"Diesmal stellte ich mich ihm entgegen und sagte: Geh weg, geh weg!" Sean Astin, bekannt als Samweis Gamdschie aus "Der Herr der Ringe", gibt in der zweiten Staffel "Stranger Things" die Richtung vor. In seiner Rolle als Bob Newby trichtert er Will (Noah Schnapp) ein, wie er sich zukünftig besser verhalten soll. Doch die Sache geht mächtig nach hinten los und so entspinnt sich in "Stranger Things 2" eine Talfahrt in die düsteren Unterwelten des sogenannten Upside Down.

Hatten die Zwillingsbrüder Matt und Ross Duffer einen ähnlich schlechten Ratgeber, als sie die Arbeit zur Fortsetzung des Netflix-Hits begonnen haben? Einen wohlgesinnten, aber letztlich nichts ahnenden Einflüsterer, der Dinge vorschlug wie: Führt mehr Nebenfiguren ein, gebt eurem Breakout-Star Millie Bobby Brown (Eleven) Raum zur Entfaltung und erklärt bloß nicht, wie eure mysteriöse Parallelwelt funktioniert? Sagen wir es so: Teilweise haben die "Stranger Things"-Macher Entscheidungen getroffen, die durchaus fragwürdig sind.

Die neun neuen Episoden "Stranger Things 2" hat Netflix am 27. Oktober 2017 sowohl in Originalsprache, als auch in deutscher Synchronisation veröffentlicht - auf einen Schlag. Wir haben die neue Staffel analysiert und drei wesentliche Aspekte zu bemängeln. ACHTUNG: Spoilergefahr!

Nur Steigbügelhalter: Die neuen Nebenfiguren

Fünf mehr oder weniger wichtige Figuren wurden in Staffel zwei neu eingeführt und keine konnte gänzlich überzeugen. Da ist die stürmische "Max" (Sadie Sink), die zur Schulclique um Mike (Finn Wolfhard), Dustin (Gaten Matarazzo), Lucas (Caleb McLaughlin) und Will dazustößt und aus bis zum Ende unerfindlichen Gründen Interesse an den Jungs entwickelt. Obwohl sie auffallend ausfallend ist und eigentlich viel zu "cool" für das nerdige Quartett daherkommt, spielt sie sich innheralb der Gruppe in den Vordergrund. Ähnlich schlecht geschrieben ist ihr Stiefbruder Billy Hargrove (Dacre Montgomery), der als ultra-arroganter Highschool-Protz die Schule aufmischt und für die Handlung so überschüssig ist, wie das Haarspray in seiner 80er-Tolle.

Ganz anders verhält es sich mit Bob Newby (Sean Astin), der Joyce Byers (Winona Ryder) schöne Augen macht und mit seinem pfiffigen Kombinationssinn die Handlung vorantreibt. Er ist für die zweite Staffel ein belebendes Element und wird von den Machern ausgerechnet dann fallengelassen, als es sich krachend angedeutet hat. Ein stilloser und unangemessener Abgang einer tollen Figur - bei ihrem Tod wird klar, dass die Drehbuchautoren sie nur als Steigbügelhalter für ihre Storyline brauchten.

Paul Reiser als neuer, leutseliger Forschungsleiter Dr. Sam Owens ist okay, nicht mehr und nicht weniger. Reiser spielt grundsolide, kann seiner Figur aber, außer in wenigen kurzen Momenten, kaum Tiefe verleihen. Einzig der Reporter Murray Bauman (Brett Gelman) passt ideal in die Rolle des verschrobenen Verschwörungstheoretikers.

Das Upside Down birgt Risiken

Was wurde "Stranger Things" für seine Mystery gelobt: Endlich eine bildgewaltige, serielle Hommage an die übernatürlichen Klassiker der 80er Jahre. Zurecht, denn die undurchsichtige Parallelwelt des Upside Down entwickelt, im wahrsten Sinne des Wortes, einen mitreißenden Sog für Zuschauer und die unbescholtenen Kleinstadtbürger Hawkins. Doch in der zweiten Staffel durfte mehr erwartet werden, als nur eine schleimige, durch Schlingpflanzen in die Realwelt wuchernde Tunnellandschaft, von der auch nach dem Ende der neun Folgen nicht klar ist, wie sie funktioniert.

