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Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Ein System unter Beschuss

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Die Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern wächst, mancher will den Rundfunkbeitrag abschaffen, andere hinterfragen die Zusatzangebote von ARD, ZDF im Netz, auch das Programm wird bemängelt. Zu Recht?

Ein Riss geht durch das Land. Mehr als ein Drittel der Deutschen lehnt laut einer repräsentativen Umfrage unter 5034 Bürgern die Rundfunkgebühr ab. Unter AfD-Wählern, deren Bundestags­abgeordnete Beatrix von Storch die Zahlung offen boykottiert hat, sind es sogar fast 80 Prozent. Am 16. und 17. Mai verhandelt das Bundesverfassungsgericht über vier Beschwerden gegen den Rundfunkbeitrag. Lautstarkes Sprachrohr der Gebührenverweigerer ist die "Bild"-Zeitung. Mal sind es die 400 000 Euro Jahresgehalt von WDR-Chef Tom Buhrow, die sie für zu hoch hält. Mal ist es ein "Tatort" wie die Münchner Episode "Hardcore", der das Blatt um den Schutz der Kinder vor Pornos bangen lässt. Zuletzt war der Kinderkanal Kika dran. Die Zeitung rieb sich daran, dass in einem Beitrag über ­Sexualaufklärung Jungs mit Migra­tionshintergrund an einer Puppe lernten, wie man einen BH öffnet.

Nicht nur in Deutschland stehen die öffentlich-rechtlichen Sender unter Beschuss. Auch in vielen Nach­barländern tobt die Debatte. Dafür gibt es, jenseits aller Polemik, auch einen handfesten Grund. Die digitale Revolution hat die Mediennutzung radikal geändert. Das Internet hat für junge Leute das Fernsehen längst als Hauptinformationsquelle abgelöst.
Unser Redakteur Steven Sowa über die Wichtigkeit des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks

Kritik an der Ausweitung von TV-Formaten im Netz

Seit einiger Zeit drängen die Öffentlich-Rechtlichen mit digitalen Offerten wie der "Tagesschau"-App auch in diesen Bereich. Zeitschriftenverleger und private Sender, die Inhalte und Technik im Netz aus eigener Tasche bezahlen müssen, sehen das kritisch. "ARD und ZDF geben für ihre presse­ähnlichen Digitalangebote zu viele Gebührengelder aus", sagt Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger. Und Hans Demmel, Vorstandsvorsitzender des Verbands ­Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) und Geschäftsführer von ­n-tv, meint: "Bei einem Angebot, das von Tagesschau.de bis RoteRosen.de reicht, definieren die Rundfunkanstalten Grundversorgung ohnehin schon großzügig. Eine noch weitergehende Ausdehnung der Online­angebote von ARD und ZDF würde zulasten der privaten Anbieter und damit letztlich auch der Vielfalt der Angebote für die Zuschauer gehen."

Tatsache ist allerdings auch, dass sich bisweilen nur die Öffentlich-Rechtlichen den kritischen Blick ­bewahren. Beispiel Carsten Maschmeyer, der kürzlich auf der "Bild"-­Titelseite die Rundfunkabgabe für "out" erklärte: Vox mit "Die Höhle der ­Löwen" und danach Sat.1 mit "Start up!" gaben dem umstrittenen Unternehmer eine Bühne zur Selbstdarstellung. Es war die "Pa­norama"-Redaktion, die in der ARD-Reportage "Der Drückerkönig und die Politik" (2011) Personen zu Wort kommen ließ, die sich von Masch­meyers Finanzdienstleister AWD um ihre Ersparnisse gebracht fühlten.

Kein Einzelfall: Im Fernsehen berichten fast ausschließlich ARD und ZDF kritisch über mächtige Konzerne und Organisationen wie Ikea, Coca-Cola und H & M ("Markencheck" im Ersten). WDR und SWR legten sich in "Der Pakt mit dem Panda" (2011) mit dem WWF an. Whistleblower ­Edward Snowden gab dem NDR sein erstes TV-Interview nach seiner Flucht aus Hongkong, und ARD-Sportexperte Hajo Seppelt deckte in "Geheimsache Doping" auf, dass das Kontrollsystem gegen die Einnahme unerlaubter ­Substanzen zur Leistungssteigerung nicht funktioniert.

"Die öffentlich-rechtlichen Sender sind ein wichtiger Faktor im demokratischen Meinungsbildungsprozess", erklärt die Medienforscherin Frauke Gerlach, Direktorin des ­renommierten Grimme-Instituts. Falschmeldungen auf Facebook im Vorfeld der jüngsten Präsidentschaftswahlen in den USA, aber auch die unhaltbaren Versprechungen der Brexit-Befürworter in England haben uns ins Gedächtnis gerufen, wie unverzichtbar für eine Demokratie Institutionen sind, die Fakten checken und einordnen und die auch zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie Lügen verbreiten. Soziale Medien wie Facebook tun sich dagegen schwer, Lügen aufzu­decken, zumal wenn sie interessant klingen und oft gelesen werden.

