Wie ein Monolith steht der Psychoanalytiker Sigmund Freud (6. Mai 1856 – 23. September 1939) in der Weltgeschichte. Jeder Mensch kennt seinen Namen, doch nur die Wenigsten seine Werke. Zur Legendenbildung trug der österreichische Sohn einer jüdischen Wollhändlerfamilie selbst bei. "Das Gespenst aus Wien" hatte Teile seiner Aufzeichnungen verbrannt und damit die Anfangsjahre seines Schaffens verschleiert.
Ein Glücksfall für den gefeierten Showrunner Marvin Kren ("4 Blocks"), der für Netflix und den ORF eine achtteilige Serie über den Nervenarzt im Jahr 1886 ansiedelt. Zu dieser Zeit zog Freud regelmäßig Koks und therapierte Patienten mit Hypnose – eine Behandlungsmethode, die er von einer Studienreise aus Frankreich mitbrachte. Sonst ist über diese Zeit wenig verbürgt, weshalb die Serie "Freud" sich viele Freiheiten nimmt. Kein Biopic über den weltberühmten Theoretiker entsteht derzeit in Prag und Wien, sondern ein wilder Genre-Mix aus Mystery und Thriller-Elementen, den Kren wahlweise als "abenteuerliche Noir-Show" oder als "filmische Reise ins Unbewusste" bezeichnet.Horrorelemente in "Freud"
Die ersten Bilder aus einem gut zweiminütigen für die Presse entworfenen Trailer versprechen eine düstere, traumwandlerische Erzählung über menschliche Abgründe und eine Wiener Metropole zwischen Ekstase und Dekadenz. Die Stadt beherbergt Ende des 19. Jahrhunderts rund zwei Millionen Einwohner und ist damit dichter bevölkert als heute. Ein Schmelztiegel der Kulturen, der in "Freud" als zweite Hauptfigur die Zuschauer in eine fremde Zeit ziehen soll. Die Serie als Sittengemälde zu bezeichnen, sei absolut legitim, so Marvin Kren im Interview. "Wir wollen begeistern und schockieren zugleich", beschreibt der 39-jährige Österreicher seine Ambitionen bei dem Projekt.
Tatsächlich schafft Kren das bereits vor Ort, am Set im Prager Stadtteil Karlin. Dort arbeiteten mehr als 100 Menschen daran, ein altes Krankenhaus für die Serie so aussehen zu lassen, als stünde es im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die versammelten Journalisten, etwa ein Dutzend an der Zahl, sind von den Dimensionen begeistert. Das Invalidovna, so erzählt es Szenenbildnerin Verena Wagner, sei 1730 für zeitweise mehr als 1200 invalide Kriegsveteranen erbaut worden. In "Freud" wird es zum Alten Allgemeinen Krankenhaus in Wien - dort arbeitete Sigmund Freud als Psychiater und lernte die Schattenseiten der damligen Behandlungsmethoden kennen.
Der schockierende Teil der Besichtigung beginnt. Wir werden in die unterirdischen Kerker der Anlage geführt. Dort wurden Patienten gegen ihren Willen eingeschlossen und "therapiert". In einem nasskalten Raum, nur im fahlen Licht erkennbar, steht ein Stuhl mit Armfesseln und einer Gitterhaube auf der Sitzfläche - heilende Kräfte lassen sich nicht mal erahnen. Im nächsten Verlies eine Holztruhe mit knappen Öffnungen für menschliche Köpfe. Man habe "heißes Wasser einlaufen" lassen, um zu beobachten, wie die Patienten reagieren, so die Szenenbildnerin. Dass "Freud" auch mit schonungslosen Horrorelementen à la "Penny Dreadful" daherkommt, dürfte für Gesprächsstoff sorgen.
Freud wird von einem 35-jährigen Österreicher gespielt
"Freud" wird weniger prominent besetzt sein, und doch mit viel schauspielerischer Qualität aufwarten. Rainer Bock ("Better Call Saul") spielt Unidirektor Theodor Meynert mit angeklebtem Rauschebart, Ella Rumpf ("Asphaltgorillas") das frei erfundene Medium Fleur Salomé. Georg Friedrich, einer der bekanntesten Schauspieler Österreichs, verkörpert einen Polizisten in Wien, der von einer mysteriösen Mordserie Wind bekommt und im Umfeld von Sigmund Freud die Ermittlungen vorantreibt. Und der Hauptdarsteller? Er ist tatsächlich eher unbekannt. Robert Finster spielt einen jungen, sehr experimentell veranlagten Freud und berichtet zu seiner Rolle in dem Crime-Plot: "Die Geschichte dreht sich nicht nur um Freud. Es laufen unterschiedliche Handlungsstränge an mir zusammen. Ich bin der Kitt für die Mosaikfliesen."
Finster ist ein in sich ruhender, aber dadurch nicht minder charismatischer Mann mit hypnotisch-eindringlichem Blick. "Er schaut verdammt gut aus", sagt Kren über den Schauspieler, den er höchstpersönlich für die Rolle auserkoren hat. So wie Kren sowieso an allem in "Freud" beteiligt ist. Er hat an den Drehbüchern mitgeschrieben, Folge 2 und 5 werden aus seiner Feder stammen, und führt als Showrunner auch Regie bei den Episoden. Bei Krens "4 Blocks" lebt die serielle Erzählung von der hohen Authentizität. Auch in Prag scheint jedes Ausstattungsmerkmal, jede Geste bei den Darstellern bis ins letzte Detail durchgeplant zu sein. Und doch nimmt sich "Freud" die Freiheit, den berühmten Psychoanalytiker neu in Szene zu setzen. Dafür wählten die Macher einen geschickten Ansatz: Sie lassen die Serie in den frühen Jahren Sigmund Freuds einsteigen. Das gibt kreativen Spielraum und die Möglichkeit, viele weitere Staffeln "Freud" zu produzieren.