Wenn James Balog vom Eis re­det, gerät er ins Schwärmen. Dann beschwört er das la­vendelfarbene Licht, das von Gletschern im Winter ausgeht, und das Honiggelb der Sonne, in das der Sommer die gefrorenen Wassermas sen taucht. Schon als Fünfjähriger war der Amerikaner von Schnee­ flocken fasziniert. Damals war noch nicht zu abzusehen, dass er eines Ta­ges seine Zeit und seine Leidenschaft dem Erhalt der kalten Pracht wid­men würde.

Zur Fotografie und zum Umwelt­schutz, heute seine wichtigsten Tätig­keitsfelder, kam Balog eher durch Zu­fall. Nach dem Studium der Geologie und Geomorphologie war er 25 und hatte keine Lust, seine Zeit vor dem Computer mit Modellrechnungen zu verbringen. Den leidenschaftlichen Bergsteiger zog es in die Natur. Also wurde er Fotograf.

Gletschersterben im Zeitraffer

Auf seinen vielen Reisen für große Magazine wie "National Geographic" sah Balog, dass die Gletscher fast überall auf der Welt abschmelzen. Als Fotograf interessierte ihn vor allem die Frage, wie man diesen Pro­zess sichtbar machen könnte. 2007 gründete er in Boulder, Colorado den Extreme Ice Survey (EIS), einen lockeren Zusammenschluss von Fotografen, Filmemachern und Naturwissenschaftlern. Gemeinsam bauten sie zunächst an 18 Gletschern vom Grönland bis zum Himalaja 27 Kameras mit einer Zeitverzöge­ rungsautomatik auf. Die Apparate, deren Zahl spater auf 43 für 24 Glet­scher aufgestockt wurde, trotzten Temperaturen von minus 30 Grad und machten bei Tageslicht alle hal­ be Stunde eine Aufnahme. Montiert man die Fotos mehrerer Jahre zu ei­nem Video, sieht man im Zeitraffer das Sterben der Gletscher.

Mit Krücken auf den Berg

Die Doku "Chasing Ice" schildert, wie Balog und sein Team sich durch Schnee und Eis kämpfen, um die Kameras aufzubauen. Regisseur Jeff Orlowski, zum Zeitpunkt des Drehs noch Student in Stanford, hat den Naturfotografen hautnah mit der Handkamera begleitet. Man fühlt sich als Zuschauer mitten im Gesche­hen und leidet mit, wenn sich Balog auf Krücken den Berg hochquält, weil sein Knie kaputt ist. Ein anderes Mal sieht man, wie er sich mit vollem Risiko über einen Riss im Eis an eine Gletscherspalte heranrobbt, um mit der Kamera einzufangen, wie das Licht alle Schattierungen von Weiß und Blau durchläuft, bis sich der Blick im Schwarz des Abgrunds verliert.

Die Schönheit des Untergangs

Balogs Bilder sind von einer betörenden Schönheit. Gebannt von den transparent schimmernden Farb­tönen der gefrorenen Wassermassen, kann man leicht vergessen, dass es Aufnahmen vom Untergang sind. Leider hat der preisgekrönte Kino­ film von 2012, der erst jetzt TV­-Pre­miere hat, nichts von seiner Aktuali­tät verloren. Im Sommer 2016 musste im Südosten Alaskas bei Juneau ein Campingplatz geräumt werden, weil er vom Schmelzwasser des Menden­hall­-Gletschers bedroht wurde. Kein Einzelfall. Forscher des National Snow and Ice Data Centers (NSIDC) in Colorado ermittelten, dass in diesem Sommer die Gletscher um 70 Prozent schneller abschmolzen als im Durchschnitt. Dabei verliert Alas­ka selbst unter normalen Bedingun­gen schon jedes Jahr rund 75 Millio­nen Tonnen Gletschereis.
Autor: Rainer Unruh