"Welches Pronomen hast du eigentlich?" – was klingt wie eine relativ einfache Frage, bringt die Identitätskrise der 20-jährigen Charlie (Lea Dindra) fast beiläufig auf den Punkt. Das Problem: Charlie hat darauf keine Antwort. Noch nicht. Rein biologisch gesehen ist sie eine Frau, ihre Gefühle deuten jedoch in eine andere Richtung. Aber sie ist deswegen dann doch eher ein Mann – oder ist ihre sexuelle Identität irgendwo dazwischen zu finden?

"Als wir als Redaktion den Pitch zu dieser Geschichte gelesen haben, war unser Impuls sofort begeisterte Zustimmung. Es ist längst Zeit, einem zu oft unsichtbar gemachten Teil unserer Gesellschaft eine breitere Plattform zu geben", so Beate Bramstedt und Jasmin Verkoyen von der ZDF-Hauptredaktion Fernsehen. Und tatsächlich, die Zeit ist reif für eine Serie wie "Becoming Charlie".

Becoming Charlie: Vom Suchen und Finden

Die Geschichte folgt Titelheld:in Charlie, die in einer Offenbacher Plattenbau-Siedlung lebt, auf ihrem schwierigen Weg. Im Kampf ums tägliche Durchkommen an einem sozialen Brennpunkt wie diesem ist das Finden der Sexualität zusätzlich schwierig. Mit der Psychologiestudentin Ronja (Sira-Anna Faal) kommt es zu einem Flirt, ihr tougher Kumpel Nikolas (Danilo Kamperidis) steht auf Männer, muss das aber unterm Deckel halten, gleichzeitig genießt er die Gegenwart von Charlie, irgendwo zwischen Freundschaft und Annäherungsgefühl. Und während für Charlies Mutter Rowena da alles fast zuviel ist, findet sie bei Tante Fabia (Katja Bürkle) und deren Partnerin Maya (Dalila Abdallah) viel Verständnis.

Das Suchen und Finden der eigenen Nicht-Binarität ist bislang eine Leerstelle in der deutschen TV-Landschaft. Lion H. Lau ("Polizeiruf 110 – Totes Rennen") und das Regie-Duo Kerstin Polte ("Wir") und Greta Benkelmann schicken sich an, das zu ändern. Interessant sind auch Format und Farbgebung dieser einfallsreich inszenierten Serie. "Instant Drama", so werden die 15-minütigen Folgen genannt, Musik von Diplo, Nicki Minaj, den Stranglers und Ezra Furman spielt eine große Rolle, immer werden wird über die Koloraturen, das Spiel mit Licht und Schatten, Akzente gesetzt. "Becoming Charlie" bietet so einen lehrreichen, inspirierenden Einblick in das Gefühlsleben eines non-binären Menschen, die Ängste, Hoffnungen und Träume.

Becoming Charlie: Absolute Guck-Empfehlung

Ein Verdienst natürlich auch von Lea Dindra, die Charlie spielt. Neben Auftritten in "Mysterium" und einer Episode des "Stralsund"-Krimis ist vor allem ihre Rolle der Babsi in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" im Gedächtnis geblieben - ausdrucksstark, selbstbewusst, mutig. Dindra, 2001 in Jena geboren, balanciert gekonnt zwischen den vermeintlichen Antipoden, macht den Zweifel und die Ängste real nachempfindbar und zeigt, wieviel Kraft und Hoffnung und Emotion im Aufbruch, im Bewusstmachen des eigenen Lebenswegs – und im Rap – liegen.

Ein "Must-see", so nennt es die ZDF-Redaktion. Klar sind die nicht ganz neutral, anschließen kann man sich dieser selbstbewussten Äußerung jedoch auch als Kritiker:in und Zuschauer:in - "Becoming Charlie" dürfte eine der wichtigsten Serien des Jahres werden.