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"Dark": Die erste deutsche Netflix-Serie

Der Serien-Podcast Bingenweisheiten von TV SPIELFILM
Netflix

Die Mysteryserie "Dark" setzt die erste deutsche Duftmarke bei Netflix. Regisseur Baran bo Odar und Autorin Jantje Fries verraten, wie es dazu kam und was sie inspirierte.

Eine Gruppe Jugendlicher, aus deren Mitte ein Kind verschwindet. Eine Kleinstadt im Chaos. Ein profitsüchtiger Konzern. Ein Zugang zu einer mysteriösen Welt. Eine Reise in die 80er... Wer die Versatzstücke von "Dark" liest, fühlt sich an "Stranger Things" erinnert. Nicht die schlechteste Gesellschaft, schließlich zählt die Serie zu den größten Hits beim Streamingdienst Netflix. Auch auf "Dark" setzt Content-Chef Ted Sarandos große Hoffnungen. Hoher Druck für die Showrunner Baran ­bo Odar und Jantje Friese, die ihr faszinierendes, tiefgründiges Spiel mit Zeit und Wirklichkeit innerhalb von zwei Jahren umsetzen konnten. Warum sie ihre ­Serie eher in der Tradition von "Lost" sehen, welche persönlichen Erfahrungen sie verarbeiten und was düstere Krimis mit Pornos verbindet, haben uns die Schreib- und Lebens­partner in Berlin und London erzählt.
Regisseur Baran bo Odar und Autorin Jantje Fries über "Dark"
Ted Sarandos sagte, bei Netflix funktionieren landesspezifische Serien am besten. Was ist an "Dark" typisch deutsch?
Jantje Friese: Das ist unsere Lieblingsfrage. (lacht)
Baran bo Odar: Irgendwie bekommen wir die Frage nur aus Deutschland. Es ist auf Deutsch gedreht, deutsche Autoren, deutscher Regisseur...

Sarandos bezog das aber mehr auf...
Friese: ...eine kulturelle Einfärbung, ja. In dem Sinne, dass die Macher ­ihre eigene Sprache mitbringen, ist es dann sicherlich schon deutsch.
Odar: Aber "Dark" ist universeller als etwa "Deutschland 83", das man nicht in Frankreich oder Russland erzählen kann. "Dark" könnte auch in anderen Kleinstädten passieren.
Friese: Aber es ist ja eine interessante Frage. Unser Ansatz ist generell, dass man nicht unbedingt über die deutsche Geschichte erzählen muss, oder etwas, das in Lederhosen daherkommt. Was wir als deutsch empfinden, muss ja nicht immer gleich ein Klischee von Deutschland sein.

Warum dreht ihr auf einmal eine
Serie? Wir haben euch immer als große Filmfans wahrgenommen.

Odar: Ja, sind wir auch. Aber wir sind tatsächlich auch begeisterte Serienfans. In unserer Freizeit gucken wir mittlerweile fast nur noch Serien, weil wir von Filmen gerade immer enttäuscht werden. Wir haben zusammen eine Tochter, dementsprechend ist Kinogehen auch teuer geworden. Und dann geht man in den neuen "Alien"...
Friese: ...und ist dann krass enttäuscht...
Odar: ...und denkt sich, ­warum habe ich dafür Geld ausgegeben. Ehrlich gesagt, hatten wir nie vor, eine Serie zu drehen. Aber Netflix hat uns angerufen, um aus "Who Am I" eine Serie zu machen. Da wir uns nicht gern wieder­holen, haben wir ihnen dann eben "Dark" vorgeschlagen.
Warum heißt die Serie "Dark"?
Odar: Ist doch ein schöner Titel. Wir sind generell geprägt von der Düsterheit und der dunklen Seite des Menschens. Und weil die Serie in 190 Ländern funktionieren soll, wollten wir es nicht "Finster" oder "Düster" nennen, sondern haben ­gesagt, "Dark" ist so knackig, dass es auch auf dem deutschen Markt funktionieren könnte.

Warum sind wir so von düsteren Stoffen fasziniert?
Friese: Ich glaube, weil wir uns mit unserer Menschlichkeit oder Unmenschlichkeit auseinandersetzen wollen. Es ist immer irgendein Abgrund da. Guck ich ihn mir an, oder gucke ich weg?
Odar: Der Mensch braucht etwas, wo er Dinge er­leben kann, die er selbst nicht erlebt. Wie Pornografie oder Gladiatorenspiele bei den Römern. Die meisten Menschen sind keine Serienkiller, denken aber vielleicht: Dem würde ich gern den Kopf einschlagen. Doch man tut es nicht. Gott sei Dank, deswegen leben wir ja in einer zivilisierten Gesellschaft.

Die Serie spielt auf drei Zeitebenen. 2019, 1986 und 1953. Da liegen ­jeweils 33 Jahre dazwischen...
Friese: Die 33 ist eine verrückte Zahl. Bei uns bezieht es sich auf den lunar-solaren Zyklus, weil sich alle 33 Jahre der Zyklus des Monds mit dem der Sonne synchronisiert und im Universum alles auf der gleichen Position ist. Die 33 spielt eine große Rolle.
Odar: Wenn man die 3 und 3 zusammensteckt, wird es zur 8 - die Zimmernummer des mysteriösen Fremden im Hotel. Legt man die 8 auf die Seite, wird sie das Unendlichkeitszei­chen, was auch eine Bedeutung hat.

