Wie langweilig wäre Reality-TV, wenn es allzu harmonisch zuginge? Für Quote sorgen gerade die Streitereien zwischen den Teilnehmern – die manchmal aber auch den Rahmen des Erträglichen sprengen. Wir denken da etwa an "Promis unter Palmen" mit den homophoben Äußerungen von Marcus Prinz von Anhalt, die der Sender kommentarlos stehen ließ – und erst später Konsequenzen zog. "Wir sind überzeugt: Gutes Reality-TV ist hervorragende Fernsehunterhaltung. Aber ,Promis unter Palmen" passt nicht mehr zu uns" , hieß es zum endgültigen Aus der Formats.
Oder aber "Das Sommerhaus der Stars" 2020: Hier kam es zu fragwürdigen Szenen, zu denen der RTL-Unterhaltungschef Kai Sturm Stellung bezog: "Wir finden das auch nicht gut. Die Eskalation der Aggressivität und das unangenehme negative Gefühl, das in dieser Staffel steckt, hat uns persönlich auch betroffen gemacht."
Ehrliches Bereuen oder Kalkül? Ganz unschuldig an der Eskalation sind die Fernsender nicht, wie die BILD anhand von Kuppelshows bewies.
Trash-TV: Was Teilnehmer sagen
Bei BILD.de sprach Arielle Rippgather ("Naked Attraction") Klartext: Beim Ausfüllen des obligatorischen Fragebogens würden viele Kandidaten angeben, in welchen Shows sie schon dabei waren. "Doch es ging eigentlich darum, dass der jeweilige Teilnehmer gerade vom Typ her zur Mischung passt." Besonders gegensätzlich müssen die Mitwirkenden sein. "Wenn man die unterschiedlichsten Charaktere in ein Haus setzt, kommt es früher oder später zu Spannungen." Doch allein darauf setzt man nicht, das Material wird oft noch möglichst konfliktreich zusammengeschnitten.
Xenia Prinzessin von Sachsen ("Kampf der Realitystars") bestätigt das: "Alles in diesen Shows ist real, allerdings geschnitten." Glaubt man Xenia und Arielle, würde das aber die Wirklichkeit vor den Kameras nicht zu sehr verfälschen. "Wenn man als Person kein A****loch ist, kann einen die Produktion im TV auch nicht so darstellen.
Einen anderen Trick offenbarte Greta Engelfried ("Love Island") – "Regieanweisungen": "Die privaten Gespräche zwischen uns wurden leider viel zu wenig gezeigt und bei den Dates bekommt man gerne mal von der Regie gesagt, dass man doch nicht so viel über sich, sondern über die Leute im Haus reden soll." (via tz.de). Auch ein wirksames Mittel, Konflikte zu befeuern …
Macht "Die Alm" alles besser?
Das ProSieben-Reality-Format "Die Alm" will da andere Wege gehen. ",Die Alm‘ soll Spaß machen", betont ein Sender-Sprecher gegenüber RND. Jedes Format lebe von der Auswahl seiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Von den Vorwürfen, der Schnitt verzerre das Bild, hatte auch "Alm"-Teilnehmerin Magdalena Brzeska gehört: "Wenn man bei so einem Format mitmacht, muss man damit rechnen. Ich bin einfach vom Schlimmsten ausgegangen. Und wenn man mit dem Schlimmsten rechnet, dann kann es nur besser werden."
Das Schlimmste erlebt hat offensichtlich Ex-"Berlin - Tag und Nacht"-Star Sandy Fähse, der schwere Vorwürfe erhob. Viele Szenen seien bei "Kampf der Realitystars" 2020 (neue läuft derzeit bei RTLZWEI und auf TVNOW) gar nicht gezeigt worden, erklärte er damals in seiner Instagram-Story. U. a. fehlte seine Entschuldigung dafür, dass er Mitstreiterin Kate Merlan zu Boden schubste.
Alles Fake?
"Alles, was medial als Wirklichkeit präsentiert wird, ist letztlich eine Konstruktion", so Medienwissenschaftlerin Prof. Joan Bleicher gegenüber TVTODAY. Doch zwischen Fakt und Fiktion würden Zwischentöne existieren. Und wie merken Zuschauer, wo der Cutter ordentlich nachgeholfen hat? "Wenn Rollenmuster stereotyp sind und Handlungsverläufe sich ständig wiederholen, spricht alles dafür, dass das Gezeigte mit der Realität wenig zu tun hat", sagt Bleicher.
Nicht nur bei TV-Shows wird tief in die Kiste gegriffen. Nach dem Vera-Fake sagte Ex-RTL-Chef Helmut Thoma bei Focus.de: "Es ist alles gespielt und nichts wahr. Die Leute lieben es, wenn sie eine scheinbare Realität vorgespielt bekommen. Zusätzlich hat es an ungeheurer Bedeutung gewonnen, aus dem ganz simplen Grund, dass es wirklich billig ist." Dessen Vorschlag für die Zukunft des TV ist allerdings etwas zu ernüchternd. "Ich meine, wozu Qualität? Die will doch keiner. Am besten wäre ein animiertes Testbild. Wenn es ab und zu die Farben wechselt und das gleiche an Erlösen bringt, wäre das doch wunderbar. Wenn die Werbeindustrie dafür viel bezahlt, was sie auch tut, umso besser."