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Kicker mit doppelter Staatsbürgerschaft

Die Qual der Wahl

Heute abend steigt in Berlin die Party des Jahres: Im Berliner Olympiastadion werden bis zu 30.000 türkische Fans erwartet ... Auf dem Platz werden einige Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft stehen. Spieler, die sich wie Mesut Özil für eine der beiden Mannschaften entscheiden mussten

Die fußballbegeisterte Stadt Gelsenkirchen bringt seit 100 Jahren verlässlich Kicker mit Zuwanderergeschichte hervor (Fritz Szepan), die für Deutschland spielen oder spielen können. Heute allerdings nicht mehr müssen: Die Altintop-Brüder Hamit und Halil kamen hier auf die Welt, Mesut Özil und auch Jungstar Ilkay Gündogan - den Bundesadler tragen dennoch nicht alle auf der Brust. Schließlich ist der türkische Verband (TFF) seit jeher offensiv darum bemüht, talentierte Kicker mit türkischen Wurzeln für die eigene Nationalmannschaft zu gewinnen.
Nicht nur in Gelsenkirchen - und mit großem Erfolg: Sowohl die Altintops und Yildiray Bastürk (Herne) als auch der in Lüdenscheid geborene Nuri Sahin entschieden sich in den vergangenen Jahren für das Land ihrer Väter. Im Werben um Mesut Özil kassierte der TFF im Februar 2009 allerdings einen herben Rückschlag: Der Filigrantechniker nahm die Einladung Joachim Löws zur deutschen A-Nationalmannschaft an. Von da an gab es für ihn kein Zurück mehr: Spieler mit zwei Staatsbürgerschaften dürfen nach dem ersten Pflichtspiel in einer A-Auswahl den Verband nicht mehr wechseln.

Er habe sich "die Entscheidung nicht leicht gemacht, weil meine Familie und viele Freunde aus der Türkei stammen", sagt Özil. "Das ist auch keine Entscheidung gegen meine türkischen Wurzeln. Doch meine Familie lebt jetzt in der dritten Generation in Deutschland, ich habe mich hier immer wohl gefühlt und meine Chancen in den Juniorenteams bekommen."

Trotz der ausführlichen Darlegung seiner Motive bekam Özil den geballten Zorn der türkischen Boulevardpresse (und vieler Fans) zu spüren. Vorübergehend musste sogar das Gästebuch auf seiner Homepage geschlossen werden - wegen wüstester Beschimpfungen.

Der Druck auf andere türkischstämmige Talente, die über kurz oder lang die "richtige" Entscheidung treffen müssen, dürfte nach diese Erfahrung weiter steigen. Zumal selbst ein so besonnener Mann wie der türkische Nationaltrainer Guus Hiddink während der WM in Südafrika noch einmal nachlegte: "Schade, dass Özil sich für den falschen Pass entschieden hat." Den nächsten potenziellen Superstar, so viel ist klar, will sich der TFF auf keine Fall durch die Lappen gehen lassen. "Die laden momentan jeden ein, der einen halbwegs türkischen Namen hat", erzählt der Nachwuchskoordinator eines Bundesligaklubs.

Die Namen von Mehmet Ekici (20, 1. FC Nürnberg) und Taner Yalcin (20, 1. FC Köln) dürften auf dem Wunschzettel der türkischen Talent-Fahnder auftauchen - und, ganz dick unterstrichen, der von Ilkay Gündogan (19). Dem DFB blieb das nicht verborgen: Rainer Adrion, Deutschlands U-21-Trainer, hat sich in den Poker um Nürnbergs Rohdiamanten eingeschaltet, wollte ihn für zwei EM-Qualifikationsspiele Anfang September erstmals nominieren. Am Ende stand Gündogan doch nicht im Aufgebot. Wegen einer Grippe, hieß es. Aber wer weiß das schon so genau.

Frank Steinberg