Nach den sechs Folgen kommt man nicht umhin, sich zu dem Fazit hinreißen zu lassen: Seit über 10 Jahren gab es keine so ungewöhnliche ZDF-Serie mehr wie "Der Überfall". Große Worte, gewiss, aber nicht unverdient: Die Thrillerkrimi-Serie von Regisseur Stephan Lacant und dem Autorenduo Stefan Kolditz und Katja Wenzel ist eine echte Entdeckung und ein Glücksfall für das deutsche TV-Publikum. Vor ihrem Start im Fernsehen ist sie schon komplett am 25. Februar in der ZDF-Mediathek veröffentlicht worden.

Man kann nur allen, die spannende und komplexe Serien mögen, empfehlen, einen Blick in dieses Kriminalpuzzle zu werfen, in dem schnelle und plötzliche Wendungen für Hochspannung sorgen, während die Charakterzeichnung zur glaubwürdigen Milieustudie wird. Aber von vorne: Worum geht es in "Der Überfall" eigentlich und was macht den Krimi so besonders?

Ein Überfall wird zum Entführungsdrama

ZDF / Hardy Brackmann

Antonia Gebert ist zwar Polizistin, bemerkt den Überfall im kleinen Eckladen aber zufällig während ihrer Joggingrunde.

Wer an einem Montagmorgen einen Laden überfällt, der muss verzweifelt sein – zu dieser Zeit sind die meisten Ladenkassen schließlich leer. Nicht so am Montagmorgen bei Ladenbesitzer Hassan (Hadi Khanjanpour). Der will seinem Bruder Damon (Yasin Boynuince) aus der Patsche helfen und hat daher eine Papiertüte mit 30.000 Euro gefüllt bei sich. Da passiert der Überfall, bei dem Hassan erschossen wird. Zwei Zeugen konnten die Tat beobachten. Die Ermittlerin Antonia Gebert (Lorna Ishema) und der Kripo-Beamte Frank Worms (Sebastian Zimmler) werden mit dem Fall betreut. Es geht nicht nur um Geld: Der Sohn von Hassan, der achtjährige Adrian (Elias Danesh Hartmann) wird vermisst.

Was Gebert zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, aber der Zuschauer schnell erfährt: Worms spielt ein abgekartetes Spiel. Heimlich lässt er Beweismaterial am Tatort verschwinden. Gegenüber der nun verwitweten und verängstigten Mutter Miriam Merizadi (Karolina Lodyga) zeigt er wenig Empathie. Die Spuren führen schnell zur Personalleiterin des Ladens: Paula Schönberg (Katja Riemann) ist spielsüchtig und deshalb hochverschuldet. Aber noch eine zweite Möglichkeit tut sich auf: Im Laden arbeitete der Ex-Häftling Daniel Kowalski (Joel Basman) als Putzhilfe. Er könnte von dem Geld erfahren und so gewusst haben, warum sich an diesem Montagmorgen ein Überfall ausnahmsweise lohnte.

Tolles ZDF-Experiment, das gänzlich aufgeht

ZDF / Hardy Brackmann

Oben von links: Polizistin Antonia (Lorna Ishema), Miriam (Karolina Lodyga), Kripobeamter Frank (Sebastian Zimmler). Unten von links: Daniel (Joel Basman), Damon (Yasin Boynuince), Paula (Katja Riemann).

Die Prämisse hinter "Der Überfall" ist klassisches ZDF-Krimi-Material. Dennoch fühlt sich diese Serie frisch und mutig an. Regisseur Stephan Lacant ("Freier Fall") erzählt sie nach seinen eigenen Gesetzen: Die sechs Folgen à 55 Minuten tauchen tief in das Leben eines großen Figurenenensembles ein. Sie alle sind durch den Überfall betroffen, sie alle werden in eine Abwärtsspirale gestoßen. Die Ermittlungen liegen nicht im Fokus. Es wird erzählt, wie ein einzelner Moment das Leben vieler einschneidend verändern kann. Dementsprechend gibt es mehrere parallele Handlungsstränge, die sich oft nur oberflächlich kreuzen, meist aber gar nicht direkt verbunden sind. Einzige Regel: Die Handlung spielt über einen Zeitraum von sechs Tagen. Jede Folge bildet einen Tag ab.

Die Schauspieler sind dabei grandios, insbesondere Lorna Ishema und Karolina Lodyga empfehlen sich glatt für Fernsehpreise. Sie profitieren von den emotionalen, aber unaufdringlichen Drehbüchern, die komplexe negative Gefühle wie Trauer und Verzweiflung nie plakativ ausstellen, sondern mit menschlichem Blick verarbeiten. Dabei ist die Serie auch experimentell: Der titelgebende Überfall bleibt die ersten drei Folgen eine Chiffre, von der wir nur hören und erzählt bekommen. Erst in der vierten Folge sehen wir in einer Rückblende den Tathergang – und damit stellen sich unsere Ansichten zu vielen der Figuren nochmal auf den Kopf.

Grandios ist die Kameraarbeit von Michael Kotschi ("Fremde Tochter"). In prächtigen, starken Farben wählt er viele irritierende, künstlerische Perspektiven und Einstellungen, hängt die Kamera auch mal schräg in den Raum, um Gefühle zu erzeugen und zu provozieren. Er geht den zersplitterten Weg mit, auf den sich die Einzelschicksale der Menschen und ihre Psyche schlagen müssen. Und er behandelt so subtil das wichtigste Thema der Serie: Was ist wahr? Was können wir wissen?

Die Suche nach Wahrheit ist das Kernmotiv jedes Krimis. Doch in "Der Überfall" gibt es da nichts zu finden. Moralisch ist dieser Fall komplex, es dominieren Grautöne. Die Wahrheit ist nur ein Mosaik, ein Puzzle, wie es auch diese Serie ist, bei der aber immer ein Puzzleteil fehlt.

Was wir immerhin zweifellos wissen können: Es braucht mehr solcher Serien aus Deutschland! Ab dem 25. Februar sind alle Folgen in der ZDF-Mediathek verfügbar. Die TV-Ausstrahlung beginnt ab dem 4. März. Von da an läuft drei Wochen lang immer freitags um 21:15 Uhr und immer samstags um 21:45 Uhr eine neue Folge im ZDF.