technische Umsetzung und die Bildsprache anging, doch das publizistische Feuerwerk blieb etwas verhalten.

Ein paar stürmische Wellengänge wurden durchaus vermisst. Nicht ohne Grund finden sich deshalb die großen Themen, die im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit bewegt haben, wie beispielsweise der NSA-Skandal oder der NSU-Prozess, nicht in den nominierten Angeboten wieder. Zwar gab es besonders zum Komplex NSU mehrere eingereichte Vorschläge, sie konnten aber letztendlich nicht überzeugen. Besonders überrascht war die Nominierungskommission darüber, dass das Internetthema des Jahres, "Überwachungʺ, offenbar nicht dazu angeregt hat, besonders herausragende Angebote zu schaffen Da wäre also noch viel Luft. Vielleicht eine Themenanregung für kommende Jahre?
Auch spezifische Innovationen blieben weitgehend aus. Es gab nur wenige Versuche technischer wie inhaltlicher Art, mit neuen Möglichkeiten des Netzes zu spielen. Besondere Leistungen außerhalb der bestehenden Kategorien hat die Nominierungskommission nicht entdeckt. Aus diesem Grund wurde kein Angebot für die Kategorie Spezial nominiert.

Es wäre allerdings falsch, nun daraus zu folgern, der Netz-Jahrgang für den Award 2014 sei eine Enttäuschung gewesen. Im Gegenteil: Es gab kaum eingereichte Vorschläge, die sofort wegen erwiesener Mängel durch das Bewertungsraster gefallen sind. Die Angebote im Netz sind - egal ob von Einzelkämpfern oder von einer Redaktion produziert - in ihrer Breite professioneller gemacht als je zuvor. Das gilt natürlich besonders für die von der Nominierungskommission für preiswürdig erachteten Einreichungen, von denen im Folgenden nur eine Auswahl erwähnt werden kann.
Besonders positiv fiel der Kommission auf, dass Multimedia-Angebote nicht länger Ausnahmen sind, sondern sich fest im Netz-Alltag etabliert haben. Dem Sender Arte ist es mit ʺFort McMoneyʺ beispielsweise gelungen, über die Kombination von Fernsehreportage mit interaktivem Spielangebot eine neue Ebene der Informationsvermittlung zum Thema Umweltzerstörung zu erreichen. Ähnliches vollbringt ʺMake Loveʺ. Das gemeinsame Portal von SWR und MDR widmet sich auf offene und spielerische Weise dem Bereich Sexualität, ohne das Thema Liebe dabei zu kurz kommen zu lassen.
Die ʺlange Formʺ als Möglichkeit, in Ruhe in sich abgeschlossene Geschichten zu erzählen, hat ihre spezielle Internettauglichkeit erneut bewiesen. Als Beispiel sei ʺDu fliegst nur einmalʺ genannt. Diese mehrteilige Reportage der Neuen Zürcher Zeitung über den Schweizer Wintersportler Iouri Podladtchikov hat die Kommission durch ihre Bild- und Schriftsprache sowie ihre Zusatzinformationen über die Randsportart Snowboarding überzeugt. Nach dem Nachrichtenjournalismus scheint nun also auch der Magazinjournalismus im Netz angekommen zu sein.

In diesem Sinne müssen auch Dossiers als besonders internetfreundlich bezeichnet werden. Historische Ereignisse, politische Zusammenhänge - im Netz lassen sich Verbindungen besonders gut herstellen, illustrieren und archivieren. Beispiele hierfür sind das Projekt ʺASYLʺ des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses e.V. (ifp) oder das Angebot des Bayerischen Rundfunks ʺZwischen Hoffnung und Verzweiflung - der neue Nahe Ostenʺ. Beide lassen nach Ansicht der Nominierungskommission keine Fragen zu den behandelten Themen offen und sind vorbildlich in der Umsetzung.

Doch Qualität im Netz braucht nicht immer große Anbieter wie öffentlich-rechtliche Sender und Zeitungshäuser oder das Know-how ausgebildeter Journalisten. Das wurde in diesem Jahr einmal mehr bewiesen. Beispielhaft seien zwei Angebote genannt, die sich mit dem schwierigen Thema "Verlust der Erinnerung" beschäftigen. Sowohl das ʺAlzheimerblogʹs Blogʺ als auch ʺDemenz für Anfängerʺ waren für die Kommission einer Nominierung würdig. Beide sind aus der persönlichen Betroffenheit von Angehörigen entstanden und doch sehr unterschiedlich. Während das ʺAlzheimerblogʹs Blogʺ sehr viele Fachinformationen mitliefert, beschränkt sich "Demenz für Anfänger" auf eine literarische Aufarbeitung, gewinnt aber gerade in seiner Begrenzung dem Thema eine neue Ebene ab. Überhaupt zeigt sich in der ʺkleinen Formʺ, wie mit wenig Aufwand große Effekte zu erzielen sind. Das Blog ʺ42553 Nevigesʺ kombiniert kurze Impressionen aus diesem Stadtteil von Velbert mit stilllebenhaften Schwarz-Weiß-Fotografien und schafft dadurch ein exemplarisches Bild der deutschen Provinz mit hohem Wiedererkennungswert. Neviges ist überall. Die Tumblr-Seite ʺSpleen24ʺ dagegen regt mit der simplen Idee, Nutzer ihre Eigenarten posten zu lassen, auf unterhaltsame Art zum Nachdenken und Diskutieren an.

Unterhaltung ist auch das Stichwort für die Besonderheit von YouTube-Kanälen. Auch in diesem Jahr hat die Nominierungskommission wieder diverse Angebote gesichtet und zwei für preiswürdig befunden. In ʺJung & Naivʺ befragt Tilo Jung Personen des öffentlichen Lebens nur scheinbar naiv und macht damit ʺPolitik für Desinteressierteʺ transparenter. ʺLeFloidʺ erreicht mit netzrelevanten, aktuellen Inhalten vor allem eine junge Zielgruppe, die sich von herkömmlichen Nachrichtenangeboten oft nicht angesprochen fühlt, und sorgt mit unkonventionellen Mitteln für Kommunikation und Diskussion im Netz.

Apropos Diskussion und Kommunikation: Auch in diesem Jahr tat sich die Kommission schwer damit, Apps zu bewerten. Das lag vor allem daran, dass es immer noch nicht selbstverständlich zu sein scheint, hochwertige Angebote auch als App zu produzieren und für alle Endgeräte gleichermaßen zur Verfügung zu stellen. Dabei sollte das nach Ansicht der Nominierungskommission längst möglich sein - vor allem bei großen Anbietern. Hier scheint sich immer noch zu wenig zu tun. Das ist schade, denn Apps sind in Zeiten von Tablet und Smartphone eine wichtiger Publikationsweg.