Fiktion nah an der Wahrheit

ARD und ZDF haben sich dagegen auch dort, wo reale Geschehnisse der Ausgangspunkt für Spielfilme waren, um sorgfältige Recherchen bemüht. Der WDR ließ sich von dem Pharmahersteller Grünenthal nicht einschüchtern und drehte den kritisch-aufklärenden Film "Contergan" mit einem Starensemble. Die Erstausstrahlung um das verheerende Schlafmittel, alles andere als leichte Un­terhaltung, fesselte 7,27 Millio­nen ­Zuschauer. Ähnlich beeindruckend ­waren "Bis nichts mehr bleibt" über Scientology, "Operation Zucker" über organisierte Pädophilie und "Mitten in Deutschland: NSU" über rechtsradikalen Terror - alles Glanzstücke des deutschen Fernsehfilms und alle öffentlich-rechtlich.

Die Privatsender dagegen produzieren nur noch wenige Spielfilme und mittlerweile gar keine mehr mit kritischem und zeitgeschichtlichem Inhalt. Die gelungene Guttenberg-­Satire "Der Minister" von Sat.1 liegt inzwischen vier Jahre zurück, ohne dass seitdem auch nur etwas annähernd Gleichwertiges gedreht worden wäre. Ähnlich mager fällt die ­Bilanz von RTL aus. Der zumindest schön ausgestattete "Starfighter"-Film über den Luftwaffenskandal der Sechziger lief auch schon 2015.

Wer sich als Autor in vermintem Terrain bewegt, also dort, wo es richtig interessant wird, wo es um Pharmahersteller und Waffenhändler geht wie in den dokumentarisch gesättigten Filmen von Daniel Harrich ("Gift", "Meister des Todes"), der braucht eine angstfreie Redaktion im Rücken und eine funktionierende Rechts­abteilung. Was er nicht braucht, ist ein Privatsender, der aufgrund seiner Abhängigkeit von der Werbung im Drehbuch noch gern eine sexy Pharmareferentin mit goldenem Herzen unterbringen möchte.

Allerdings ist auch bei ARD und ZDF nicht alles Gold, was glänzt. Jedem anspruchsvollen TV-Film stehen mindestens vier "Bares für Rares"-Wiederholungen entgegen, jede he­rausragende Doku wird durch seichteste Schmonzetten oder Wohlfühl-Zoo-Soaps konterkariert. Ein "Potpourri von aufgesetzter Quizshow-Heiterkeit, Klinikserien-Pseudodramatik und anderem gebührenfinanzierten Trallala", diagnostizierte "Der Spiegel". Den Siegeszug internationaler Qualitätsserien der VoD-Anbieter haben die Öffentlich-Rechtlichen verpennt. Erst langsam erobern die Sender mit Mehrteilern wie "Das Verschwinden" und "Bad Banks" oder auch "Babylon Berlin" an Netflix und Co. verlorenes Terrain zurück. Auf ZDF neo und Arte findet sich trotz kleinerem Budget häufig das interessantere Programm.

Viele fragen - oft polemisch -, wo eigentlich die knapp acht Milliarden Euro bleiben, die ARD und ZDF jährlich zur Verfügung haben. Laut offi­ziellen Angaben werden immerhin 4,15 Milliarden fürs Programm auf­gewendet, 2,2 Milliarden sind Personalkosten, stolze 518 Millionen fließen in die betriebliche Altersversorgung. Mit Dauerschleifen-Ohrensessel-TV à la "Die schönsten-Bauernhöfe des Nordens-Westens-Ostens-Südens..." werden also somit Zielgruppe, Exmitarbeiter und Kritiker gleichermaßen bedient.
Öffentlich-rechtliche Sender in Europa
Schweiz
8 TV-Sender (inklusive 3sat) stellen Programme in Deutsch, Französisch, ­Italienisch und Rätoromanisch zur Verfügung. Ergebnis einer Volks­abstimmung im März: 71 Prozent sind für die Beibehaltung der Gebühr.

Dänemark
6 TV-Sender. Auf Druck der Rechtspopulisten wurden die Rundfunk­abgaben in eine Steuer umgewandelt. Das soll Geld sparen. Das Budget des dänischen Rundfunks DR wird dafür in den nächsten fünf Jahren um 20 Prozent gekürzt.

Österreich
4 TV-Sender, Gebühr nur für Empfangsgerätbesitzer. Der rechtskonserva­tive Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) bezeichnete den ORF-Moderator Armin Wolf sinngemäß als Lügner und musste dafür 10 000 Euro Strafe zahlen und sich entschuldigen. Die hohen Gebühren werden von vielen kritisiert.

Großbritannien
8 TV-Sender, werbefrei. Konservative werfen der BBC vor, parteiisch zu sein. Die im Sommer auf Druck der Regierung veröffentlichten, teilweise horrend hohen Moderatorengehälter sorgten zusätzlich für Kritik.

Frankreich
6 TV-Sender. Fernseh­gebühr wird über Steuer finanziert, ­Präsident Ma­cron will France Télévisions nach Vorbild der BBC umbauen. Damit soll die jour­nalistische Unabhängigkeit vergrößert und Geld gespart werden.

Italien
18 TV-Sender. Jahres­gebühr wird über die Stromrechnung eingezogen. Die beiden größten Parteien, Lega Nord (rechts-konservativ) und Cinque Stelle (eher links) sind für die Abschaffung der TV-Gebühren.

Polen
14 TV-Sender. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit stellt drei von fünf Mitgliedern des Fernsehrats. Nationale Themen sind prominent vertreten und auf einer Linie mit der Regierungspolitik. Viele Polen verweigern die Zahlung der Gebühren, die Sender sind verschuldet.