"Glückwunsch! Das ist die mit Abstand beste und klügste und historisch tiefste, zugleich leider hochaktuelle und wahre Doku zu diesem Thema". Mit diesen Worten lobt der Historiker Michael Wolffsohn die Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" von Sophie Hafner und Joachim Schröder. Doch wenn es nach Arte, dem Sender für den die Reportage produziert würde, gegangen wäre, würde die Öffentlichkeit den Film nie zu sehen bekommen.

Jetzt ist Bild.de eingesprungen und zeigt die Doku kurzerhand für 24 Stunden, am 13. Juni von 0.02 bis Mitternacht auf der Homepage. "Deutschland ist ganz sicher nicht das Land, in dem antisemitische Vorurteile beschönigt, verschwiegen, übertüncht werden sollten" schreibt Bild-Chef Julian Reichelt. Doch warum weigert sich Arte auch jetzt noch, den Film zu zeigen, den Hafner und Schröder für den WDR drehten und der beim deutsch-französischen Kultursender seine Uraufführung erleben sollte.

Thema verfehlt?

Eine Doku über den erstarkenden Antisemitismus mitten in Europa, in Norwegen, Großbritannien, Ungarn und Griechenland hatte Arte bestellt. Doch Hafner und Schröder sollen nicht im Sinne der Absprache geliefert haben. "Die gelieferte Sendung konzentriert sich (...) hauptsächlich auf den Nahen Osten. Damit entsprach sie nicht dem von der Programmkonferenz formulierten Auftrag, sodass sie nicht akzeptiert werden konnte", sagte ARTE-Programmdirektor Alain Le Diberder.

Also nur Thema verfehlt? Mag sein, dass der WDR und Arte über die Neuausrichtung erbost waren, aber dass sich der Fokus einer Doku im Laufe der Dreharbeiten ändert ist nicht ungewöhnlich, wie Schröder betonte. "Ein 90-minütiger Dokumentarfilm lebt auch von den Erkenntnissen der Recherche und die stehen meist zum Zeitpunkt der Einreichung nicht fest" sagt der Regisseur.

"Bild"-Chef Julian Reichelt vermutet deshalb einen anderen Hintergrund für den Rückzieher von Arte: "Der Verdacht liegt bitter nah, dass diese Dokumentation nicht gezeigt wird, weil sie politisch nicht genehm ist, weil sie ein antisemitisches Weltbild in weiten Teilen der Gesellschaft belegt, das erschütternd ist" schreibt er im Begleittext zur Veröffentlichung des Videos. Tätsächlich kritisierte Le Diberder auch die mangelnde "Ausgewogenheit des Projekts", nachdem der Deutsch-Palästinenser Ahmad Mansour als Ko-Autor abgesprungen war.

Gutes, aufklärerisches Fernsehen

Um Ausgewogenheit bemühen sich Hafner und Schröder zwar, was die Fakten betrifft, sie machen aber auch deutlich klar, dass sie Verfehlungen des Staates Israel nicht als Relativierung für Antisemitismus gelten lassen. Denn dass sich hinter der Kritik an der israelischen Palästina-Politik oft alte antiseministische Klischees verbergen, dass deckt die Doku in ihrer Tour durch Europa eindrücklich auf, was eigentlich im Sinne ihrer Auftraggeber sein müsste. Zum Beispiel wirft eine Geprächspartnerin Israel vor, das Mittelmeer mit Abfällen zu vergiften - und wärmt damit das alte antijüdische Bild des Brunnenvergifters auf.

Solche Auslassungen, ob sie nun von rechts, links oder von diffusen Querbündnissen kommen, kommentiert die Doku kritisch und bissig aus dem Off ("Dieser Holocaustvergleich wurde Ihnen von ‚Brot für die Welt' präsentiert"). "Ausgewogen", was auch immer das sein soll, ist das nicht unbedingt, aber gutes, aufklärerisches Fernsehen. Die Macher verzetteln sich allerdings etwas, wenn sie in den Gazastreifen reisen und versuchen, der Hamas Korruption nachzuweisen und damit etwas forciert den Mythos der Palästinenserorganisation als rechtschaffene Widerstandskämpfer zerstören wollen. Damit entfernt sich die Doku tatsächlich etwas vom Thema.

Aber machen sie sich hier selbst ein Bild. Noch bis bis 24 Uhr kann man die Doku auf Bild.de sehen. Arte und der WDR werden gegen die Uhrheberrechtsverletzung nicht vorgehen. Die Kritik von Bild, die Sendung aus politischen Gründen zurückhalten zu wollen, wies Arte zurück.

Eines haben Sophie Hafner und Joachim Schröder auf jeden Fall geschaft: Ihre wichtige Doku bekommt jetzt mehr Aufmerksamkeit, als sie bei einer regulären Ausstrahlung auf Arte zu erwarten gewesen wäre.

Update: Der WDR und Das Erste haben sich entschieden, die Doku jetzt doch zu senden, trotz aller "journalistisch-handwerklichen" Mängel. Schon am Mittwoch, den 21. Juni wird "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" um 22.15 Uhr zu sehen sein, gefolgt von einer Diskussionsrunde mit Sandra Maischberger, in der über die strittigen Punkte diskutiert wird. "So enthält der Film Tatsachenbehauptungen, für die es nach jetzigem Kenntnisstand des WDR keine ausreichenden Belege gibt. Auch sind Betroffene mit den im Film gegen sie erhobenen Vorwürfen nicht konfrontiert worden. Das aber gehört zu den Standards der journalistischen Arbeit" sagten der WDR und das Erste in einer Mitteilung.
Autor: Sebastian Milpetz