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass Mystery-Plots nebulös bleiben müssen und ihren mysteriösen Reiz dadurch entfalten, dass sie nicht näher erläutert werden. "Show dont tell" könnte man meinen, doch auch eine Parallelwelt muss Logiken folgen und diese werden schlichtweg nicht ersichtlich. Die Duffer-Brüder verweigern sich Erklärungen, die eine neue, reizvolle Mystery abgegeben hätten, ist doch das Upside Down auch ein Spiegel (die auf den Kopf gedrehten Gebäude etc) der tatsächlichen Erzählwelt. Stattdessen werden nur Auswüchse gezeigt, die mit dem fetten, neuen Budget, acht Millionen Dollar hatten die Macher pro Episode zur Verfügung, als atmosphärisches und zugegeben optisch sehr ansprechendes Aushängeschild fungieren.

Eine ausführliche Kritik zu "Stranger Things 2" in unserem Serien-Podcast

Überflüssiger Fanservice für Fans von Millie Bobby Brown

Sie war der Breakout-Star der ersten Staffel: Jane Ives alias Eleven, kurz "Elfi". Sie räumte den MTV TV Award als beste Schauspielerin ab und war für vier weitere (u.a. Emmy und Screen Actors Guild Award) Auszeichnungen nominiert. Dass Millie Bobby Brown also auch in "Stranger Things 2" eine zentrale Rolle spielen würde, war absehbar.

Doch was sollte das? Die siebte Episode der aktuellen Staffel war abgekoppelt vom eigentlichen Handlungsverlauf und nur dazu da, dem Teen-Star mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Verbindung zu ihrer großen Schwester aus dem Forschungslabor, dem raubeinigen Mädchen mit dem Code 008 auf dem Arm, hätte deutlich subtiler ausfallen können. Ihre punkig, x-men-hafte Zirkustruppe brauchte kein Mensch und war nur schmückendes Beiwerk in einer Standalone-Folge, die der Staffel zwar quantitativ eine Episode mehr (Staffel 1 hatte acht Episoden), aber qualitaitiv keinen Mehrwert gebracht hat.

Hommagen statt Überraschungen

Nicht falsch verstehen: Auch die zweite Staffel von "Stranger Things" ist lohnenswert, packend inszeniert und vor allem audio-visuell ein echter Leckerbissen. Doch der Überraschungseffekt aus der Debüt-Staffel ist verpufft. Damals waren die zahlreichen 80er- und Spielberg-Referenzen neu und originell, der wabernde Synthwave-Score stilbildend und die "Stand by me"-hafte Boyclique ein herzerwärmend schöner Kniff aus der Nostalgie-Kiste.

In "Stranger Things 2" setzen die Showrunner Matt und Ross Duffer wieder auf Hommagen an diverse US-Kultfilme des Jahrzehnts wie "Aliens - Die Rückkehr" (1986), "The Breakfast Club" (1985) "Nightmare on Elm Street" (1984) oder "Die Outsider" (1983). Gleichzeitig ist die Serie eine Verneigung vor Stephen Kings Œuvre, insbondere vor dem Horrorbuch-Klassiker "ES" (1986), bei dessen aktueller Neuverfilmung Finn Wolfhard (Mike) nebenbei bemerkt eine gewichtige Rolle spielt.

Doch auch der William Friedkin Klassiker "Der Exzorzist" von 1973 oder die "Jurassic Park" Filme von Steven Spielberg aus den 90ern werden als Referenzpunkte gesetzt und erleichtern es den Machern, ein atmosphärisch dichtes Hommage-Geflecht zu kreieren.

Das Altbewährte funktioniert, keine Frage. Beim dritten Anlauf sollten sich die Duffer-Brüder jedoch nicht von der Versuchung hinreißen lassen, neue Figuren und Fanservice zulasten überraschender Mystery-Wendungen einzusetzen.