Warum drei Zeitebenen?
Odar: Wir gehen davon aus, dass Zeit linear ist. Man wird geboren, und man stirbt. Aber den Gedankengang, dass das alles gleich­zeitig ist, fanden wir unheimlich spannend. Und darum geht es in "Dark". Dass alles gleichzeitig ist und Déjà-vu-Erlebnisse wirklich Wiederholungen sein könnten. Allein der Gedanke, was ­eigentlich unendlich heißt, macht mich innerlich ganz kribbelig und un­ruhig und schürt dann wieder Urängste.

Die Achtzigerjahre nehmen einen großen Teil der Serie ein. Wolltet ihr ­eure Kindheit wieder zurückholen?
Odar: Wir haben zwar Abitur in den Neunzigern gemacht, aber ich habe eine Schwester, die fünf Jahre älter ist und immer The Cure und Duran Duran hörte. Sie hat sich in ihrem Zimmer eingesperrt und Frisuren gemacht, und ich habe das alles nicht verstanden. Aber dadurch hat es mich auch am meisten geprägt. Weil ich es nicht als eigene Erfahrung erlebt ­habe, sondern als Betrachter.

Ist das auch der Grund, warum Kernkraft eine große Rolle spielt?
Odar: 1986 hat uns Tschernobyl krass beeinflusst. Das war für uns ein spürbares Erlebnis wie 9/11 für eine spätere Generation. Ich weiß noch, wie wir wegen des sauren Regens nicht rausdurften, weil wir "sonst sterben" würden. Was nicht stimmte, aber da wurde diese ­Urangst geschürt in der Bevöl­kerung. Und auch von meinen Eltern. Das hat uns wahnsinnig geprägt, das haben wir nie vergessen.
Friese: Ich glaube, das merkt man aktuell auch bei Serien und Filmen. Neben dieser Achtziger-Nostalgie ist auch das Gefühl der nahenden Apokalypse ein Thema, das wahnsinnig oft aufgegriffen wird. Und ich glaube, das lässt sich bei ­europäischen Erzählern auch auf Tschernobyl zurückführen. Sich das erste Mal da­­mit auseinanderzusetzen, dass tatsächlich alles ausgelöscht werden könnte. Und wenn man selbst dann erst neun Jahre alt ist, hinterlässt das ganz andere Eindrücke.

Ist das AKW in "Dark" nur Ausdruck dieser apokalyptischen Angst, oder will die Serie auch vor den Gefahren der Kernkraft warnen?
Odar: Das ist ein Mix aus allem. Mein Vater war für einen großen Konzern mit der Reinigung und ­Instandhaltung von Atomkraft­werken beschäftigt. Dement­sprechend war ich in der Schule immer derjenige, dessen Vater "so etwas" macht, während alle ­anderen diese "Atomkraft, nein danke"-Aufkleber auf den Schulranzen hatten.

Durftet ihr in einem echten
Atomkraftwerk drehen?

Odar: Nein, das ist alles CGI (im Computer erzeugte Trickbilder). Wir hatten uns einige Kraftwerke angeguckt, bei denen wir gesagt haben, da könnten wir drehen und anschließend nur noch einen Reaktor reinretuschieren. Aber die lassen einen nicht einmal aufs Gelände. Da hat man keine Chance. Es gab auch noch etwas in Österreich, aber da wären die Reisekosten zu hoch gewesen. Ein spannendes, stillgelegtes Atomkraftwerk...
Friese: ...das nie in Betrieb genommen wurde.

Ist "Dark" aufgrund der komplexen Handlungen und der vielen Figuren darauf ausgelegt, in einem Rutsch angeschaut zu werden?
Friese: Das befriedigendste Seh­erlebnis hat man sicherlich, wenn man die Serie in einem Schwung durchguckt. Was aber nicht bedeutet, dass man sie nicht auch mit Pausen anschauen kann, oder, Bo?
Odar: Ja, das glaube ich auch. Also nicht jetzt alles in einer Nacht, das ist ein bisschen anstrengend. Aber so innerhalb einer Woche. Am Ende waren es 72 Figuren, und da haben wir teilweise auch selbst den Überblick verloren. Unser Grader, der in der Serie die Farbabstimmung macht, hat sofort alles verstanden. Und andere Personen wiederum, die es mehr in Abständen geguckt haben, haben oft gefragt: "Wer war jetzt noch mal die Blonde? - Ach ja, das soll die Frau in jung sein."

Also besser nichts nebenbei tun?
Odar: Nee, das wäre nicht gut.
Friese: Man braucht schon Zuschauer, die Lust haben, aufmerksam zu schauen.

Die Serie soll in erster Linie natürlich unterhalten. Aber was wünscht ihr euch, dass der Zuschauer darüber hinaus von "Dark" mitnimmt?
Friese: Wenn man die späteren Folgen sieht, entdeckt man, dass es eine Metaebene gibt. Und wer sich mit der auseinandersetzen möchte, hat wahnsinnig viel zu entdecken. Und ich hoffe, dass es ein Anstoß ist, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen. Selbst zu recherchieren, was ist diese Theorie, und was bedeutet das denn? Es gibt wahnsinnig viele interessante Gedanken da draußen in der Welt, und ich finde es schön, wenn man etwas hat, was einem eine Initialzündung gibt, sich damit zu beschäftigen.
Odar: Wir mögen es selbst auch, dass wir Dinge entdecken. Wie bei "Lost". Dort sah man diese Zahlen und überlegt, was sie bedeuten, und fängt an, es zusammenzurechnen. Bei "Dark" ist es genau das Gleiche. Es wäre schön, wenn die Leute Lust haben, dahinter zu schauen und aktiver zu sein. Nicht wie bei einem Cheeseburger, den man isst und sich danach denkt: Ich bin vollgefressen, und gesund war es irgendwie auch nicht. Daher hoffe ich, dass wir hier etwas Gesundes geschaffen haben.