"Deutschland sucht den Superstar" lebt von der Castingphase. Für den Recall und die Mottoshows kann die RTL-Show deutlich weniger Zuschauer gewinnen. Deshalb wurde die mittlerweile 15. Staffel verkürzt. Der Sender schreckt scheinbar vor nichts zurück, um die Quote zu sichern.

In der Sendung vom Samstag sorgte Kandidat Diego für Aufsehen. Kein Wunder, denn der Kandidat ist schon seit zwei Jahren in psychiatrischer Behandlung - und RTL wusste davon. Dennoch packte der Sender die Gelegenheit beim Schopf und ließ den jungen Mann so richtig ins Messer der Castingshow-Schmiede laufen.

Wie RTL den Beitrag zu Diego zusammengeschnitten und kommentiert hat, ist - wie üblich - die reinste Bloßstellung: "Was geht denn hier ab - oder besser: wer?", leitet der Hintergrundsprecher den Beitrag über Diego ein, der Grimassen vor dem Spiegel schneidet. Ein anderer Kandidat wird eingeblendet, der die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. "Was mich auszeichnet? Ich bin straight, ich bin hetero, ich liebe Pussys", sagt Diego in die Kamera und wieder schneidet der Sender andere Teilnehmer rein, die die Hände über dem Kopf zusammenschlagen oder entsetzt schauen.

Kaum kalkuliert wirkt auch die erste Frage von Juror Dieter Bohlen an Diego: "Erzählst du uns ein bisschen was von deiner Familie?" Da bei den Vorcastings für die Show bekanntermaßen nicht nur das Gesangstalent, sondern auch die persönliche Geschichte der Kandidaten geprüft wird, dürfte die DSDS-Redaktion genau gewusst haben, wie Diegos Antwort lautet. Aber da es dem Sender deutlich wichtiger ist, die Zuschauer zu (unter)halten als jemandes Menschenwürde zu wahren, lässt er Diego erzählen: "Ich muss ganz ehrlich sagen, ich wurde gekidnapped. Von der Mafia." Prompt kommt ein Foto von einer Titelseite im Stil der Bild-Zeitung hinterher mit der Schlagzeile "Schock! Kind von Mafia entführt". Gespielt ernsthaft löchert Bohlen den Kandidaten mit Fragen. Diego schildert, dass er unbedingt zurück nach Amerika müsse. Denn sein Vater sei der verstorbene Rapper Tupac Shakur.

Medienethische Missetat

Während seiner Performance hüpft Diego durch den Raum und macht einen Rückwarts-Salto vom Jurypult. Er kann durchaus rappen und auch tanzen. Diego schafft es in den Recall. Bohlens Kommentar zu seiner Entscheidung: "Muss ja nicht alles immer so Mainstream sein. So ein Typ, der so ein bisschen verrrückt ist, da muss man auch mal sagen: Komm, das probieren wir mal. Ich halte das für echt spannend, was mit dem passiert." Viel spannender: Dieter Bohlen wirkt für seine Verhältnisse sehr unsicher, als er diese Worte nach Diegos Auftritt in die Kamera sagt. Ob er wirklich so dahintersteht, was der Sender da abzieht?

Die Graf Recke Stiftung, in deren stationären Häusern Diego betreut wird, steht unglaublicherweise dahinter. Es sei der größte Wunsch ihres Patienten, Musiker zu werden und bei DSDS teilzunehmen. "Wir nehmen dieses Anliegen sehr ernst und begleiten ihn nach sorgfältiger Klärung aller damit verbundenen Fragen bei der Teilnahme", lautet das Statement der Stiftung. Das Medienmagazin Meedia hat außerdem bei RTL nachgehackt. "Die Teilnahme von Diego geschah in enger Abstimmung mit der Graf Recke Stiftung", sagt Anke Eickmeyer, Sprecherin des Senders. RTL befürworte Diegos Teilnahme, weil die Stiftung den Grundsatz verfolge, dass jeder Mensch das Recht hat, selbstbestimmt zu leben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Bei alledem ist eindeutig in Vergessenheit geraten, dass der Mensch außerdem das Recht darauf hat, dass seine Würde gewahrt wird. Diego, der offenbar an einer Psychose leidet, ist gerade nicht selbst in der Lage, dafür Sorge zu tragen. Also überlässt die Stiftung RTL und seiner Bloßsteller-Show Nummer eins die Verantwortung dafür. Grandiose Idee. Wie der Sender die Situation ausgenutzt hat, ist medienethisch und menschlich gesehen mehr als fragwürdig. Und das wird noch nicht alles gewesen sein. Denn Diego ist im Recall.

Nicht nur den 25-jährigen Kandidaten hätte man vor sich selbst beschützen müssen, sondern auch RTL - indem man "DSDS" endlich absetzt.